Ukrainische Soldaten an der Front

Sorge vor Abkommen mit Russland "Dann wird die Ukraine einfach verschwinden"

Stand: 21.04.2025 18:41 Uhr

Eine längere Feuerpause im zermürbenden Krieg - die sehnen sich viele Ukrainer herbei. Doch die Sorge vor einem folgenschweren Abkommen mit Russland ist groß. Könnte der Gegner profitieren?

Von Jerzy Sobotta und Aleksander Palikot

Ilja Borsuk steigt aus seinem blauen Minivan. "Ewakuaciya" - also Evakuierung - steht in kyrillischen Lettern in leuchtendem Rot auf der zerbeulten Seitentür. Mit diesem Auto ist er aus dem Donbass geflohen. Und mit diesem Auto hat er drei Jahre lang Menschen aus Städten und Dörfern evakuiert - immer wenn die Front näher rückte.

Er habe das als freiwilliger Helfer getan, manchmal unter russischem Beschuss, erzählt er in einem Park in der ukrainischen Großstadt Dnipro. Ilja Borsuk glaubt nicht, dass der Krieg schnell enden wird.

"Es wird noch ein Jahrhundert dauern, bis es Frieden gibt"

"Wenn es einen Waffenstillstand gibt, dann muss man ihn nutzen, um sich auf den Krieg vorzubereiten." Er erzählt von seiner älteren Tochter: "Sie lernt schon, wie man richtig zielt und schießt. Es wird noch ein Jahrhundert dauern, bis es Frieden gibt."

Seine Tochter ist 13 Jahre alt, die andere drei. Aus einer Kleinstadt in Donezk ist er mit seiner Familie nach Dnipro gezogen, denn ihre Wohnung wurde von einer russischen Rakete zerstört. Auf dem Handy zeigt er ein Foto der Verwüstung.

Das Auto zu langsam, um Granaten zu entgehen

Wenn sein Auto nicht so kaputt wäre, würde er weiter Menschen evakuieren. Aber es fährt nicht mehr schnell genug, um den Granaten zu entgehen. Also repariert er Störsender, die Soldaten vor Kamikaze-Drohnen schützen.

Russland würde einen Waffenstillstand sofort brechen, glaubt Ilja Borsuk. Das habe es schon oft gemacht, in den vergangenen zehn Jahren. "Haben die Ukrainer genug vom Krieg? Ja, haben sie. Aber was ist mit den Jungs und den Mädels in Schützengraben? Was soll man denen sagen? Die haben von allem genug. Aber sie wissen, wenn sie weggehen, dann ist alles vorbei."

Waffenruhe ist auch Thema im Schützengraben

Andernorts, an einer verlassenen Fabrikhalle im Zentrum von Kiew, fliegen Drohnen durch die Luft. Es ist ein Übungsparcours, an dem Soldaten zu Drohnenfliegern ausgebildet werden. Einer von ihnen ist der 42-jährige Dymytro, der bereits drei Jahre kämpft - zuletzt in einer Panzerabwehr-Einheit der III. Sturmbrigade.

Die Soldaten sprechen viel über einen möglichen Waffenstillstand, sagt er. "Alle reden darüber. Auch im Schützengraben direkt an der Front. Natürlich sind wir alle müde und wollen, dass der Krieg endet. Aber die Frage ist: Unter welchen Bedingungen?" Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland sei ein existenzieller Krieg, sagt Dymytro. "Ein Krieg ums Überleben. Wenn jetzt etwas schief geht, dann wird die Ukraine einfach verschwinden."

"Kämpfen bis zum Letzten, bis zum Ende"

Ähnlich sieht es auch sein Kamerad Mykola. Er ist 32 und kämpft in der gleichen Einheit. "Man wünscht sich, dass es alles so schnell wie möglich endet. Aber mit einem guten Abkommen." Sollte es keinen Waffenstillstand geben, "dann kämpfen wir bis zum Letzten, bis zum Ende", sagt Mykola. "Niemand wird einfach verschwinden, auch wenn wir alle müde sind. Aber wir müssen kämpfen, das ist unsere Aufgabe."

Etwas müde wirkt auch Wolodymyr Jermolenko. Er sitzt in seinem Büro in einem modernen Neubau des PEN-Clubs der Ukraine. Jermolenko ist der Präsident des PEN-Clubs, außerdem Philosoph, Universitätsdozent und mit 45 Jahren einer der wichtigsten Intellektuellen der Ukraine.

Russische Ambitionen könnten befeuert werden

Eine Pause der Kampfhandlungen wäre wichtig für das Land, sagt er. Das bestreite niemand. Aber es sei nicht die zentrale Frage. "Wenn diese Pause dazu führt, dass sich alle wieder entspannen. Wenn die Europäer sagen: Nein, diese 800 Milliarden für Rüstung brauchen wir nicht. Wenn die Deutschen doch weniger für Verteidigung ausgeben oder wieder Gas durch Nord Stream fließt. Wenn diese Pause dazu führt, dann werden wir den nächsten Krieg haben."

Es gehe also nicht um eine Pause, sondern um die Frage, wozu diese Pause führen wird, so Jermolenko. "Das Ziel muss sein: Die russischen Ambitionen auf eine imperiale Vorherrschaft in Europa zu verhindern."

Die russische Expansion sei die Ursache dieses Krieges. Und sie wird auch die Ursache sein von künftigen Kriegen, wenn sie nicht militärisch in die Schranke gewiesen wird - davon sind in der Ukraine die meisten überzeugt.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 21. April 2025 um 12:20 Uhr im Deutschlandfunk.