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Baden-Württemberg Kampf gegen Analphabetismus: BW fördert Grundbildungszentren mit drei Millionen Euro
Jeder fünfte Erwachsene in Deutschland hat Probleme beim Lesen und Schreiben. Baden-Württemberg geht das Problem mit einem millionenschweren Programm an - gefördert durch die EU.
Das Land Baden-Württemberg setzt sein Engagement für Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten weiter fort. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) gab dazu am Montag die Förderung von acht Grundbildungszentren (GBZ) für die neue Förderperiode bis 2027 bekannt. Die Unterstützung umfasst drei Millionen Euro, davon 2,4 Millionen aus EU-Mitteln.
Wachsende Herausforderung durch Digitalisierung
Dass der Bedarf an Grundbildung sogar größer wird, zeigen aktuelle Zahlen der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Demnach ist der Anteil so genannter gering literalisierter - also der Menschen, deren Lese- und Schreibkompetenzen nicht über die Ebene leichter Texte hinausgehen - Erwachsener in Deutschland innerhalb von zehn Jahren von 17 auf 20 Prozent gestiegen. Rund 700.000 sind es allein in Baden-Württemberg. Dabei werde die Alphabetisierung und Grundbildung im Land immer wichtiger, etwa um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern und beruflich aufzusteigen, betont Ministerin Schopper.
"Die Innovationsgeschwindigkeit wirkt wie eine Art Brandbeschleuniger", warnt Professorin Ilka Koppel von der PH Weingarten. Viele Erwachsene seien von der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz überfordert. Die GBZ reagieren darauf mit speziellen digitalen Weiterbildungsangeboten im Rahmen der Initiative WEITER.mit.BILDUNG@BW.
Ich hätte nie gedacht, wie viele Menschen bei uns nicht ausreichend lesen und schreiben können und wie groß der Bedarf an Grundbildung wirklich ist" Christina Obergföll, frühere Speerwurf-Weltmeisterin
Betroffene entwickelten oft Strategien, um ihre Schwierigkeiten zu verbergen. "Das wird oft lange kaschiert, etwa mit Aussagen wie: 'Oh, jetzt hab ich meine Brille vergessen'", sagte Ministerin Schopper.
Auch Christina Obergföll, frühere Speerwurf-Weltmeisterin und Botschafterin für Alphabetisierung und Grundbildung, berichtete von einem Einzelschicksal, das ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist: "Ein Mann, der auf einem Bauernhof am Rande des Schwarzwalds aufwuchs, konnte kaum zur Schule gehen. Er hatte Tränen in den Augen, als er erzählte, wie er sich ein Leben lang verstecken musste."
Erfolgreiche Praxisbeispiele
Die Zentren entwickeln für Betroffene passgenaue Angebote für verschiedene Lebenssituationen. Ein Beispiel ist das GBZ Mannheim, das einen Kurs in einem Pflegeheim anbietet, bei dem zehn Mitarbeiterinnen ihre Schriftsprachkompetenz mit Texten aus dem Arbeitsalltag verbessern.
Die acht Grundbildungszentren in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Ulm, Schwäbisch Gmünd, Ludwigsburg, Rastatt und Offenburg sind bei Weiterbildungsträgern angesiedelt - fünf bei Volkshochschulen und drei bei freien Trägern. Sie arbeiten eng mit Jobcentern, Tafelläden und Unternehmen zusammen.
Schopper: Mehr als nur Lesen und Schreiben
Die Resonanz ist beachtlich: Allein das GBZ Ortenau verzeichnete zwischen 2022 und 2024 in fast 150 Kursen mehr als 1.000 Anmeldungen. "Die Teilnehmenden sind sehr dankbar für diese Möglichkeit", berichtete Christina Obergföll zum Abschluss ihrer dreijährigen Tätigkeit als Alphabetisierungsbotschafterin.
Die neue Förderperiode läuft bis 2027. "Es geht bei den Grundbildungszentren um viel mehr als um Lesen und Schreiben. Wir wollen mit diesen Lernangeboten vor allem die Berufschancen der Teilnehmenden deutlich verbessern", unterstrich auch Ministerin Schopper.
Sendung am Mo., 10.2.2025 16:00 Uhr, SWR1 Baden-Württemberg, SWR1 Baden-Württemberg