
Bernhard Vogel Der Ost-West-Ministerpräsident
23 Jahre lang war Bernhard Vogel Ministerpräsident - erst in Rheinland-Pfalz, dann in Thüringen. Damit ist er der einzige Landeschef, der in West und Ost regiert hat. Nun ist Vogel gestorben.
Bernhard Vogel war ein Wanderer: Im wörtlichen Sinn, wenn er seiner großen Leidenschaft folgend zu Fuß durch die Natur lief. Und er war ein politischer Wanderer: Von West nach Ost, von Rheinland-Pfalz nach Thüringen. Der CDU-Politiker, langjährige Ministerpräsident und engagierte Katholik wurde 92 Jahre alt.
Ein West-Import für Thüringen
Erfurt, im Januar 1992: Seit Tagen suchte Thüringen einen neuen Ministerpräsidenten. Plötzlich machte ein Name die Runde, der im politischen Tagesgeschäft schon in Vergessenheit geraten war: Bernhard Vogel - der ehemalige Regierungschef von Rheinland-Pfalz. Vogel selbst war an diesem Tag in einem Wirtshaus in München, wie er später erzählte, wo er einen Anruf aus dem Kanzleramt bekam: "Hoaßt hier oana Vogel?", habe die Kellnerin gerufen.
Vogel erinnerte sich weiter: "Und da war Helmut Kohl am Telefon und sagte, wir sitzen hier im Kanzleramt zusammen, und die einzige Lösung, die allgemeine Zustimmung findet, bist du. Bitte setz dich ins Auto und fahre postwendend nach Erfurt."
Der Bundeskanzler hatte gute Gründe, Vogel aus dem politischen Vorruhestand zurückzuholen. "Es war die Zeit der deutschen Einheit, es war die Zeit eines Neuaufbruchs, eines Neuanfangs. Und da war es doch schon von ganz großer Wichtigkeit, jemand in den neuen Ländern zu helfen ins Amt zu kommen, der eine reiche Erfahrung mitbringt," sagte Kohl später über den Konsenskandidaten Vogel. Dieser Ruf nach Erfurt - es war nicht das erste Mal, dass Helmut Kohl das Schicksal Bernhard Vogels steuerte.
Aufbruch in Rheinland-Pfalz
Zu Beginn seiner politischen Karriere war Bernhard Vogel ein junges Talent unter wesentlich älteren Männern: 1967 wurde er Kultusminister in Rheinland-Pfalz. Peter Altmeier hatte den erst 34-jährigen Vogel in sein Mainzer Kabinett geholt. Der damals noch wenig bekannte Bundestagsabgeordnete Heiner Geißler wurde zeitgleich rheinland-pfälzischer Sozialminister. "Wir beide mussten uns erst daran gewöhnen, dass morgens um neun schon Zigarren geraucht wurden und Spätlese getrunken wurde", lachte Vogel.
Er blieb Kultusminister, als später sein Studienfreund Helmut Kohl Ministerpräsident wurde, und gewann bundesweite Anerkennung für seine Bildungsreformen.

Vogel, bereits Ministerpräsident von Thüringen, verkündet seine Bereitschaft, für den Parteivorsitz der CDU-Thüringen zu kandidieren.
Der Bildungsbürger in der Staatskanzlei
1976 übernahm Vogel das Amt des rheinland-pfälzischen Regierungschefs - Helmut Kohl wechselte nach Bonn. Als Ministerpräsident blieb der Pflichtbewusste nicht nur seinem Arbeitsethos treu, sondern blieb auch immer verbindlich, suchte den Konsens, wie sein Bruder Hans-Jochen Vogel betonte: "Mein Bruder war ja nie einer, der mit dem Kopf durch die Wand wollte. Er hat sich immer in den Situationen so orientiert, dass er seinen Standpunkt vertreten, aber Verletzungen und beginnende Feindschaften immer vermieden hat." So bewahrte Bernhard Vogel Helmut Kohls landespolitisches Erbe: Elf Jahre lang konnte er die absolute Mehrheit der CDU in Rheinland-Pfalz halten.
Christlicher Glaube als politischer Kompass
Es war sein Glaube, der das entscheidende Wertesystem im Leben Bernhard Vogels bildete. Der engagierte Katholik war kein typischer Parteikarrierist - und doch war der Weg in die CDU für ihn der einzig zielführende, wie er sagte. Vogel setzte sich für zeitgemäße Ideen ein, er wollte, dass die Kirche Antworten auf die wirklichen Lebensfragen der Menschen gibt.
Vier Jahre lang war er Vorsitzender des Zentralkomitees Deutscher Katholiken. Für den verstorbenen Mainzer Kardinal Karl Lehmann war Bernhard Vogel "ein Beweis, dass es so etwas wie einen christlich überzeugten Politiker gibt, der keine Scheuklappen hat, der kein Ideologe ist, der nicht an seinem Amt klebt, und der durchaus in andere Bereiche hinein kooperationsfähig ist."
Doch auch dieser innere Kompass schützte Vogel nicht davor, dass seine politische Welt plötzlich aus den Fugen geriet.
"Gott schütze Rheinland-Pfalz"
Enttäuschung bei der rheinland-pfälzischen Landtagswahl 1987: Bernhard Vogels CDU verlor die absolute Mehrheit, musste fortan mit den Liberalen regieren. Schon ein Jahr später lief die Partei ihrem Vorsitzenden spürbar aus dem Ruder. Als es beim Landesparteitag in Koblenz im November 1988 um die Wahl des Parteichefs ging, trat Vogels eigener Umweltminister gegen ihn an. Trotzig machte Bernhard Vogel seine Wiederwahl an die Parteispitze zur Bedingung für sein Verbleiben im Amt als Ministerpräsident.
Vogel scheiterte - und musste die Konsequenzen ziehen. Tief gekränkt rief er der eigenen Partei zum Abschied zu: "Meine Damen und Herren, Gott schütze Rheinland-Pfalz."
Es war erneut Helmut Kohl, der den gestürzten Parteifreund mit einem ehrenvollen Posten versorgte. 1989 machte er Vogel zum Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Für Beobachter ein Abstellgleis. Niemand rechnete damit, dass Bernhard Vogel eine zweite politische Karriere gelingen würde.

Bernhard Vogel 2002 im Thüringer Landtag als Ministerpräsident.
"Das größte Abenteuer meines Lebens"
Als Vogel 1992 schließlich in Thüringen antrat, war die DDR erst seit eineinhalb Jahren Geschichte. Vogels große Herausforderung: aus den ehemaligen Staatsbetrieben Wirtschaftsunternehmen machen. Er war überzeugt, dass das Land gute Verkehrswege brauchte und setzte auf das Mammut-Projekt Waldautobahn quer durch den Thüringer Wald nach Bayern. Parallel dazu setzte er sich für die ICE-Trasse von Berlin über Erfurt nach München ein. Verkehrsadern, für die Bernhard Vogel mehr als zehn Jahre lang kämpfte. Am Ende mit Erfolg.
Auch die Bildung blieb eines seiner wichtigsten Anliegen. So wollte er in Erfurt so schnell wie möglich die Universität neu gründen. Wurde Vogel anfangs als in den Osten abgeschobenes CDU-Relikt abgestempelt, wandelte sich die Stimmung grundlegend: Der "Wessi" wurde zum Landesvater Ost. Vogel selbst meinte, sein Gespür für die ostdeutsche Mentalität habe sich auch bei seiner eigentlichen Leidenschaft entwickelt, dem Wandern durch den Thüringer Wald.
Späte Genugtuung erfuhr Bernhard Vogel 1999. Bei der Landtagswahl erreichte er mit der thüringischen CDU die absolute Mehrheit. Es war einer seiner größten politischen Triumphe. 2003 erklärte Vogel seinen Rücktritt - und blieb doch noch viele Jahre politisch aktiv. Denn eines konnte Bernhard Vogel Zeit seines Lebens gar nicht gut: nichts tun.