Schülerinnen und Schüler einer vierten Klasse einer Grundschule nehmen am Unterricht teil, während sich eine Schülerin meldet.

Baden-Württemberg Grundschulempfehlung in BW: Gericht zweifelt an Rechtmäßigkeit von Potenzialtests

Stand: 09.04.2025 12:49 Uhr

In diesem Jahr gilt für Viertklässler erstmals wieder ein strengeres Verfahren beim Übergang aufs Gymnasium. Daran äußert nun ein Gericht Zweifel - zumindest an einem Element.

Wollen Eltern ihr Kind trotz einer anderslautenden Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg aufs Gymnasium schicken, muss das Kind seit Kurzem einen zusätzlichen Potenzialtest absolvieren. Nun hat ein Gericht Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Teils der Neuregelung geäußert. Es bestünden nicht unerhebliche Bedenken in Bezug auf die Rechtsgrundlage des Potenzialtests und damit dessen Rechtmäßigkeit, heißt es in einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 4. April 2025.

Der Potenzialtest wurde im Februar 2025 erstmals durchgeführt und ist ein Element der verbindlicheren Grundschulempfehlung, die für die derzeitigen Viertklässlerinnen und Viertklässler erstmals greift. Insgesamt hatten am 18. Februar 2.075 Schülerinnen und Schüler an dem Potenzialtest teilgenommen. Das entspricht in etwa zwei Prozent aller Viertklässler. Rund ein Drittel (31 Prozent) haben den Test laut Kultusministerium bestanden.

So hat der SWR am 18. Februar 2025 über die Potenzialtests berichtet:

An Stelle des reinen Elternwillens steht bei der Grundschulempfehlung ein Modell aus drei Komponenten: die Empfehlung der Lehrkräfte, der stark umstrittene Leistungstest "Kompass 4" und der Elternwunsch. Stimmen zwei von drei überein, soll das den Ausschlag geben. Der Potenzialtest für Grundschulkinder hat bereits für viele Diskussionen gesorgt. Er wird an den Gymnasien durchgeführt und von Lehrkräften dort korrigiert. Bereitgestellt wird er vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW).

Gericht: Wesentliche Entscheidungen nicht der Schulverwaltung überlassen

Genau das sieht das Verwaltungsgericht Karlsruhe kritisch. Staatliche Bestimmungen müssten einen Sachverhalt umso detaillierter regeln, je intensiver der entsprechende Eingriff in Grundrechte sei, argumentierten die Richterinnen und Richter: "Wesentliche Entscheidungen im Schulwesen muss der Gesetzgeber selbst treffen und sie dürfen nicht der Schulverwaltung überlassen werden."

Die zuständige Kammer habe Zweifel geäußert, ob das bei den Regeln zum Potenzialtest der Fall sei, teilte das Gericht mit. Weder das Schulgesetz noch die Aufnahmeverordnung legten Mindestvoraussetzungen des Tests vor, um an einem Gymnasium aufgenommen zu werden. Stattdessen werde das dem IBBW überantwortet.

Die maßgebliche Verordnung lege fest, dass im Potenzialtest die erforderlichen Mindestwerte für das Anforderungsniveau des Gymnasiums erzielt werden müssen, teilte hingegen ein Sprecher des Kultusministeriums mit. "Die Festlegung, welche Leistung im Test für das gymnasiale Niveau ausreichend ist, ist eine fachliche Einschätzung, die von dem Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Aufgabenstellung abhängt." Auch bei zentralen Prüfungen wie etwa dem Abitur sei nicht in einer Verordnung oder einem Gesetz festgelegt, wie viel Punkte man zum Bestehen erreichen müsse, so der Sprecher.

Kultusministerium kritisiert Mitteilung des Verwaltungsgerichts zum Potenzialtest

Kritik an der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zum Potenzialtest kommt wiederum vom Kultusministerium. Laut Ministerium sind die Gerichtsverfahren, die sich mit dem Übergangsverfahren von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen befassen, bisher alle zu Gunsten des Kultusministeriums ausgegangen, heißt es in einer eigenen Einordnung. Insbesondere seien die ins Feld geführten Bedenken, die Regelung sei zu spät gekommen, so dass es sich um eine unzulässige Rückwirkung handele, ausdrücklich nicht bestätigt.

Auch das Verfahren, in dessen Entscheidung sich das VG Karlsruhe mit der Bestehensgrenze beim Potenzialtest befasst hat, wurde vom Land gewonnen, nicht verloren, so das Kultusministerium. Dabei gehe es auch nicht um die Rechtmäßigkeit der Potenzialtests als solchen, so das Ministerium weiter. Vielmehr habe sich das Gericht mit der Frage befasst, ob das Land die Bestehensgrenze für den Potenzialtest hätte ausführlicher in einem Gesetz oder einer Rechtsverordnung regeln müssen.

Das Kultusministerium teile die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht und wolle die vielen Schülerinnen und Schüler, die den Potenzialtest bestanden haben, auch nicht verunsichern. Deren Anmeldung an einem Gymnasium auf Grundlage des Potenzialtests habe nach wie vor Bestand, heißt es weiter.

Opposition sieht "juristische Ohrfeige" für die Landesregierung

Das Karlsruher Verwaltungsgericht Gericht hatte über mehrere Eilanträge von Eltern zu entscheiden, die erreichen wollten, dass für ihre Kinder noch die alte Regelung zum Übergang aufs Gymnasium gilt. Diese Anträge lehnte das Gericht ab, äußerte aber dennoch seine Bedenken mit Blick auf den Potenzialtest. Die Beschlüsse sind noch nicht rechtskräftig

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nannte die Entscheidung des Gerichts eine "juristische Ohrfeige" an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (beide Grüne), wie sie "schallender kaum sein könnte". In Rekordzeit habe es Grün-Schwarz geschafft, nahezu jegliches Vertrauen in die neue Grundschulempfehlung zu verspielen.

Bereits "Kompass 4" als neues Element der verbindlicheren Grundschulempfehlung hat die grün geführte Landesregierung frontal gegen die Wand gefahren - und dabei bis heute keinerlei Einsicht oder Reue gezeigt, geschweige denn Konsequenzen gezogen. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke

Um den Leistungstest "Kompass 4" gab es heftige Diskussionen. Eltern- und Lehrerverbände monierten, dass die Fragen vor allem in Mathematik deutlich zu schwer gewesen waren. Nach Angaben des Kultusministeriums erreichten in Mathe nur sechs Prozent der Teilnehmenden das Gymnasialniveau. 87 Prozent landeten auf dem grundlegenden Niveau, sieben Prozent auf dem mittleren. In Deutsch fiel der Test besser aus.

Sendung am Mi., 9.4.2025 6:30 Uhr, SWR3 Nachrichten

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