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Ukrainischer Botschafter Makeiev "Ohne Sicherheit ist alles nichts"

Stand: 26.02.2025 19:45 Uhr

Ein Abkommen zwischen den USA und der Ukraine müsse neben Rohstoff-Deals auch Sicherheitsgarantien enthalten, sagt der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev. Im tagesschau24-Interview formuliert er auch Erwartungen an einen Kanzler Merz.

tagesschau24: Ist das Abkommen zwischen den USA und der Ukraine mehr als eine offene Rechnung, die die Ukraine für längst gelieferte Waffen bezahlt?

Oleksii Makeiev: Ich glaube, es kann ein wichtiges Abkommen sein für die Ukraine, für die Vereinigten Staaten, aber auch für Europa. Wir Ukrainer haben schon im letzten Jahr vorgeschlagen, dass ukrainische Ressourcen auch für unsere Partner erreichbar sein werden.

Sehr viele Ressourcen befinden sich in den von Russland besetzten Gebieten. Deswegen geht es hier um Investitionen in die Zukunft und um unseren Beitrag zu unserer gemeinsamen Sicherheit.

tagesschau24: Was genau steht denn in diesem Abkommen?

Makeiev: Als Botschafter der Ukraine habe ich jetzt wenig Zugriff auf den Text des Abkommens. Daran wird gerade jetzt gearbeitet, und es wurde gemunkelt, dass auch ein Besuch meines Präsidenten in die Vereinigten Staaten bevorsteht. Ich glaube, in den nächsten Tagen wird es entschieden, und auch die Öffentlichkeit wird den Text und die Inhalte sehen und beurteilen können.

Die Rolle von Sicherheitsgarantien

tagesschau24: Nach dem was bislang durchgedrungen ist: Es sind ja ausdrücklich keine Sicherheitsgarantien dort drin verfasst. Warum hat sich Präsident Selenskyj trotzdem darauf eingelassen oder vielleicht sogar einlassen müssen?

Makeiev: Ich glaube, wir können kaum über Zukunft sprechen, über Frieden sprechen, ohne dass wir über Sicherheitsgarantien sprechen und das ernst meinen. Deswegen: Was ist ein Abkommen wert, wenn diese nicht realisierbar sind?

tagesschau24: Das frage ich Sie. Warum steht das nicht da drin?

Makeiev: Ich glaube, daran wird auch gearbeitet. Und diese Gespräche werden auch geführt zwischen amerikanischen und europäischen Partnern. Das Gesamtbild von dem, wie ein gerechter und dauerhafter Frieden aussehen kann, kann nicht nur auf einem Abkommen über Seltene Erden basieren, sondern auf einer umfassenden, friedlichen Lösung und Regelung.

"Nicht über unsere Köpfe hinweg verhandeln"

tagesschau24: Hatte denn Präsident Selenskyj überhaupt eine Chance, sich nicht auf dieses Abkommen einzulassen, ohne die USA nicht nur als Unterstützer zu verlieren, sondern vielleicht auch Donald Trump als Feind zu bekommen?

Makeiev: Wir sind daran interessiert, dass die Vereinigten Staaten und die europäischen Länder, die Europäische Union und die NATO zu unseren Freunden und Verbündeten zählen. Und ich glaube, es ist auch im Interesse der Vereinigten Staaten und von Europa, dass Frieden wiederhergestellt wird.

Wir Ukrainer sind diejenigen, die diesen Frieden am meisten wollen. Aber natürlich darf dieser Frieden nicht über unsere Köpfe hinweg verhandelt werden. Und zweitens, er muss den Ukrainern und allen Europäern Sicherheit verleihen.

tagesschau24: Inwieweit würde denn die Ukraine selbst profitieren von diesem Abkommen?

Makeiev: Sehr viele Vorkommen von Seltenen Erden sind noch nicht erforscht. Man muss noch sehr viel Ressourcen und Arbeit investieren. Deswegen geht es heute um eine Investition in die Zukunft. Und nochmals: Es wird im Abkommen stehen, was und wie viel von dem die Ukraine bekommt. Das sind wichtige Verhandlungen - und die stehen an.

"Alles dafür tun, dass die Gräueltaten sich nicht wiederholen"

tagesschau24: Und Sie möchten auf jeden Fall mit am Tisch sitzen, wenn es irgendwann zu Friedensverhandlungen kommt. Man hat sich jetzt schon angenähert - das ist ein erster Schritt. Was könnte denn der zweite sein, und worauf würde sich die Ukraine überhaupt einlassen?

Makeiev: In erster Linie geht es uns um einen gerechten Frieden. Und ein gerechter Frieden ist etwas, was im Völkerrecht klar definiert ist. Die international anerkannten Grenzen der Ukraine schließen die Gebiete ein, die heute von Russland besetzt sind. Es ist etwas mehr als 20 Prozent unseres Territoriums unter russischer Besatzung - und das bedeutet nicht nur Territorium, sondern Millionen von Menschen.

Und es ist auch unsere Aufgabe - die des Präsidenten, der Regierung, der ukrainischen Diplomatie -, dass wir alles dafür tun, dass diese Menschen befreit werden und dass die Gräueltaten, die wir aus täglichen Berichten kennen, sich nicht mehr wiederholen. Deswegen müssen wir unsere Arbeit darauf richten, dass diese Menschen und diese Gebiete befreit werden und dass Russland für die Gräueltaten bezahlt und verantwortlich gemacht wird.

Erwartungen an die neue Bundesregierung

tagesschau24: Aber zunächst gehen diese Gräueltaten weiter. Sie brauchen Waffenlieferungen, das ist ganz wichtig, darauf sind sie angewiesen. Was erwarten und erhoffen Sie sich von der neuen deutschen Regierung?

Makeiev: In erster Linie wollen wir natürlich, dass diese Regierung so schnell wie möglich im Amt ist. Diese Signale haben wir schon von der Politik gehört.

Es hat mich auch sehr gefreut, dass gestern Friedrich Merz im Bundestag bei der Pressekonferenz klar definierte, dass unter den drei wichtigsten Aufgaben an erster Stelle die Außen- und Sicherheitspolitik steht.

Das war nicht der Fall während des Wahlkampfs. Das Thema Frieden und Sicherheit wurde etwas zweitrangiger positioniert. Ich sage: Ohne Sicherheit ist alles nichts.

Das ist auch eine klare Botschaft an die Wählerinnen und Wähler und an die deutsche Bevölkerung. Man muss dafür sorgen, dass die Menschen nachts ruhig schlafen können. Und das ist die Außen- und Sicherheitspolitik.

Was kann Merz mit der SPD als Partner ausrichten?

tagesschau24: Friedrich Merz ist ja durchaus offen, zum Beispiel für "Taurus"-Lieferungen. Aber sein möglicher Koalitionspartner wird die SPD sein, und die ist strikt dagegen. Was kann er ausrichten?

Makeiev: Ich kenne sehr viele Politikerinnen und Politiker, auch in der SPD, die der Ukraine sehr nah sind, die sehr gut verstehen, worum es geht. Etwa Lars Klingbeil - wir kennen uns sehr gut, und er hat das Herz am richtigen Fleck. Boris Pistorius kennt sich wie kaum ein anderer mit dem aus, was die Ukraine militärisch braucht und wie ernst die Lage an der Front ist.

Ich glaube, unter demokratischen Kräften und unter demokratischen Parteien gibt es sehr viele Politiker, die hier auch Farbe bekennen können und klare Kante zeigen. Und die die Ukraine und Europa in eine Position der Stärke bringen, damit wir die Verhandlungen alle zusammen mit Russland führen.

"Bin der Bundesregierung und jedem deutschen Steuerzahler sehr dankbar"

tagesschau24: Wenn Sie zurückblicken auf die Regierung Scholz, wie fällt Ihr Fazit aus? Sind Sie enttäuscht oder glücklich über die Unterstützung, die es gab? Oder hätten Sie sich mehr erwünscht?

Makeiev: Als ich vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland kam, ging gerade im deutschen Bundestag die Diskussion darum, ob ein deutscher Panzer überhaupt gegen einen russischen Panzer im Feld stehen darf. Deutschland hat einen langen Weg durchgemacht.

Deutschland ist unser zweitgrößter Unterstützer. Kein anderes Land hat uns zum Beispiel so viele Flugabwehrsysteme zur Verfügung gestellt. Die sind überlebenswichtig für unsere Energieinfrastruktur, für Zivilisten und für die Armee.

Natürlich gab es typisch deutsche Debatten, sehr lange Debatten über verschiedene Waffenarten und Waffensysteme. Und ich hätte natürlich gerne, dass uns diese Debatten viel schneller zum Ergebnis gebracht hätten. Wir verlieren Zeit, und wir verlieren Menschenleben. Das ist die bittere Realität des Krieges.

Aber im Großen und Ganzen bin ich der Bundesregierung und jedem deutschen Steuerzahler sehr dankbar dafür, dass unsere Armee mit deutschen Waffen, mit deutscher Unterstützung befähigt wurde und dass wir schon seit drei Jahren diese Frontlinie halten und uns und Europa vor der russischen Aggression schützen können.

"Ganz Europa schaut auf Deutschland"

tagesschau24: Sie haben mal gesagt, dass die Ukrainer mehr an die Deutschen glauben als die Deutschen selbst. Wie meinen Sie das?

Makeiev: Bitte zweifeln Sie nicht an den eigenen Möglichkeiten. Ganz Europa schaut auf Deutschland, weil wir wissen: Deutschland ist eine europäische Macht. Deutsche Waffen und Technologien sind den russischen weit überlegen.

Und zusammen, wir alle Europäer, sind viel stärker als Russland. Und Demokratie muss stärker sein als Autokratie. Ich bin voller Hoffnung und voller Zuversicht, dass wir alle zusammen unter der Führungsrolle von deutschen Politikern viel mehr erreichen können.

tagesschau24: Das ging an Friedrich Merz, denke ich mal.

Makeiev: Und an die Deutschen! Glaubt an die Ukrainer und glaubt an Euch selbst.

Das Gespräch führte Romy Hiller, tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 26. Februar 2025 um 17:00 Uhr.