
Verlegung von schwerem Gerät Wie die Bundeswehr für den Ernstfall übt
Deutschland könnte bei einem Angriff auf die NATO-Ostflanke zur Drehscheibe für Truppen und militärisches Gerät werden. Die Bundeswehr zeigt jetzt, wie sie sich auf den Fall der Fälle vorbereitet.
Aufbruch im Morgengrauen in Stetten am kalten Markt in Baden-Württemberg. Noch bevor man das schwere Gerät sieht, hört man es schon. Mit dröhnendem Motor schieben sich die sieben Panzerhaubitzen über die Landstraße. Als erstes biegt das Geschützrohr um die Ecke. Ein ungewöhnlicher Anblick in ländlicher Idylle.
Die NATO will vorbereitet sein
Die Panzerhaubitzen sind auf dem Weg zum Bahnhof. Dort sollen Rekruten die tonnenschweren Fahrzeuge auf Waggons verladen. Eine Routine-Übung, die die Kräfte in Stetten viermal im Jahr durchspielen.
Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die Stimmung eine andere. Der Notfall erscheint plötzlich deutlich realistischer. Zum Beispiel ein Angriff oder eine konkrete Bedrohung auf die NATO-Mitgliedsstaaten an der Ostflanke. Darauf will die Bundeswehr vorbereitet sein und übt inzwischen häufiger - auch, weil im Bundeshaushalt mehr Geld dafür vorhanden ist.
Im Ernstfall könnte ein Großteil der Logistik über Deutschland laufen, Baden-Württemberg würde vermutlich eine zentrale Rolle bei der Verlegung von Truppen spielen. Ob aus den USA, Frankreich oder anderen westeuropäischen Ländern: Gerät sowie Soldatinnen und Soldaten müssten schnellstmöglich Richtung Osten gelangen. Dafür übt die Bundeswehr unter anderem in Stetten. Dort ist das Artilleriebataillon 295 der deutsch-französischen Brigade stationiert.
Blindes Zusammenspiel beim Verladen
"56 Tonnen Kampfgewicht hat die Panzerhaubitze", erklärt Oberstabsgefreiter Justin, Kraftfahrer einer Panzerhaubitze und Teil des Artilleriebataillons 295 Stetten am Kalten Markt. Aus Sicherheitsgründen dürfen wir nur die Vornamen der Soldatinnen und Soldaten nennen. "Das ist schwierig das Ding auf die Bahn zu kriegen, weil das ein bisschen breit ist. Man sieht so gut wie nix, nach unten auf jeden Fall nicht." Die Panzerhaubitze soll über eine Rampe auf einen Bahnwaggon fahren, um schneller größere Strecken zurücklegen zu können. Justin hat dafür einen Einweiser und Kommandanten, der ihn und seine Panzerhaubitze unfallfrei auf den Waggon bringen sollen.
Knapp 50 Soldatinnen und Soldaten verladen bei der Übung die Panzer sowie weitere Fahrzeuge. "Das ist ein blindes Zusammenspiel, ein blindes Vertrauen, das man da zwischen Kommandanten und Kraftfahrer hat", sagt Feldwebel Dominik. Alles funktioniert per Handzeichen, verbale Kommandos gibt es nur selten.
Stück für Stück und in Schrittgeschwindigkeit schiebt sich die Haubitze auf den Bahnwaggon. Es ist eine Millimeterarbeit mit schwerem Gerät. Die Panzer sind breiter als der Waggon selbst, deswegen muss jede Bewegung sitzen. Stehen die Panzer am Ende nicht perfekt in der Spur, kann es eng werden, wenn der Zug durch einen Tunnel muss.
Der Zug ist die beste Alternative
Trotz des aufwändigen Verladens: Der Transport mit dem Zug ist für die Bundeswehr die beste Wahl, sagt Oberstleutnant Chris Weißbrodt, Kommandeur des Artilleriebataillons 295. "Das ist eine sehr kostengünstige, materialschonende Option und relativ schnell." Die Panzer sollen in der Übung Hunderte Kilometer bis in den Norden Deutschlands verlegt werden.
Dort findet in den kommenden Tagen dann ein größeres Manöver statt, an der die Truppe aus Stetten teilnehmen wird. "Wenn ich das jetzt mit einem Landmarsch über 900 Kilometer dahin führen würde, da müsste ich unglaublich viele technische Halte einplanen und rasten. Und ich müsste meine Soldaten ruhen lassen." Der Transport mit der Deutschen Bahn sei die bessere Alternative.
Immer wieder üben für den Ernstfall
Doch nicht alles klappt sofort, Warten ist angesagt. Nicht alle Bahnwaggons, die heute hier sind, halten das Gewicht eines Panzers aus. Die Deutsche Bahn muss erst noch rangieren, Gleise wechseln und andere Waggons ranschaffen. Nach einem ganzen Vormittag stehen die Panzer schließlich auf dem Zug. Die Soldatinnen und Soldaten verzurren die Fahrzeuge noch für die Fahrt nach Norddeutschland. Die Übung hat geklappt.
Feldwebel Christian begutachtet das Ergebnis: "Ich bin absolut zufrieden, da das Spiel mit dem Einweiser, mit dem Kraftfahrer sehr gut funktioniert hat." Die Panzer aus Stetten am Kalten Markt sind bereit für die Abfahrt. Die Vorbereitungen der Bundeswehr auf eine mögliche Bedrohung an der NATO-Ostflanke sind damit aber nicht abgeschlossen. Immer wieder werden sie in Zukunft üben, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein.