Der Bund will den Zuschuss für die Behandlung von traumatisierten Geflüchteten 2025 halbieren. Das kritisieren Expertinnen und Experten aus Baden-Württemberg (Symbolbild).

Baden-Württemberg Hilfe für traumatisierte Geflüchtete in BW - Fachkräfte und Mittel fehlen

Stand: 08.02.2025 14:58 Uhr

Der Bund will den Zuschuss für die Behandlung von traumatisierten Geflüchteten 2025 halbieren. Ein Fehler, findet eine Expertin aus BW auch mit Blick auf die Attentate in Solingen und Aschaffenburg.

Die Büroräume des psychosozialen Zentrums Refugio liegen nah am belebten Wilhelmsplatz in Stuttgart Bad-Cannstatt. Die Psychologin Ulrike Schneck telefoniert dort mit einer Dolmetscherin, die ein Beratungsgespräch mit einem afghanischen Geflüchteten auf Dari übersetzen soll. Dari ist eine der Hauptsprachen in Afghanistan. Mit ihrem Team berät Ulrike Schneck Geflüchtete, die Krieg, Folter, Terror, Vertreibung und Gewalt erlebt haben und stark unter der seelischen Belastung leiden.

Kopfschmerzen, Schlafprobleme und Ängste

Typische Symptome seien Schlafprobleme, Ängste, psychosomatische Probleme wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Bauchschmerzen, erklärt die Leiterin Schneck. Bei ihr und ihrem Team gehen zahlreiche Anrufe ein: meist Sozialarbeiter, Rechtsanwälte oder Ärztinnen, die auf einen Termin für ihre traumatisierten Klienten hoffen.

Viele können sich nicht konzentrieren, manche sind leicht reizbar, andere selbstmordgefährdet. Ulrike Schneck, Refugio Stuttgart

Laut Jahresbericht 2023 kommt über die Hälfte der Geflüchteten, die bei Refugio Rat und Hilfe suchen, aus Afghanistan. Aber auch aus Ländern wie der Türkei, dem Irak, Kamerun, Nigeria, Syrien, dem Iran oder der Ukraine.

30 Prozent der Geflüchteten leiden unter Traumafolgestörungen

Die Zahlen im psychosozialen Versorgungsbericht 2023 der Bundesarbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folteropfer (BAfF), zeigen, dass 87 Prozent der geflüchteten Menschen in Deutschland traumatische Ereignisse erlebt haben und etwa 30 Prozent unter Traumafolgestörungen leiden.

Wenn man sich diese Zahl anschaut und dann anschaut, wie viele Personen die psychosozialen Zentren in Deutschland tatsächlich versorgen können, dann landen wir bei circa drei Prozent. Ulrike Schneck, Refugio Stuttgart

Psychosoziale Zentren müssen die meisten Anfragen ablehnen

"Der Bedarf ist deutlich höher, als was wir leisten können und das gilt für ganz Deutschland", sagt Ulrike Schneck. Sie ist auch Vorsitzende der BAfF.

Bei Refugio Stuttgart behandeln Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte und Ehrenamtliche jedes Jahr durchschnittlich 130 traumatisierte Geflüchtete. Hinzu kommen noch etwa 100 Patientinnen und Patienten, die in der Regionalstelle in Tübingen betreut werden. Sie leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen.

Über die Hälfte der Patienten sind Afghanen

Auch 2024 gehörte Afghanistan zu den Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern. "Sie haben oft ein ganzes Leben in Unsicherheit verbracht", so Ulrike Schneck. "Dort leiden die Menschen seit Jahrzehnten unter Hunger, Krieg und Terror." Viele seien schon als Kinder mit ihren Eltern vor den Taliban geflohen. Mit der Machtergreifung der radikal-islamischen Taliban verschärfte sich die Situation für die Bevölkerung, vor allem für Frauen, Menschenrechtler und Ortskräfte, die bis zum Putsch 2021 in ihrer Heimat für deutsche Behörden gearbeitet haben.

Eigentlich müssen diese Menschen psychologisch intensiv betreut werden. In den Erstaufnahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg gibt es zwar ein Verfahren zur Erkennung besonderer Bedürfnisse von Geflüchteten, darunter fallen auch psychische Erkrankungen. Aber es gibt zu wenig Behandlungsmöglichkeiten.

Es fehlt an Fachpersonal und Sprachmittlern

In den medizinischen Ambulanzen der Erstaufnahmeeinrichtungen fehlt es häufig an Fachpersonal und Sprachmittlern. Die Zahl der Asylantragsteller sei zwar um etwa 40 Prozent gesunken, von 36.319 auf 22.105, doch weiterhin auf hohem Niveau, heißt es vonseiten des Ministeriums für Justiz und Migration. "Es sind die insgesamt zu hohen Zugangszahlen, die das System auch bei der Erkennung und Behandlung psychischer Erkrankungen von Migranten an seine Grenzen bringen", sagt die dafür zuständige Justizministerin Marion Gentges (CDU).

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration hat 2023 ein Projekt zur Traumarehabilitation für Geflüchtete in Kooperation mit der Universität Konstanz auf den Weg gebracht. Derzeit befindet es sich in der Pilotphase. Dafür stellt das Land rund 3,7 Millionen Euro zur Verfügung. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Geflüchtete, deren Verfahren noch läuft, in den ersten drei Jahren nur eingeschränkte Gesundheitsleistungen.

Wenn jemand akut suizidal ist oder sich akut fremdgefährdend verhält, stark aggressiv ist, dann findet eine in der Regel kurzzeitige stationäre Behandlung zur Einstellung mit Medikamenten statt. Ulrike Schneck, Refugio Stuttgart

Bund kürzt Mittel für Versorgung traumatisierter Geflüchtete

Oftmals, führt Ulrike Schneck aus, werden die Patienten nach einem Zeitraum von maximal einer Woche wieder entlassen. "Dann gibt es keine Anschlussversorgung." Die neun psychozentralen Stellen in Baden-Württemberg erhalten vom Land jährlich rund 2 Millionen Euro. Hinzu kommen Spenden, Mitgliedsbeiträge oder Projektmittel aus Flüchtlingsfonds. Doch der Bund hat für das Jahr 2025 Mittelkürzungen um fast die Hälfte vorgesehen, von 13 auf 7 Millionen Euro.

Ulrike Schneck sagt, es brauche ein Versorgungskonzept für traumatisierte Geflüchtete und flächendeckend Anlaufstellen mit ausreichend Dolmetschern. Vermeiden könne man Taten wie in Aschaffenburg oder Solingen nie, so die Expertin, "aber wir könnten tatsächlich viele Krisensituationen besser abfangen".

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