Eine Frau registriert Kleidung und Schuhe, die auf der Izaguirre-Ranch in der Gemeinde La Estanzuela gefunden wurden.

Gewalt in Mexiko Die Zielgruppe der Drogenkartelle wird immer jünger

Stand: 28.04.2025 06:05 Uhr

Kleidungsstücke, Schuhe, Koffer und menschliche Überreste - der grausame Fund auf der Ranch Izaguirre in Mexiko wurde vor wenigen Wochen zu einem Symbol für die Gewalt in dem Land. Ein Besuch in der Region.

Ockerfarbene Plattenbauten reihen sich aneinander. Um die Ecke werden Drogen verkauft. Hier bekommt man alles - von Fentanyl bis hin zu Heroin, erklärt Karim, während sie eine Runde durch ihr Viertel in Guadalajara dreht, der zweitgrößten Stadt Mexikos im Bundesstaat Jalisco.

Sie weist auf einen jungen Mann mit seiner Freundin, der vor einem Haus auf einer Treppenstufe sitzt. Das sei ein Halcón, ein Späher, der für die vorherrschende kriminelle Gruppe in ihrem Stadtteil darauf achtet, wer das Viertel betritt, unerlaubt Drogen verkauft und der unbekannte Personen direkt meldet. Hier ist Karim aufgewachsen.

Ein Polizeiauto an einem Fundort in Mexiko.

In diesem Viertel ist Karim aufgewachsen. Sie will unerkannt bleiben. An Orten wie in diesem Haus finden Suchgruppen regelmäßig Körper und menschliche Überreste.

"Du wächst in diesem System auf"

"Mein Bruder hat angefangen für ein sehr mächtiges Kartell zu arbeiten - für die Jalisco Nueva Generación." Er sei zu einer einflussreichen Person innerhalb dieses Kartells aufgestiegen, das als eines der blutigsten weltweit gilt.

Du wächst in diesem System auf. Du hast keine Angst, du siehst darin auch kein Problem. Dich überrascht nichts.

Karim heißt eigentlich anders, aber aus Sicherheitsgründen möchte sie ihren wirklichen Namen nicht nennen. Sie, ihr Bruder und zwei weitere Geschwister sind in prekären Verhältnissen aufgewachsen. Wenn sie an ihren Bruder zurückdenkt, kommen ihr die Tränen. 

Oft saß sie in der Küche und hörte ihn mit anderen Kartellmitgliedern sprechen. "Was sie planen und wie sie es machen. Damit wächst Du auf, damit musst Du einfach leben. Entkommen kannst Du nicht."

"Mein Bruder hatte ein Verfallsdatum"

Ihr Bruder sei da so reingerutscht. Erst war er nur als Fahrer für einen Bekannten eingesprungen, doch schnell wurde er zum Auftragskiller befördert. Irgendwann sei er für das Kartell lästig geworden, wie Karim es formuliert.

Es heißt, dass er bei einer Auseinandersetzung ums Leben gekommen sei, erzählt Karim. Das war vor zehn Jahren. Die genauen Umstände kennt sie nicht.

Menschen legen während der Mahnwache "Luto Nacional Tehuchitlan" für die Opfer der "Izaguirre Ranch" in Guadalajara, Mexiko, Schuhe nieder.

Menschen legen während der Mahnwache für die Opfer der Drogenkartelle Schuhe an einem zentralen Platz in Guadalajara, im Bundesstaat Jalisco ab. Stellvertretend für all die geborgenen Gegenstände, die auf verübte Gräueltaten schließen lassen.

Der Kartellnachwuchs wird immer jünger

Die Zielgruppe für die Kartelle zur Rekrutierung ihres Nachwuchses wird immer jünger. Vor allem Jugendliche aus armen Verhältnissen werden angeworben.

Viele von ihnen haben keine weiterführende Schule besucht, sehen keine Perspektiven, außer einem Job in einer Fabrik in Guadalajara. Dann müssen sie vier Stunden am Tag in öffentlichen Transportmitteln sitzen, um zur Arbeit zu kommen. Von dem, was sie als unqualifizierte Kraft verdienen, können sie kaum überleben.

Kartelle gehören zu den größten Arbeitgebern in Mexiko

Über Tiktok, Facebook und Twitter suchen die Kartelle ihren Nachwuchs, locken mit vagen Jobangeboten und besten Verdienstmöglichkeiten. Eine in der Zeitschrift Science publizierte Studie aus dem Jahr 2023 besagt, dass die mexikanischen Kartelle mit 160.000 bis 185.000 Mitgliedern der fünftgrößte Arbeitgeber in Mexiko sind.

Wöchentlich würden etwa 370 neue Mitglieder rekrutiert. Manche schließen sich freiwillig den kriminellen Gruppen an, viele werden jedoch gezwungen. Laut der Studie muss genau da angesetzt werden. Die Macht der Kartelle könne nur gebrochen werden, wenn man die Rekrutierung verhindere.

Es sind vor allem junge Menschen, die in Jalisco von einem Tag auf den anderen verschwinden, erklärt die Anwältin Alejandra Cartagena. Sie unterstützt Familien bei der Suche nach ihren Angehörigen. Diese arbeiten dann als Späher für die kriminellen Gruppen, als Auftragsmörder und auch in den Drogenküchen. All das hat die Anwältin mit weiteren Kollegen dokumentiert.

Die Izaguirre Ranch in Mexico.

Auf der Ranch "Izaguirre" im Bundesstaat Jalisco entdeckten die Suchgruppen, die aus vielen Angehörigen der Vermissten bestehen, menschliche Überreste. Der Ort wird nun als "Todeslager" bezeichnet. Betrieben wurde es mutmaßlich vom Kartell "Jalisco Nueva Generacion".

Vermutete Gräueltaten auf Drogen-Ranch

Im vergangen März fand eine Suchtruppe von Familienangehörigen auf dem Gelände der Ranch Izaguirre, rund eine Stunde von Guadalajara entfernt, Hunderte von Kleidungsstücken, Schuhe, Koffer und verbrannte menschliche Überreste. Solche Suchgruppen bilden sich in besonders betroffenen Bundesstaaten.

Oft sind es Mütter, die auf eigene Faust nach ihren Kindern suchen, weil der Staat kaum oder gar nicht ermittelt. Dabei riskieren sie ihr Leben. Erst vor wenigen Tagen wurde eine Mutter, die nach ihrem Sohn suchte, getötet.  

Alle Indizien deuten darauf hin, dass es sich bei der Ranch Izaguirre um ein Rekrutierungs- und Ausbildungszentrum des organisierten Verbrechens handelte. Es sei nicht der einzige Fall, betont die Anwältin Cartagena.

Demonstranten halten Fotos von vermissten Personen hoch, nachdem auf der Izaguirre-Ranch in Teuchitlan, Bundesstaat Jalisco, Mexiko, Skelettreste entdeckt wurden.

Demonstranten halten Fotos von Angehörigen hoch, nachdem auf der Izaguirre-Ranch Skelettreste entdeckt wurden. Sie hoffe, dass sie ihre Lieben noch lebend finden.

Drogenbosse werden glorifiziert

In vielen Teilen der Gesellschaft hat die Narcokultur großen Einfluss. In Narcocorridos, einer Art Lobeshymnen, werden beispielsweise die Drogenbosse besungen und glorifiziert. Nur kurz nach dem schrecklichen Fund auf der Ranch trat die Gruppe "Los Alegres del Barranco" in Guadalajara auf großer Bühne auf.

Sie haben dem Chef des Kartells Jalisco Nueva Generación - El Mencho - ein Lied gewidmet und ein riesiges Bild von ihm an die Wand projiziert. 10.000 Menschen haben das Konzert besucht und der Band zugejubelt. "Damit sendet 'El Mencho' eine klare Botschaft - hier bin ich und ihr könnt mir nichts anhaben." Es gebe eine Verstrickung mit dem Staat, erklärt Cartagena.

Diese Tragödie, die wir hier erleben, mit 127.000 Verschwundenen, das würde es nicht geben, wenn der Staat nicht mit dem organisierten Verbrechen auf allen Ebenen verstrickt wäre“.
Rubi Cruz

Ein Mitglied der Suchgruppe "Guerreros Buscadores", zeigt ein Handyfoto eines T-Shirts, das an einem der Fundorte entdeckt wurde und das sie als das ihres vermissten Ehemanns identifizieren konnte.

95 Prozent der Fälle ungeklärt

Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum weist derartige Vorwürfe in ihrer morgendlichen Pressekonferenz entschieden zurück. Auch nachdem die Vereinten Nationen anprangerten, dass das gewaltsame Verschwindenlassen in Mexiko System habe.

Die Regierung unternehme alles in ihrer Macht Stehende, dieses Problem zu bekämpfen, so Sheinbaum. Diese Aussage steht jedoch im extremen Widerspruch zu den Zahlen. Rund 95 Prozent der Fälle der Verschwundenen werden nicht aufgeklärt und geahndet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. April 2025 um 13:52 Uhr.