
Russlands Krieg gegen die Ukraine Drei Jahre Tod, Vertreibung, Zerstörung
Nach drei Jahren Krieg macht sich in der Ukraine Erschöpfung breit - bei Soldaten und Zivilisten gleichermaßen. Psychologen berichten von posttraumatischen Belastungsstörungen, die Gewalt gegen Frauen begünstigen.
Nach drei Jahren russischem Angriffskrieg hat sich die Gesellschaft in der Ukraine verändert. "Das erste Jahr des Krieges war ein Höhepunkt patriotischer Einheit und Aktivität, ein gemeinsamer Zusammenhalt, den es so in der Geschichte der Ukraine noch nie gegeben hatte", sagt der Kiewer Politologe Wolodymyr Fesenko. Man spüre die Erschöpfung vom Krieg, man spüre die inneren Widersprüche.
Dass sich der Krieg immer mehr hinzieht, wirkt sich negativ auf die ukrainische Gesellschaft aus. Aber wir haben keinen Ausweg. Die Mehrheit der Ukrainer versteht, dass wir unseren Widerstand fortsetzen müssen. Es ist der Kampf um unsere Zukunft.
"Der erste Tod eines Freundes schockiert dich noch"
Der ukrainische Regisseur Oleh Senzow kämpft selbst in einer Einheit an der Front. In diesen Tagen läuft seine Dokumentation "Real" in den ukrainischen Kinos an.
Mit einer GoPro-Kamera hat er seine Kameraden in schier aussichtsloser Lage gefilmt. Stundenlang wartet seine Einheit mit Verwundeten im Schützengraben auf Rettung, ständigem russischen Beschuss ausgesetzt und ohne Munition.
"Die Erfahrungen, die man dort macht, sind nirgendwo sonst von Nutzen. Der Krieg macht gefühllos, man stumpft ab", erzählt Senzow. "Der erste Tod eines Freundes schockiert dich noch, der zweite, der dritte auch. Und wenn man dir zum 30. Mal sagt, dass jemand gefallen ist, nimmst du es einfach so hin."
Zigtausende Tote, Hunderttausende Verletzte
Anfang des Monats bezifferte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Zahl der getöteten Soldaten auf 45.100 seit Kriegsbeginn. 310.000 Soldaten seien seitdem verletzt worden. Westliche Geheimdienste gehen sogar von einer noch größeren Zahl aus.
Nach UN-Angaben sind mehr als 12.000 Zivilisten getötet worden, fast 30.000 wurden verwundet. 6,7 Millionen Menschen sind nach Angaben der UN-Flüchtlingshilfe aus der Ukraine geflohen - weitere 3,7 Millionen sind demnach im eigenen Land zu Binnenflüchtlingen geworden.
Russland hat etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums besetzt und in vielen Teilen des Landes Städte und Dörfer zerstört. Das Ausmaß der Schäden ist gewaltig: Tausende Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen, Kultureinrichtungen - es gibt keinen Bereich, der nicht betroffen ist.

An einer Wand in Kiew hängen zahlreiche Fotos von Gefallenen.
Ständige Erschöpfung und Angst
Doch viele Menschen können die Erfahrungen, die sie im Krieg machen, nicht so einfach verarbeiten. Immer häufiger kommt es zu posttraumatischen Belastungsstörungen.
Die Kiewer Psychologin Oleksandra Nisdran berichtet, viele ihrer Patienten seien damit überfordert, in ständiger Angst zu leben - bei täglichem Luftalarm und Angriffen mit Drohnen und Raketen.
"Wir hören oft, dass unsere Patienten, die mit psychischen Problemen oder dem Gefühl ständiger Unruhe zu uns kommen, sagen, dass sie im Schlaf Luftalarm hören, aber nicht mehr in den Luftschutzraum gehen", sagt die Psychologin.
"Und sie verbinden dies mit einer gewissen eigenen Müdigkeit. Wenn man ständig massiven Angriffen ausgesetzt ist und jeden Tag mehrere Stunden diesen Stress hat, ist man durch die ständige Suche nach einem sicheren Ort erschöpft", ergänzt Nisdran.
Gewalt gegen Frauen hat um ein Drittel zugenommen
Posttraumatische Belastungsstörungen führten zusätzlich dazu, dass Gewalt gegen Frauen seit Beginn des Krieges deutlich zugenommen habe.
Seit dem Jahr 2022 habe die Gewalt um mehr als ein Drittel zugenommen, berichtet Sabine Freizer, Vertreterin der Vereinten Nationen bei UN Women Ukraine in Kiew.
"Die gestiegene Zahl hängt einerseits mit besseren Möglichkeiten zusammen, diese Fälle zu melden. Aber häusliche Gewalt nimmt auch wegen der starken Traumata zu, der posttraumatischen Belastungsstörungen, unter denen ehemalige Soldaten leiden", sagt Freizer. All das führe dazu, dass geschlechtsspezifische Gewalt zunimmt.
Dabei würden gerade Frauen die Widerstandskraft der ukrainischen Gesellschaft stärken. "Ich habe als Vertreterin von UN Women das Privileg, Frauen aus allen Teilen des Landes zu treffen. Was mich immer wieder verblüfft, ist, dass sie - egal, ob sie morgens schon unter Beschuss standen oder die Nachbarschaft mit Raketen angegriffen wurde - sofort wieder zurückkehren und für ihre Familie und Gemeinschaft kämpfen."
Diese Frauen seien unglaublich stark - das gelte für alle Bereiche der Gesellschaft, von zivilen Organisationen über die Wirtschaft bis hin zum Militär. Dabei sei es besonders wichtig, so Freizer, dass diese Frauen auch nach einem Ende des Krieges eine Führungsrolle in der ukrainischen Gesellschaft übernehmen.