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Baden-Württemberg Bundestagswahl 2025: Warum taktisches Wählen deutlich schwerer geworden ist
Die meisten wählen eine Partei aus Überzeugung. Manche wählen aber auch aus strategischen Gründen. Ein Experte erklärt, warum das allerdings immer weniger aufgeht.
Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Normalerweise geben Menschen der Partei ihre Stimme, deren Wahlprogramm oder Kandidaten sie am besten finden. Es gibt aber auch welche, die gerade das nicht tun und taktisch vorgehen. "Sie wählen nicht die eigentlich präferierte Partei, sondern eine andere, weil sie damit ein konkretes Ziel verfolgen", sagt der Politikwissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Das Ziel könnte beispielsweise sein, dass nach einer Bundestagswahl eine bevorzugte Koalition zustande kommt, bestimmte Parteien geschwächt werden oder auch, dass die Stimme nicht verloren ist, weil die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.
Taktisches Wählen: Als CDU-Anhänger der FDP ihre Stimme gaben
Beim taktischen Wählen versuchen die Wählerinnen und Wähler, über die Erst- oder Zweitstimme Einfluss auf das Ergebnis einer Wahl zu nehmen. Die Erststimme entscheidet über die Direktkandidatin oder den Direktkandidaten in den Wahlkreisen, die Zweitstimme bestimmt, wie viele Sitze eine Partei im Bundestag bekommt. "Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder Überlegungen beispielsweise von CDU-Anhängern, die FDP mit der Zweitstimme zu wählen, wenn diese drohte, knapp an der fünf Prozent-Hürde zu scheitern", sagt Brettschneider.
Das sei vor allem in den Zeiten gewesen, wo klare Koalitionsaussagen getroffen wurden - wie 1983 zwischen Union und FDP. Damals hatte die FDP die Koalition mit der SPD aufgekündigt, um dann mit der Union zu koalieren. Auch 1994 halfen taktische CDU-Wähler der FDP. Wahlberechtigte gaben also der zweitliebsten Partei ihre Stimme, um eine bestimmte Konstellation zu ermöglichen.
Das wurde immer wieder als Leihstimmen-Wählen bezeichnet." Frank Brettschneider, Universität Hohenheim
Ein anderes Motiv hatten Wahlberechtigte bei der Landtagswahl 2024 in Brandenburg. Damals hätten viele Anhänger aus anderen Parteien der SPD die Stimme gegeben, um zu verhindern, dass die AfD stärkste Kraft werde, so der Kommunikationswissenschaftler.
Von taktischem Wählen spricht man aber auch dann, wenn die eigene Partei in Umfragen beispielsweise bei 3,5 Prozent liegt und damit wenig Chancen hat, den Sprung in den Bundestag zu schaffen. Dann wählten manche die zweitliebste Partei, um ihre Stimme nicht zu verschenken, sagt Brettschneider.
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Die meisten wählen eine Partei aus Überzeugung, manche aus strategischen Gründen. Professor Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim erklärt, warum das bei der Bundestagswahl 2025 immer weniger aufgeht.
Voraussetzungen für taktisches Wählen haben sich geändert
Kalkuliert zu wählen ist laut Brettschneider mit den Jahren "sehr viel schwerer" geworden. Es sei einfach gewesen, wenn vor einer Wahl klar war, welche Parteien für eine Koalition eine Mehrheit brauchen. Dann hätten sich Wählerinnen und Wähler innerhalb der verschiedenen Lager überlegt, wie sie ihre Stimmen einsetzen könnten. "Das ist heute eben nicht mehr so, weil sich die Lager - schwarz-gelb oder rot-grün - mehr oder weniger aufgelöst haben".
Bei dieser Bundestagswahl kommt seiner Ansicht nach erschwerend die große Zahl an Parteien hinzu, die ins Parlament einziehen könnten. Er hält ein vier-Fraktionen-Parlament mit Union, SPD, Grünen und AfD für möglich oder auch ein acht Fraktionen-Parlament zusätzlich mit FDP, Linkspartei, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und Freien Wählern. Bei dieser Bandbreite sei es unglaublich schwer, das Ergebnis seines taktischen Wählens zu kalkulieren. Die mögliche Koalitionsbildung werde noch unübersichtlicher.
Warum Stimmensplitting dieses Mal verschenkt sein könnte
Bei den vergangenen Bundestagswahlen war das Splitten von Erst- und Zweitstimme sehr populär. So teilten bei der Wahl 2021 laut der Bundeswahlleiterin 24,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen auf.
Für Anhänger größerer Parteien hält er diese Form des taktischen Wählens bei der kommenden Bundestagswahl aufgrund des neuen Wahlrechts allerdings durchaus für "problematisch". Der Grund: Direktmandate, die nicht über die Zweitstimme gedeckt sind, verfallen. Bislang kamen alle Kandidatinnen und Kandidaten größerer Parteien, die ihr Direktmandat im Wahlkreis gewonnen hatten, automatisch in den Bundestag - egal, ob die Partei aufgrund ihrer Zweitstimmen überhaupt so viele Sitze erhielt. Wenn nicht, wurde aufgestockt mit Überhang- und Ausgleichsmandaten. Diese zusätzlichen Sitze wird es künftig aber nicht mehr geben. Nach dem neuen Wahlrecht entscheidet nur noch die Zweitstimme, wie viele Kandidaten einer Partei insgesamt ins Parlament einziehen.
Die Deckelung der Direktmandate bedeutet für die Direktgewählten künftig außerdem, dass ein Sieg im Wahlkreis allein nicht mehr ausreicht. Wichtig ist jetzt auch das persönliche Wahlergebnis. Erreicht eine Partei in einem Bundesland zum Beispiel 20 Sitze, hat aber 25 Wahlkreise gewonnen, dann verpassen fünf Gewinnerinnen oder Gewinner den direkten Sprung in den Bundestag - und zwar diejenigen, die ihre Wahlkreise mit den prozentual schlechtesten Ergebnissen gewonnen haben.
Brettschneider sieht deshalb für Anhängerinnen und Anhänger größerer Parteien einen "Anreiz" darin, ihre Stimmen nicht mehr zu splitten und sowohl Erst- als auch Zweitstimme einer Partei zu geben.