
Wahl von Dürr zum Parteichef Christian der Zweite - die Hoffnung der FDP
Die FDP steckt in der wohl größten Krise ihrer Geschichte: Nachdem sie aus dem Bundestag geflogen ist, droht der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Kann der neue Parteichef Christian Dürr sie wieder zum Erfolg führen?
Am Freitag um 12.54 Uhr kommt Christian Lindner zum Ende seiner letzten Rede als Parteichef - und wird ungewohnt emotional: "Mir fällt dieser Abschied nicht leicht, aber der Verstand sagt, dass alles seine Zeit hat." Dann: minutenlanger, rhythmischer Beifall der gut 500 Delegierten im Konferenzsaal des riesigen Tagungshotel in Berlin-Neukölln.
Was nach der Wahlschlappe manche erstaunen mag: Die Partei verabschiedet Lindner mit Dankbarkeit und viel Wertschätzung, nicht als gescheiterten Politiker.
"Es ist nur ein Neuanfang"
"Es mag sich wie ein Nullpunkt anfühlen, es ist aber nur ein Neuanfang." So versucht Christian Lindner Optimismus zu verbreiten. Er stand knapp elfeinhalb Jahre an der FDP-Spitze, länger als alle Vorsitzenden vor ihm.
Sein Erbe ist widersprüchlich: Lindner führte die Partei von 2013 an erst zurück in den Bundestag und schließlich bis in die Ampel-Regierung, er wurde geradezu gefeiert als liberale Lichtgestalt. Und gleichzeitig ist er einer der Hauptverantwortlichen dafür, dass die FDP die Regierung mit SPD und Grünen platzen ließ - und dann bei der vorgezogenen Bundestagswahl mit 4,3 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis holte.

Trotz Wahldebakel: Die Partei verabschiedet Christian Lindner mit viel Wertschätzung
Keine radikale Kurswende
Wie also soll der Neuanfang aussehen? Personell, inhaltlich und strategisch plant die FDP keine radikale Kurswende, eher einen vorsichtigen Wandel. Sie hat auch keine andere Wahl.
Beim Parteivorsitz wurde nach Lindners Rückzugsankündigung bald klar, dass es auf Christian Dürr hinauslaufen soll.
Er ist ein Konsens-Kandidat, der bislang keine überschwängliche Begeisterung ausgelöst hat. Dass er mit 82 Prozent zum Parteichef gewählt wurde, zeigt aber doch einen großen Rückhalt. Viele trauen ihm anscheinend zu, der richtige Mann in schwieriger Zeit zu sein. In seiner Bewerbungsrede hatte Dürr seine Partei zu "Mut zu Entscheidungen" und "mehr Mut zu grundsätzlichen Reformen" aufgerufen.
Team statt One-Man-Show
Dürrs Nachteil: Als Lindner-Vertrauter und Ex-Fraktionschef ist er ein Gesicht der ungeliebten Ampel und der am Ende gescheiterten Regierungszeit. Gleichzeitig ist der 48-Jährige derzeit wohl der einzige, der die verschiedenen Strömungen in der FDP zusammenführen und mit pointierten Statements in Interviews und Talkshows durchdringen kann.
Anders als Lindner, dem oft eine "One-Man-Show" vorgeworfen wurde, setzt Dürr jetzt auf ein Team "aus neuen Köpfen und bekannten Gesichtern". Neben ihm selbst gehört zur Kategorie "bekannte Gesichter" der 73-jährige Wolfgang Kubicki, der erneut einen Vizeposten in der Parteiführung bekam und sich weiter mit provokanten Thesen zu Wort melden dürfte.
Bekannte Positionen
Zu den "neuen Köpfen" gehört die 40-jährige KI-Unternehmerin Nicole Büttner, die sich am morgigen Samstag als neue Generalsekretärin zur Wahl stellt. Büttner soll die Partei modernisieren und den Blick von außen einbringen. Dazu kommen als neue Vizevorsitzende die 35-jährige Svenja Hahn aus Hamburg, derzeit für die FDP im Europäischen Parlament, und der 38-jährige NRW- Landesparteichef Henning Höne.
Inhaltlich und programmatisch steht Dürr für den bisherigen Lindner-Kurs der FDP: Niedrigere Steuern, weniger Bürokratie, Schulden vermeiden, die Aktien-Rente - es sind bekannte Positionen. Viel wichtiger für die Zukunft der Partei dürften die großen Debatten über das Selbstverständnis der Freien Demokraten werden. Ein neues Grundsatzprogramm muss her, da sind sich die meisten einig. Und auch eine Aufarbeitung von Fehlern der letzten Jahre.
Wie viel Protestpartei will die FDP sein?
Einen Vorgeschmack auf die anstehenden Debatten liefert die Aussprache auf dem Parteitag. Es gibt mehr Fragen als Antworten, klare Linien lassen sich noch nicht erkennen, manchmal riecht es schon nach einem echten Richtungskampf: Wofür steht die FDP eigentlich? Welches Gewicht haben die Wirtschaftsthemen? Welches Gewicht soziale Fragen, Bildung, Technologie, Bürgerrechte und persönliche Freiheiten? Wie hart soll man sich abgrenzen von populistischen Positionen und von der AfD?
Sieht die FDP die Meinungsfreiheit in Deutschland als gefährlich bedroht an, wie es manche in der Partei beklagen? Oder lässt man sich da auf ein Kulturkampf-Thema auf dem Niveau der AfD ein? Und schließlich: Wie viel Protestpartei will die FDP sein? Und wie viel konstruktiven Regierungsanspruch und Kompromissbereitschaft soll man zeigen?

Sie soll die Partei mit mordernisieren: KI-Unternehmerin Nicole Büttner
Viel Zeit hat Dürr nicht
Der neue Parteichef muss in den kommenden Monaten Raum schaffen für Fehler-Analysen, für Debatten - und am Ende für einen gemeinsamen Kurs. Allzu lang darf es nicht dauern: Im kommenden Jahr stehen wichtige Landtagswahlen an: Im März 2026 - erst in Baden-Württemberg, einem wichtigen Stammland der Freien Demokraten, und dann in Rheinland-Pfalz, wo die FDP noch an einer Landesregierung beteiligt ist. Gute Ergebnisse wären Pflicht, um den Grundstein für ein Comeback zu legen.
Es wird ein schwieriger Weg. "Die liberale Demokratie ist ohne die liberale Partei nicht denkbar", gibt sich Christian (Lindner) der Erste zuversichtlich. Sein Nachfolger, Christian (Dürr) der Zweite, steht jetzt vor der Aufgabe, Wähler zurückzugewinnen - zum Beispiel enttäuschte Unionswähler. Das Potential ist vorhanden, theoretisch zumindest. Laut ARD-DeutschlandTrend im Mai können sich 31 Prozent der Wahlberechtigten grundsätzlich vorstellen, FDP zu wählen. Sie müssen nur einen Grund finden, es dann auch zu tun.