Corona: Die Konstanzer Imperia mit Corona-Schutzmaske

Baden-Württemberg Fünf Jahre Corona: Das haben Menschen am Bodensee und in Oberschwaben erlebt

Stand: 01.02.2025 06:00 Uhr

Fünf Jahre ist es her, dass der erste Corona-Fall in Deutschland gemeldet wurde. In Windeseile änderte sich das Leben am Bodensee und in Oberschwaben - mit Folgen bis heute. Menschen aus der Region Bodensee-Oberschwaben berichten.

Mit dem ersten Corona-Fall in Deutschland Ende Januar 2020 beginnt eine schwere Zeit - auch am Bodensee und in Oberschwaben. Rund 541.000 Menschen steckten sich nach Behördenangaben in den ersten zwei Jahren in der Region mit dem Coronavirus an - gut 1.700 Menschen starben an oder mit dem Virus. Dazu bestimmten fortan lange Zeit Masken, Lockdowns und sogenannte AHA-Regeln den Alltag. Es gab aber auch kreative Lösungen, um der Pandemie zu begegnen. Wie haben Menschen in der Region die Pandemie erlebt? Was für Erkenntnisse sind geblieben?

Erster Corona-Fall in Deutschland: Bald darauf erreicht das Virus den Bodensee

Belastungsprobe für die Krankenhäuser am Bodensee und in Oberschwaben

Corona-Pandemie - Kinderzimmer statt Klassenraum

Fünf Jahre später - was ist in Behörden und Krankenhäusern aus der Corona-Zeit geblieben

Erster Corona-Fall in Deutschland: Bald darauf erreicht das Virus den Bodensee

Rund 150 Kilometer vom Bodensee entfernt in der bayerischen Stadt Stockdorf bei München ist Ende Januar der erste Corona-Fall in Deutschland gemeldet worden. Patient 1 hatte sich in einer Besprechung bei einer aus China angereisten Mitarbeiterin angesteckt. Das Coronavirus nahm nun auch in Deutschland Fahrt auf. Einen guten Monat später war es auch in der Region Bodensee-Oberschwaben soweit: Am 3. März wurde im Bodenseekreis der erste Fall gemeldet. Nur einen Tag später folgten vier weitere.

Schulleiter Robert Barthold von der Mittelberggrundschule in Biberach sind die Anfänge der Pandemie noch immer gut in Erinnerung: Ein Tagesschau-Bericht zum ersten Corona-Fall in Deutschland, wenig später schon folgen Entscheidungen im Eiltempo. Auch Schauspieler und Kabarettist Uli Boettcher, der das Hoftheater in Baienfurt im Kreis Ravensburg betreibt, erinnert sich noch genau daran, wie er Anfang des Jahres 2020 auf einer Fahrt zu einem Auftritt in die Schweiz von dem Virus aus China hörte. Damals, so erzählt er, habe er das Virus noch nicht sonderlich ernst genommen. Erst mit dem ersten Lockdown sei ihm die ganze Tragweite bewusst geworden. "Ich hab es nicht geglaubt, bis zu dem Moment, wo es soweit war".

Anders sieht das beim Klinikverbund Oberschwabenklinik (OSK) aus. Schon kurz nach dem Jahreswechsel und den ersten Berichten aus China liefen die Vorbereitungen für eine Krankheitswelle, erzählt Timo Gentner, der als Arzt die Notaufnahme vom Westallgäu-Klinikum in Wangen im Allgäu (Kreis Ravensburg) leitet. Er war während der Pandemie Mitglied des Corona-Krisenstabs des Klinikverbundes: "Wir wollten einfach gut vorbereitet sein." Kurz vor dem ersten Fall im Kreis Ravensburg am 9. März fühlte er in sich eine Mischung aus Angst und Anspannung. Ihm war klar, die Corona-Fälle werden kommen.

Belastungsprobe für die Krankenhäuser am Bodensee und in Oberschwaben

"Wir hatten ein Gefühl, dass dieses Problem relativ schnell nicht nur zu einem chinesischen Problem ausweiten würde, sondern dass die Erkrankung auch zu uns finden wird", sagt Oberarzt Timo Gentner vom Westallgäu-Klinikum in Wangen. Spätestens mit den ersten Bildern aus Italien sei klar gewesen, dass dort etwas Großes auf uns zukomme. Schon wenige Tage nach dem ersten Patienten im Krankenhaus habe sich eine wahnsinnige Dynamik entwickelt - auch was die Behandlung des Virus angeht. Praktisch täglich gab es neue Empfehlungen vom Robert Koch-Institut, wie den Menschen am besten geholfen werden kann.

Dr. Timo Gentner im Krankenhaus

Aus Sicht von Timo Gentner ist das Land insgesamt gut durch die Pandemie gekommen.

Für Timo Gentner und seine Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern in der Region Bodensee-Oberschwaben waren es herausfordernde Zeiten. Zum einen sei dort die emotionale Belastung gewesen, erzählt er: eigene Ängste, die Begleitung der Patienten, Todesfälle.

Ich habe anfangs meine Schutzausrüstung immer mehrfach überprüft, sitzt die Maske auch wirklich richtig, (...) hab mich dann manchmal auch einfach mehrfach noch mal zusätzlich desinfiziert, um ja selber gesund zu bleiben und natürlich auch niemanden anzustecken. Timo Gentner, leitender Arzt der Notaufnahme im Westallgäu-Klinikum

Zum anderen ist es für die Krankenhausmitarbeiter aber auch eine körperlich anstrengende Zeit: Gerade die lange Arbeit in der Schutzausrüstung, vor allem in der Pflege, sei sehr belastend gewesen. Dazu kamen natürlich auch im Personal Ausfälle. Die erste Corona-Welle allerdings sei nicht die größte Herausforderung gewesen. "Damals wurde das Gesundheitssystem ja heruntergefahren", erinnert sich Timo Gentner. Das Problem sei am Anfang vor allem fehlendes Material gewesen. An einem Wochenende etwa drohten FFP2-Masken auszugehen - eine Firma vor Ort konnte kurzfristig mit einer Kiste aushelfen.

Die Krankenhäuser an die Grenzen gebracht haben laut Timo Gentner allerdings erst die beiden darauffolgenden Winter: "Ich erinnere mich an Phasen, wo das halbe Krankenhaus für Corona-Patienten genutzt wurde und 14 von 14 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt waren, die Beatmungsunterstützung gebraucht haben." Die Leistung des Teams während der Pandemie beeindruckt ihn heute noch immer. Vieles habe nur gelingen können, weil alle sich unterstützt haben und schnell anpassungsfähig waren. Im deutschen Gesundheitssystem habe die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Es habe Defizite aufgezeigt, aber auch verstärkt.

Coronavirus - Kultur in Deutschland muss hinten anstehen

So rasant wie sich das Coronavirus ausbreitet, so schnell wurden auch die Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung zu stoppen. Im Bodenseekreis war schon Anfang März klar, die großen Messen in der Stadt werden in diesem Jahr nicht stattfinden. Große Veranstaltungen, aber auch ein einfacher Besuch im Restaurant - das alles war auf einmal nicht mehr möglich: Am 22. März 2020 trat in Baden-Württemberg der erste Lockdown in Kraft.

"Am Anfang passiert sehr, sehr viel. Man reagiert bloß auf die jeweiligen Ansagen und erst nach den ersten zwei, drei Lockdownwochen wurde es klar, was es bedeuten könnte", sagt Schauspieler und Kabarettist Uli Boettcher, der auch Gesellschafter des Hoftheaters Baienfurt ist. Neben der Bühne bietet es auch noch ein Restaurant.

Schauspieler und Kabarettist Uli Boettcher auf der Bühne

Schauspieler und Kabarettist Uli Boettcher auf der Bühne

Es war so absurd, (...) ich konnte es nicht glauben. Ich habe niemandem etwas Böses unterstellt. Ich dachte nur einfach, es war ein bisschen wie ein Traum". Uli Boettcher, Schauspieler, Kabarettist und Moderator

Wie viele andere in der Kultur- und Gastroszene versuchten er und sein Team mit Kreativität der Situation zu begegnen: Kulturangebote übers Internet, ein Dinner serviert auf dem Parkplatz. Den Mut genommen habe ihm die Zeit nie, sagt Uli Boettcher. Gerade im ersten Lockdown erlebte er auch viel Positives. Berührt hat ihn etwa, wie viel Wertschätzung und Unterstützung ihnen damals entgegengebracht wurde. Besucherinnen und Besucher spendeten, auch die Gemeinde Baienfurt half dem Hoftheater. Darüber hinaus brachte die Krise Künstler und Beschäftigte aus den verschiedensten Bereichen zusammen. Dabei sei es nicht ums Geld gegangen, sondern darum, dem Trübsal in der damaligen Zeit etwas entgegenzusetzen.

Belastender hingegen erlebte Uli Boettcher den späteren Diskurs in der Gesellschaft. Impfgegner, Impfbefürworter, für oder gegen Maßnahmen - durch sämtliche Freundschaftsschichten zogen sich auch bei ihm die unterschiedlichen Meinungen. Es sei ein Glaubenskrieg gewesen, der da stattgefunden habe, erzählt er. Ihm habe es geholfen, das Thema auszuklammern. Auf der Arbeit war für ihn und das Leitungsteam klar, es gelten die Regeln, egal, wie sinnvoll sie sind oder nicht. Es brauche einen Konsens, man könne nicht jeden Schritt ausdiskutieren mit Mitarbeitern und dann auch noch mit Gästen, so Boettcher.

Die Spaltung in der Gesellschaft ist seiner Meinung noch immer zu spüren und zeigt sich auch in der politischen Diskussion. Mehr Demut, weniger Spaltung - das wünscht sich Uli Boettcher. Es sei ein Problem, das nicht allein auf Corona zurückzuführen, aber durch die Pandemie stark befeuert worden sei. Er hofft darauf, dass die Zeit emotionslos aufgearbeitet wird, um Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Kein Zaun für die Liebe! Paare zwischen Konstanz und Kreuzlingen finden sich wieder
Ein Archivfilm zeigt, wie im Mai 2020 der Grenzzaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen in der Schweiz wieder abgebaut wird. Zwei Monate lang stand er wegen der Corona-Pandemie.

Corona-Pandemie - Kinderzimmer statt Klassenraum

"Eine Schulschließung und das innerhalb kürzester Zeit, komplett den Lockdown hinzubekommen und zu sagen, alle bleiben dort, wo sie sind, das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können", sagt Robert Barthold, Schulleiter der Grundschule Mittelberg in Biberach. Er ist auch geschäftsführender Schulleiter in der Stadt und damit für die gemeinsamen Belange der Biberacher Schulen zuständig. Gleich zu Beginn stellt die Pandemie ihn und seine Kolleginnen und Kollegen vor eine der schwierigsten Entscheidungen. Im März 2020 waren sie es, die auf einmal an einem Freitagabend entscheiden mussten, ob die Schulen in der kommenden Woche aufmachen oder nicht. Die Misere sei damals auf dem Rücken der Schulleiter ausgetragen worden, sagt Robert Barthold. Er und seine Kollegen fühlten sich im Stich gelassen.

Schulleiter Robert Barthold

Den Biberacher Schulleiter Robert Barthold hat die Solidarität unter den Menschen während der Pandemie beeindruckt.

Die Corona-Pandemie verlangte Schülern, Lehrern und Eltern viel ab: Homeoffice, Digitalisierung im Eiltempo, soziale Kontakte nur wohl dosiert. Dennoch sieht Robert Barthold auch die positiven Seiten der Zeit. Die Pandemie habe viel Kreativität und Solidarität befördert. Man habe bewiesen, das man zueinander stehen kann, auch mit Abstand.

Eine große Herausforderung für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen stellte damals der Informationsfluss dar. Manches erfuhren sie bereits über die Presse, noch bevor es über die offiziellen Kanäle zu Ihnen gelangt war. Hintergrund dafür sei aber auch die schwierige Grundsituation gewesen - die Abwägung vom Recht auf Bildung und dem Gesundheitsschutz.

Bei den Kindern habe die Zeit Spuren hinterlassen, erzählt Robert Barthold. Nicht nur die Zeit zu Hause, auch die erste Zeit, als die Schulen wieder öffneten, trug ihm zufolge dazu bei. So hätten die Schülerinnen und Schüler einer stark reglementierten Umgebung gegenübergestanden, mit Abstandsregeln, versetzten Pausenzeiten und halben Klassen. Auffallend bei ihm an der Schule sei aber auch, dass die Selbstständigkeit der Kinder gelitten habe. Robert Barthold führt dies unter anderem auf die starke Abhängigkeit der Grundschüler von ihren Eltern während der Pandemie zurück. Ob es ausschließlich ein Corona-Phänomen sei oder ein Trend in unserer Gesellschaft, darüber könne man reden. Seiner Meinung nach sei die Entwicklung aber seit Corona deutlich stärker zu erleben.

Auch die Schüler der Grundschule Fischbach müssen eine Corona-Schutzmaske tragen

Auch die Schüler der Grundschule Fischbach müssen eine Corona-Schutzmaske tragen.

Die Corona-Pandemie hat den Schulen seiner Auffassung nach aber auch einen Digitalisierungsschub gebracht - auch in den Grundschulen. So gäbe es eine neue Selbstverständlichkeit, mit der Kinder im Unterricht Tablets bedienen, um zu recherchieren oder auf Lernplattformen zu gehen. Und auch unter den Lehrern habe sich der Austausch auf digitalem Weg gewandelt.

Das Arbeitsheft ist auch noch da, wird aber eigentlich immer ergänzt, um irgendwelche digitalen Angebote. Robert Barthold, Schulleiter Grundschule Mittelberg und geschäftsführender Schulleiter in Biberach

Mit Blick auf die vergangenen Corona-Jahre richtet Robert Barthold sein Dank an die Politiker, die sich trotz aller Schelte immer noch bereit erklären, Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig wünscht er sich für die Zukunft mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation. Es dürften nicht Dinge als Wissen verkauft werden und drei Tage später werde es wieder revidiert, weil man ein neues Wissen habe.

Fünf Jahre nach erstem Corona-Fall - was ist in Behörden und Krankenhäusern aus der Corona-Zeit geblieben

Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Fall in Deutschland werden den Gesundheitsämtern in der Region Bodensee-Oberschwaben noch immer Corona-Fälle gemeldet. Noch immer sterben Menschen im Zusammenhang mit einer Corona-Erkrankung. Da keine Testpflicht mehr bestehe, seien die Erkrankungszahlen aber nicht mehr repräsentativ, heißt es von den Landratsämtern in der Region. Das Coronavirus ist inzwischen Alltag geworden. Wie das Biberacher Sana Klinikum schreibt, gehört Covid-19 als Infektionserkrankung zwischenzeitlich dazu.

Vieles habe man aus den Corona-Jahren gelernt, heißt es von den Landratsämtern in der Region Bodensee-Oberschwaben. Bei den Behörden seien Strukturen und Abläufe für den Krisenfall verbessert worden. Im Kreis Biberach etwa wurde ein Katastrophenschutzlager geschaffen, um in Ausnahmesituationen wie einer Pandemie noch effizienter Material verteilen zu können. Auch die Digitalisierung sei voran geschritten. Der Kreis Sigmaringen hat mit Geld vom Bund beispielsweise mehr Stellen im Gesundheitsamt geschaffen.

Auch die Krankenhäuser in der Region konnten in dieser Zeit wichtige Erfahrungen sammeln. Vor allem das frühe Erkennen von Infektionskrankheiten habe noch einmal ein besonderes Gewicht bekommen, teilen das Sana Klinikum Biberach und der Verbund Oberschwabenklinik (OSK) mit. Die Pandemie hat aber auch dazu geführt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Gesundheitssektor den Rücken gekehrt haben. Viele seien auch nicht zurückgekehrt, so die OSK.

Sendung am Sa., 1.2.2025 6:30 Uhr, SWR4 BW Studio Friedrichshafen

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