
Philippinen nach Duterte-Festnahme Noch lange nicht versöhnt
Die Auslieferung von Ex-Präsident Duterte an den Internationalen Strafgerichtshof spaltet die Philippinen. Die Opfer von dessen brutalem Anti-Drogen-Kampf hoffen auf Gerechtigkeit - zugleich drohen alte Konflikte aufzubrechen.
Von Euphorie oder Freude ist bei Randy delos Santos nichts zu spüren. Der Mann spricht leise und bedächtig über seine Gefühlswelt nach der Verhaftung von Rodrigo Duterte. Es sei ein Zeichen der Hoffnung für die Angehörigen, ein erster Schritt.
Santos ist der Onkel des 17-jährigen Kian, der 2017 im philippinischen Drogenkrieg ermordet wurde. Er war eines der wenigen prominenten Opfer des Blutvergießens im Inselstaat.
Überwachungskameras filmten damals, wie der Teenager in eine dunkle Gasse gezerrt und von Polizisten erschossen wurde. Die beteiligten Beamten wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Muss sich in Den Haag für seinen brutalen Kampf gegen die Drogenkriminalität verantworten: der Ex-Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte.
Opfer warten noch immer auf Aufarbeitung
Die allermeisten Opferfamilien warten noch heute auf eine juristische Aufarbeitung der Gewalt von Dutertes 2016 propagiertem "war on drugs". Dieser Krieg hat mindestens 6000 Todesopfer gefordert, Menschenrechtsorganisationen gehen sogar von bis zu 30.000 aus.
Drogendealer, -abhängige, Zufallsopfer - fast alle wurden ohne Gerichtsurteile ermordet. Nun muss sich Rodrigo Duterte dafür vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verantworten. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zeitraum zwischen 2011 und 2019 vorgeworfen.
Großer Erfolg für den IStGH
Endlich komme Bewegung in die Sache, geben sich Menschenrechtler wie Carlos Conde von Human Rights Watch erleichtert. Im Interview mit dem ARD-Studio Tokio spricht er von der besten Nachricht für Menschenrechte, die es jemals auf den Philippinen gegeben habe.
Ohne Zweifel ist die Auslieferung Dutertes ein starkes Zeichen für das Völkerrecht. Auch für den IStGH selbst ist das ein großer Erfolg. Seine Haftbefehle, etwa gegen Russlands Präsident Wladimir Putin und Israels Premier Benjamin Netanjahu, bleiben weitgehend folgenlos.
Das Weltstrafgericht wirkt oft wie ein zahnloser Tiger. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ohne die Zustimmung des aktuellen philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos jr. wäre die Verhaftung des früheren Präsidenten nicht möglich gewesen.

Präsident Ferdinand Marcos jr. hat seinen Vorgänger an den Internationalen Strafgerichtshof ausliefern lassen - für viele eine innenpolitische Abrechnung.
Polit-Dynastien Marcos und Duterte spinnefeind
Dass Marcos jr. seinen Amtsvorgänger ausgeliefert hat, wird von vielen als innenpolitische Abrechnung gedeutet, als Machtdemonstrationen. Die beiden politischen Dynastien im Land, die Dutertes und die Marcos, sind sich nach einem kurzen Kuschelkurs im Vorfeld der Wahlen 2022 wieder spinnefeind.
Vizepräsidentin Sara Duterte sprach Ende vergangenen Jahres öffentliche Morddrohungen gegen Marcos jr. aus, später hat der ihren Vater verhaften lassen. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang, dass Marcos jr. noch bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren betont hatte, dass der Internationale Strafgerichtshof für die Philippinen nicht mehr zuständig sei und man jegliche Kooperation verweigere.
2018 hatte der damalige Präsident Duterte die Ratifizierung der sogenannten Römischen Statuten, also der Gründungsverträge des IStGH, aufgehoben. Seit 2019 unterliegen die Philippinen daher nicht mehr der IStGH-Gerichtsbarkeit. Marcos jr. hat nie einen Versuch unternommen, das rückgängig zu machen. Um einen politischen Gegner aus dem Weg zu räumen, scheint die Behörde in Den Haag aber noch zu taugen.

Vizepräsidentin Sara Duterte sprach öffentliche Morddrohungen gegen Präsident Marcos jr. aus.
Schneller Prozess erwartet
Dass der 79-jährige Duterte nun von einem Gericht außerhalb seines Heimatlandes zur Verantwortung gezogen wird, begrüßen vor allem diejenigen, die sich mit dem Justizsystem auf den Philippinen auskennen.
Der Anwalt Joel Butuyan vertritt einige Opferfamilien und ist einer von nur fünf Juristen im Land, die am IStGH akkreditiert sind. Allein aus Sicherheitsgründen für Richter und andere Beteiligte sei ein Prozess auf den Philippinen selbst nicht machbar, so Butuyan.
Er glaubt, dass der IStGH schon in gut einem Jahr ein Urteil fällen kann. "Dieser Fall wird in die Kriminalgeschichte eingehen, weil die Beweislage so eindeutig ist", sagt Butuyan. Duterte habe so oft öffentlich zum Mord aufgerufen und versprochen die Mörder zu schützen. Er habe selbst die Beweise geliefert für seine Verurteilung.

Der Moment, den kaum jemand vorhergesehen hatte: In Rotterdam landet ein Charterjet, der mutmaßlich Ex-Präsident Duterte an Bord hat, der an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt wird.
Duterte-Anhänger sprechen von "Kidnapping"
Dieser Sachlage sind sich wohl auch die immer noch zahlreichen Duterte-Anhänger bewusst. Vor allem in den sozialen Medien ist längst ein Kampf um die Deutungshoheit der Auslieferung ihres Idols entbrannt.
Die Rede ist von einer Entführung, von Kidnapping. Einem philippinischen Staatsbürger, dazu noch in einem schlechten Gesundheitszustand und in einem hohen Alter, werde in einem weit entfernten Land, dessen Gesetze niemand verstehe, der Prozess gemacht, heißt es da.
Hermann Laurel, Gastgeber einer wöchentlichen Online-Radioshow, ist davon überzeugt, dass Marcos jr. einen geheimen Plan mit den Amerikanern habe. Im Gegenzug würden die USA Teile von Marcos' Familienvermögen wieder freigeben. Beweise für diese Thesen gibt es keine. Und trotzdem verfangen sie.
Zwischenwahlen im Mai richtungsweisend
Duterte-Anhänger bedrohen Andersdenkende, vor allem die Opferfamilien. Sie schüchtern sie ein, sie mobben sie. In erster Linie online. Auch Journalisten, Anwälte und Menschenrechtler berichten von einer Zunahme dieser Vorkommnisse. Vereinzelt gibt es sogar Morddrohungen. Viele Familien überlegen sich daher zweimal, ob sie sich nach der Festnahme von Duterte wirklich aus der jahrelangen Deckung wagen und Gerechtigkeit fordern.
All das zeigt: Das Land ist keinesfalls versöhnt. Die Gefahr, dass sich die Rivalität der beiden politischen Dynastien des Landes, Marcos und Duterte, erneut in Gewalt entlädt, ist groß.
Umso wichtiger werden die anstehenden Zwischenwahlen im Mai. Die Marcos-Regierung stehe dabei jetzt am Scheideweg, erklärt Menschenrechtler Carlos Conde. Sie müsse entscheiden, ob sie das Richtige tun will oder das politisch Zweckmäßige. Also die derzeit geschwächten Dutertes entmachten oder wichtige Reformen durchsetzen wie Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit. Am allerwichtigsten aber sei endlich ein offizielles Ende des Kriegs gegen die Drogen.
Denn noch immer werden auf Basis dieser Politik Menschen getötet. Mindestens einmal am Tag. Die Festnahme von Rodrigo Duterte war also nur ein erster Schritt. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.
In einer früheren Version des Beitrags hieß es, Duterte sei 79 Jahre - tatsächlich wurde er kurz vor Erscheinen des Beitrags aber 80 Jahre. Unter einem Foto hieß es, hier werde der Abflug von Duterte aus den Philippinen von einer Militärbasis gezeigt. Tatsächlich zeigte das Bild den Start eines Flugzeugs der Phillipine Airlines von der Militärbasis Vilamor, wo Duterte verhaftet worden war. Wir haben die Angaben entsprechend korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen