
Ein Jahr Genderverbot in Bayern Viel Lärm um sehr wenig?
Gendersprache ist in Bayern seit einem Jahr in Schulen, Hochschulen und Verwaltung verboten. Ministerien werten die Regelung als Erfolg, Kritiker beklagen Ausgrenzung.
Es gibt ein paar wenige Dinge, die Markus Söder nach eigenem Bekunden nicht kann: mit Grünen koalieren, länger auf Fleisch verzichten - und vor allem "gendern". Bei ihm klinge Gendersprache wie Schluckauf, scherzte der CSU-Chef in Wahlkampfreden mehrfach. "Ich finde es super, wenn es jemand kann", rief Söder Anfang März beim politischen Aschermittwoch in Passau. "Mir ist es A zu anstrengend und B zu doof", sagte er unter Jubel der CSU-Anhänger im Saal.
Vor einem angeblichen Genderzwang zu warnen, ist seit Jahren fester Bestandteil von Söder-Reden. Im Dezember 2023 betonte er in einer Regierungserklärung, in Bayern werde es keine Pflicht geben: "Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltungen sogar untersagen."
Keine Verschärfung, sondern eine Präzisierung
Den Worten folgte ein Kabinettsbeschluss, seit einem Jahr ist das bayerische Genderverbot für Schulen, Hochschulen und staatliche Verwaltung in Kraft. Seit 1. April 2024 verbietet die Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) "mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen" wie Genderstern (Mitarbeiter*innen), Doppelpunkt (Bürger:innen), Gender-Gap (Lehrer_innen) oder Mediopunkt (Kund·innen).
Die Regelung gilt im dienstlichen Schriftverkehr für staatliche Beamte und Beschäftigte - und ist im Grunde keine Verschärfung, sondern eine Klarstellung: Schon zuvor legte die AGO fest, dass die bayerische Staatsverwaltung "die Amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung" anwenden muss. Und die Nutzung von Wortbinnenzeichen sehen diese Regeln bisher nicht vor.
Überschaubare Auswirkungen
Die tatsächlichen Auswirkungen sind überschaubar. Für die staatlichen Schulen in Bayern bedeutet das Verbot laut Kultusministerium, dass in der schriftlichen "Kommunikation mit Eltern oder in Veröffentlichungen der Schule, wie etwa in Jahresberichten oder auf der Schulhomepage, mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen nicht zulässig" seien. Kommunale und private Schulen sind daran nicht gebunden.
Für den Unterricht an allen bayerischen Schulen hatte das Kultusministerium schon vor Jahren die amtlichen Rechtschreibregeln "zur verbindlichen Grundlage" erklärt. "Da bereits vorher nach den amtlichen Rechtschreibregeln verfahren wurde und diese keine Genderschreibweise vorsehen, hat sich an den allermeisten Schulen nichts wesentlich verändert", schildert der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, Michael Schwägerl.
Auch der Korrekturaufwand für die Deutschlehrkräfte habe sich nicht erhöht: Schon zuvor hätten sie Gendersternchen markieren müssen, "ohne dass dies in die Bewertung einfließt". In diesem Punkt haben einzelne Bundesländer strengere Regeln, weil dort Wortbinnenzeichen zu Punktabzug führen können.
GEW sieht "sichtbare Form der Ausgrenzung"
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern kritisiert die Vorgaben trotzdem: Das Anstreichen von Gendersternen sei "eine sichtbare Form der Ausgrenzung, auch wenn die Markierung nicht als Fehler zählt". Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) hatte vor einem Jahr andersherum argumentiert: Es gelte, "Diskursräume in einer liberalen offenen Gesellschaft" offenzuhalten. Ideologisch aufgeladene Sprache habe eine "stark exkludierende Wirkung".
An den Hochschulen in Bayern ist laut Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) durch das Genderverbot "Befriedung eingetreten": Es sei sichergestellt worden, "dass niemand das Gefühl hat, dass er zu einem Sprachgebrauch gezwungen ist (...), der nicht der amtlichen deutschen Rechtschreibung entspricht."
Forschung und Lehre nicht an Verbot gebunden
Der Landesstudierendenrat dagegen beklagt, es sei noch immer unklar, wie Personen respektvoll angesprochen werden sollen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren. "Diese Diskriminierung erachten wir nach wie vor als untragbar." Auf den Alltag der Studierenden habe das Verbot aber kaum Auswirkungen: Sie könnten selbst entscheiden, wie sie kommunizieren. Mehrere Hochschulen betonen zudem, das Verbot betreffe nur behördlichen Schriftverkehr. Für Forschung und Lehre gelte es nicht.
In der Verwaltung hat sich die Regelung laut Innenministerium "bewährt und die zugehörige Diskussion zumindest für den Bereich der schriftlichen Kommunikation der Staatsverwaltung bis dato entsprechend befriedet". Auch hier betrifft das Sonderzeichen-Verbot nur die Landesbehörden, die Stadt München dagegen hat in ihrer Allgemeinen Geschäftsanweisung ein Gebot gendersensibler Sprache, das auch für Lehrkräfte an städtischen Schulen gilt.
Keine Disziplinarverfahren
Gab es Sanktionen für Beamte, die trotz des Verbots gegendert haben? "Eventuelle Verstöße oder deren Ahndung erheben wir nicht", heißt es beim Innenministerium. Die Landesanwaltschaft, die Disziplinarbehörde für die meisten bayerischen Beamten, teilt mit, dass "diesbezüglich keine Disziplinarverfahren geführt wurden bzw. aktuell geführt werden".
Also viel Lärm um sehr wenig? Nein, sagt die GEW Bayern. Das Genderverbot sei eine Diskursverschiebung. GEW-Landeschefin Martina Borgendale betont: Aufgabe einer Regierung sei es, alles für den Schutz von queeren Menschen zu tun "und nicht in das Horn der Diskriminierung und Abwertung zu blasen".