
Ein Jahr Teillegalisierung Hat das Cannabisgesetz eine Zukunft?
Seit einem Jahr darf in Deutschland legal gekifft werden - zumindest unter gewissen Voraussetzungen. Wie es mit dem Cannabisgesetz weitergeht, liegt in der Hand der neuen Bundesregierung. Was sagen Polizei, Experten und Richter?
Am 1. April jährt sich das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes in Deutschland zum ersten Mal. Aus verschiedenen Richtungen ist Kritik zu hören: Die Forderungen reichen von einer Abschaffung bis hin zur Reform der Regeln der Teillegalisierung. Entscheidend wird sein, was die nächste Bundesregierung plant - doch Union und SPD haben unterschiedliche Standpunkte.
Union dagegen, SPD eher dafür
Die Union hatte angekündigt, bei einer Regierungsübernahme das Cannabisgesetz umgehend rückgängig machen zu wollen. "Dieses Gesetz schützt Dealer und setzt unsere Kinder und Jugendlichen dem Drogenkonsum und der Sucht aus", heißt es im Wahlprogramm von CDU/CSU.
Ganz anders die Genossen: Die SPD war zwar nie die größte Verfechterin einer Legalisierung, hat das Gesetz als Teil der Ampelkoalition aber mitgetragen. In ihrem Wahlprogramm hieß es: "Bei Cannabis wollen wir, um den Gesundheitsschutz, den Jugendschutz und den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität zu verbessern, die notwendigen Schritte einleiten, um eine europarechtskonforme Legalisierung zu ermöglichen."
Diese Cannabis-Regeln gelten in Deutschland
Am 1. April 2024 wurde der Konsum von Cannabis in Deutschland für Volljährige mit zahlreichen Beschränkungen legal. Für alle unter 18 Jahren ist Cannabis weiterhin verboten. Für Erwachsene ist der Anbau von bis zu drei Pflanzen in privaten Wohnungen erlaubt, aufbewahren darf man bis zu 50 Gramm Cannabis. Zulässig sind seit 1. Juli 2024 auch nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen mit bis zu 500 Mitgliedern, für die ebenfalls viele Auflagen gelten. Der öffentliche Konsum von Cannabis ist stark beschränkt. Cannabis darf nicht in Gegenwart von Jugendlichen konsumiert werden. Außerdem gibt es ein Konsumverbot in Sichtweite von Schulen, Kinderspielplätzen, Kinder- und Jugendeinrichtungen oder Sportstätten.
Suchtforscher: Nicht nur auf Cannabis schauen
In den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen der Parteien spielt das Thema Cannabis bislang keine große Rolle - andere Themen erfordern mehr Aufmerksamkeit. Fachexperte zum Thema Sucht halten die Fokussierung der politischen Debatte auf Cannabis generell für falsch: Mehrere hundert Fachleute aus der Suchthilfe und -forschung drängen die Verhandlungsteams von CDU, CSU und SPD, der Drogen- und Suchtpolitik in den Koalitionsgesprächen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Bislang werde dieses Thema auf die Frage verengt, inwieweit die Cannabis-Legalisierung rückgängig gemacht wird. Diese Schwerpunktsetzung verfehle tatsächliche Lebensrealitäten, "und zwar völlig". Vom Rauchen bis hin zum "pathologischen Glücksspiel" habe rund jeder zehnte Mensch in Deutschland ein Suchtproblem, schreiben die Fachleute. Gleichzeitig gebe es immer weniger Geld "für die Präventionsarbeit in den Schulen, für die Angebote von Beratungsstellen und die überlebenswichtigen niedrigschwelligen Hilfsangebote".
Konkret wird in dem Appell unter anderem ein Werbeverbot für Alkohol- und Tabakprodukte sowie Sportwetten gefordert. "Das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis muss verantwortungsvoll weiterentwickelt werden", heißt es weiter. Zugleich warnen die Forscher vor einer drohenden Opioid-Krise.
Polizei hält Gesetz für zu schwammig
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) will auf jeden Fall nicht zurück zur alten Rechtslage. Sie sieht trotz der Entkriminalisierung des Kiffens in Bezug auf Erwachsene in der Summe keinen Entlastungseffekt für die Polizei. Sie verweist auf den Kontrollaufwand durch die Überwachungen von Konsum-Verbotszonen.
Das Gesetz sei deshalb ein "Mängelexemplar", wie es der stellvertretende Vorsitzende Alexander Poitz zuletzt sagte. Die Polizei habe täglich mit den "Unzulänglichkeiten" des Gesetzes zu kämpfen, sagte Poitz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Reform komplett zu beerdigen, wäre aus seiner Sicht aber der falsche Weg, sagte der GdP-Vize.
Das Problem seien "Unschärfen und fehlende Kontroll- sowie Nachweismöglichkeiten", die auch Bürgerinnen und Bürger verunsichern würden. An jedem Tag, an dem das Gesetz nicht besser werde, werde "weder der Schwarzmarkt eingedämmt noch der Jugendschutz oder die Verkehrssicherheit verbessert", sagte Poitz.
Staat könnten bei Rücknahme Entschädigungsansprüche drohen
Justizkreise warnen ebenfalls vor einem Aus des Gesetzes: Sollte es so weit kommen, entstehen laut der Neuen Richtervereinigung (NRV) hohe Entschädigungsansprüche. "Wenn Anbau und Konsum von Cannabis wieder komplett untersagt würden, käme das einer Enteignung der Cannabis-Clubs gleich", sagte Staatsanwalt Simon Pschorr dem RND. Da Investitionen beim Cannabis-Anbau hoch seien und die Lizenzen laut Gesetz für sieben Jahre galten, rechnet Pschorr mit Beträgen in "nicht unerheblicher Höhe". Mit Blick auf die Pläne der Union sagte Pschorr, der Gesetzgeber müsste ausreichende Übergabefristen gewähren.
Der Staatsanwalt sprach von sehr guten Erfahrungen in der Praxis mit dem Gesetz. "Bei allen Herausforderungen, die mit der Amnestie verbunden waren und die man nicht kleinreden darf, ist die Entlastung der Justiz nicht unerheblich. Ein Zurückdrehen würde bedeuten, dass die Justiz wieder in großem Maße die kleinen Konsumenten verfolgen muss." Damit fehle die Zeit, gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen. Die NRV ist ein Zusammenschluss von Richtern und Staatsanwälten.
Drogendelikte stark rückläufig
Aus Sicht des Bundesinnenministeriums ist es noch zu früh, die Folgen der Reform zu bilanzieren. Eine Sprecherin teilt auf Nachfrage mit, noch ließen sich keine grundsätzlichen Feststellungen zu Auswirkungen der geänderten Rechtslage auf die Arbeit des Bundeskriminalamts und die Organisierte Kriminalität treffen. Ergebnisse einer geplanten Evaluierung sollten in der zweiten Jahreshälfte vorliegen.
Was nicht mehr illegal ist, kann auch nicht mehr bestraft werden - und das zeigt sich mit Blick auf die Polizeiliche Kriminalstatistik. Wie die Welt am Sonntag unter Berufung auf die Statistik vorab berichtet, sind Drogendelikte im vergangenen Jahr um rund ein Drittel gesunken. Der Rückgang sei "deutlich von der Gesetzgebung beeinflusst", zitierte die Zeitung aus der Statistik. So verringerte sich die Zahl der Rauschgiftdelikte um 34,2 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 2024 nur noch gut halb so viele Cannabis-Straftaten.
Psychiater warnt
Aus psychiatrischer Sicht ist die Teillegalisierung von Cannabis problematisch. "Ich erlebe in meiner Ambulanz genau den Effekt, den ich befürchtet hatte: dass viele Patientinnen und Patienten, die sowieso schon betroffen sind, in den letzten Monaten eine Zunahme des Substanzkonsums angeben", sagte Stefan Gutwinski, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité.
Aus Gutwinskis Sicht lohnt sich der Blick nach Kanada, wo Cannabis schon länger legalisiert ist, und wo systematisch Daten auch zur Zahl der Psychosen erfasst würden. "Da sind die Daten sehr eindeutig, dass die Zahlen der Psychosen und der Vergiftungen und des Konsums vor allem unter Jugendlichen zunehmen", sagte Gutwinski.
Dass Cannabis besonders den noch nicht ausgereiften Gehirnen Jugendlicher schadet, haben Studien schon mehrfach gezeigt. Zu den bisher bekannten Folgen regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Pubertät gehört Experten zufolge neben dem höheren Risiko für Psychosen ein um bis zu etwa zehn Punkte sinkender IQ-Wert. Experten gehen davon aus, dass Teenager nun deutlich leichter an Cannabis kommen als zuvor, was der Gesetzgeber eigentlich verhindern wollte.
Gespaltenes Bild in Umfrage
Nicht nur auf den verschiedenen Fachebenen, auch in der Gesellschaft sind die Meinungen geteilt: Dass die Legalisierung rückgängig gemacht werden sollte, befürworten 38 Prozent, wie eine repräsentativ gewichtete Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa ergab. Ebenfalls 38 Prozent sind dafür, die Legalisierung im bisherigen Rahmen zu belassen. Eine noch weitergehende Freigabe mit weniger Beschränkungen befürworten 11 Prozent. Keine Angabe zu dieser Frage machten 13 Prozent.
Die deutliche Mehrheit gab an, weiterhin kein Cannabis zu konsumieren. Seit der Legalisierung kein Cannabis konsumiert haben nach eigenen Angaben 87 Prozent. "Ja, aber nicht aufgrund der Legalisierung", sagten vier Prozent. Aufgrund der Legalisierung gekifft haben demnach drei Prozent.
Trotz dieser Zahlen bewegt Cannabis viele Menschen: Laut Bundestagsverwaltung hat im vergangenen Jahr kaum ein Thema so großes Interesse auf der Seite www.bundestag.de hervorgerufen wie Berichte über das Cannabisgesetz.