Der deutsch-spanische Schriftsteller José F. A. wohnt im Schwarzwald als Lyriker und Essayist.

Baden-Württemberg Fremd in der eigenen Heimat: Ein deutsch-spanischer Schriftsteller erzählt

Stand: 16.02.2025 07:22 Uhr

Ab wann gehört man dazu? Und wer bestimmt das? Fragen, die sich Schriftsteller José F. A. Oliver aus Hausach im Schwarzwald angesichts der aktuellen Migrationsdebatte stellt.

José Francisco Agüera Oliver lebt seit seiner Geburt im Schwarzwald, in Hausach im Kinzigtal (Ortenaukreis). Der deutsch-spanische Schriftsteller hat andalusische Wurzeln. Seine Eltern kamen in den sechziger Jahren als sogenannte Gastarbeiter aus dem sonnigen Malaga in den Schwarzwald. Er ist verwurzelt in Hausach, spricht deutsch, alemannisch, hochspanisch. "Also, wer bin ich?", fragt José F. A. Oliver, "Ab wann gehöre ich dazu? Wer bestimmt das? Und was heißt Remigration?"

Das Gefühl des Fremdseins

In seiner umgebauten Werkstatt mitten in der kleinen Stadt Hausach findet der Lyriker Ruhe zum Schreiben. In der Mitte der großen Wohnküche steht ein breiter Holztisch. An den Wänden hängen Postkarten, Masken, Zeichnungen und Gemälde.  Aus der schwarz glänzenden Espressomaschine tröpfelt die schwarze, dampfende Flüssigkeit in eine kleine Tasse, sein Muntermacher am Morgen. Sein neuer Essayband heißt "In jeden Fluss mündet ein Meer". Er erzählt in Gedichten und Essays, wie sich für ihn das Andalusische mit dem Alemannischen verband, das Spanische mit dem Deutschen. Doch mit den aktuellen Migrationsdebatten hole ihn das Gefühl des Fremdseins wieder ein.

In seinem Zuhause in Hausach fühlt der Schriftsteller sich wohl. Hier entstehen Essaybände wie "In jeden Fluss mündet ein Meer".

In seinem Zuhause in Hausach fühlt der Schriftsteller sich wohl. Hier entstehen Essaybände wie "In jeden Fluss mündet ein Meer".

Nach 63 Jahren: Oliver wird täglich auf Migrationsgeschichte angesprochen

Aktuell werde er jeden Tag wegen seiner Migrationsgeschichte angesprochen, sagt Oliver - und das, obwohl er seit 63 Jahren in seinem Geburtsort Hausach lebt: "Man kann mich ins Krankenhaus zurückbringen in Hausach. Aber das existiert nicht mehr. Also wohin? Ich bin niemals gekommen. Ich war immer da." In Büchern wie "Mein andalusisches Schwarzwalddorf" oder "Fremdenzimmer" verarbeitet der deutsch-spanische Schriftsteller auch seine Geschichte als "Gastarbeiterkind".

Mit dem Schreiben beginnt er schon als Jugendlicher. Schreiben, erzählt er, war damals nichts anderes für ihn, als auf der Suche nach seiner Identität Fragen zu stellen. José machte schließlich als "erster Schüler ohne deutschen Pass" in Hausach sein Abitur. Später schreibt er eine poetische wie amüsante Narrenchronik und gründet in Hausach ein Zunftarchiv. Er dichtet auf alemannisch und liebt die Narren mit Maske und Häs.

Der Hausaucher Ehrenbürger wird bedroht

Für seine herausragenden Verdienste machen ihn die Hausacher zum Ehrenbürger. Bundespräsident Steinmeier verleiht Oliver für sein kulturelles Engagement das Bundesverdienstkreuz am Bande. Der Lyriker erhält unzählige Preise, wie etwa den Heinrich-Böll-Preis im Jahr 2021.

Trotzdem erlebt er immer wieder Beleidigungen und Anfeindungen und erhält eine Drohung mit der Aufforderung zu gehen. "Packen Sie Ihre Bücherkiste und gehen Sie nach Gengenbach oder sonst wohin, auch in Ihrem Interesse", zitiert er einen Brief. "Das ist für mich eine Drohung, die mir Angst macht. Denn wenn ich das nicht mache, dann passiert vielleicht etwas", sagt der Schriftsteller.

Immer wieder das Gefühl zu haben, hier nicht in Sicherheit leben zu können und das derzeitige Erstarken der AfD machen ihm Angst. Rechtsextreme hatten ihn schon einmal verprügelt, seine Mutter wurde in den sechziger Jahren von Neonazis angeschossen. Jetzt werde wieder Misstrauen und Hass gegen Menschen mit Migrationsgeschichte geschürt, so José F. A. Oliver. 

Ich will wissen, was bewegt die Menschen, die einerseits zu solchen Hasstiraden fähig sind, die so entwürdigend mit Menschen umgehen und gleichzeitig aber für sich das Wort Demokratie in den Mund nehmen. José F. A. Oliver, deutsch-spanischer Schriftsteller

Sprachmissbrauch: Besonders in Wahlkampfzeiten

José Oliver beschäftigt, was Sprache anrichtet, welche Wunden und Narben Wortwahl und Tonalität hinterlassen. Begriffe wie "Zustrombegrenzungsgesetz", "Wirtschaftsflüchtling" oder "Asyltourismus" verstörten und verletzten viele Menschen mit Migrationsgeschichte, so Oliver. Der Schriftsteller sagt: "Ich will wissen, was bewegt die Menschen, die einerseits zu solchen Hasstiraden fähig sind, die so entwürdigend mit Menschen umgehen und gleichzeitig aber für sich das Wort Demokratie in den Mund nehmen."

Mein frommer Narrenwunsch: Ach, wüchsen den zündelnden Gestalten doch nur riesige Pinocchio Nasen, sobald sie den Mund aufmachten! José F. A. Oliver, alemannischer Lyriker
Vita des Schriftstellers José F. A. Oliver
José F.A. Oliver ist andalusischer Herkunft. Er wurde 1961 in Hausach (Ortenaukreis) im Schwarzwald geboren, wo er als Lyriker und Essayist lebt. Außerdem ist er als literarischer Übersetzer von Lyrik tätig, hauptsächlich aus dem Spanischen ins Deutsche und umgekehrt. Er ist Kurator des von ihm initiierten Literaturfestivals Hausacher LeseLenz. Von 2022 bis 2024 war er Präsident des PEN Zentrums Deutschland. Oliver hatte mehrfach Poetik-Dozenturen inne:  M.I.T. (Cambridge/ USA), TU Dresden, LMU München, Universität Bayreuth. Er hat gemeinsam mit dem Literaturhaus Stuttgart Schreibwerkstätten für Schulen entwickelt, um die Sprachsensibilität von Kindern und Jugendlichen zu fördern und ihr Verständnis für den Umgang mit Literatur zu erweitern. Oliver wurde mehrfach ausgezeichnet - unter anderem mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis (1997), dem Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg (2007), dem Basler Lyrikpreis (2015) und dem Heinrich-Böll-Preis (2021).