Ein Gebäude des Ex-Gefängnisses "Fauler Pelz" in der Heidelberger Altstadt ist durch ein vergittertes Fenster zu sehen.

Baden-Württemberg Maßregelvollzug am Limit - Ausbau reicht nicht aus

Stand: 07.04.2025 11:49 Uhr

Trotz geplanter Neubauten bleibt der Maßregelvollzug in Baden-Württemberg überlastet. Welche Herausforderungen stehen der Landesregierung noch bevor?

Zu viele Patienten, zu wenige Ressourcen - das ist die Situation des Maßregelvollzugs auch in Baden-Württemberg. Das Sozialministerium in Stuttgart rechnet schon jetzt damit, dass der bereits geplante Ausbau an Plätzen nicht ausreichen wird. "Wir gehen davon aus, dass wir zusätzlich zu den bereits in Planung befindlichen Projekten (...) noch einen zusätzlichen Standort brauchen werden, um die Verdichtungsmaßnahmen in den Einrichtungen vor Ort wieder zurücknehmen zu können", sagt eine Behördensprecherin in Stuttgart.

Zu den Verdichtungsmaßnahmen zählen das Aufstellen von Stockbetten, die Umnutzung von Räumlichkeiten wie Patienten- und Besucherzimmern und Therapieräumen. "Die fachlichen Standards können in Baden-Württemberg nicht mehr flächendeckend in dem Maße erfüllt werden, wie wir das gerne hätten", sagte Udo Frank, Leiter des Zentralbereichs Maßregelvollzug des Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg. Die Stationsgröße werde regelmäßig überschritten. "Dies ist therapeutisch nicht förderlich", so Frank weiter. 

Straftäterinnen und Straftäter kommen in den Maßregelvollzug, wenn ein Gericht sie als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank einstuft und deshalb erneut erhebliche Taten zu erwarten sind. Bei den Suchtkranken erfolgt bei längeren Freiheitsstrafen ein Vorwegvollzug eines Teils der Strafe, anschließend folgt der Maßregelvollzug. Dort entscheidet der Behandlungsverlauf, ob der Verurteilte zur Verbüßung der Reststrafe in Haft zurückkehren muss oder auf Bewährung auf freien Fuß kommt.

Zahlreiche Neubauten sowie geplante Umbaumaßnahmen

Wo der neue Standort entstehen könnte, ist Frank zufolge noch unklar. Wünschenswert wäre neben Stuttgart etwa der Bereich Karlsruhe. Denn viele Patienten aus diesen beiden Regionen würden sehr heimatfern behandelt. Zuletzt wurden am Standort Heidelberg neue Plätze geschaffen. Das ehemalige Gefängnis "Fauler Pelz" wird seit August 2023 als Einrichtung für den Maßregelvollzug genutzt und verfügt über 80 Plätze. Dies gilt als Zwischenlösung bis zum Sommer 2025. 

Neubauten gibt es in Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis (Eröffnung am 11. Oktober 2024) und Calw (Eröffnung am 22. Januar 2025). Weitere Neubauten sind in Schwäbisch Hall (100 Plätze), Winnenden im Rems-Murr-Kreis (75 Plätze), Weinsberg im Kreis Heilbronn (Jugendforensik 10 - 12 Plätze) und Weissenau im Kreis Ravensburg (48 Plätze) geplant. Außerdem sollen durch verschiedene Sanierungs- und Umbaumaßnahmen an weiteren Standorten zusätzliche Platzkapazitäten erschlossen werden.

Mit der Inbetriebnahme des neuen Standorts in Schwäbisch Hall rechnet das Sozialministerium im Herbst/Winter 2025. "Für die Umsetzung des Maßregelvollzugsvorhabens in Winnenden sind noch umfangreiche Vorarbeiten notwendig." Mit einer Inbetriebnahme werde dort frühestens 2028/2029 gerechnet. Im vergangenen Jahr waren die Maßregelvollzugseinrichtungen laut dem Ministerium durchschnittlich mit 1.605 Menschen belegt. Zum Stichtag 28. Februar warteten noch 27 Suchtkranke auf eine Aufnahme. 

Was bedeutet Maßregelvollzug?
Die forensische Psychiatrie, auch Maßregelvollzug genannt, ist eine Alternative zum Gefängnis. Hier leben Männer und Frauen, die eine Straftat begangen haben und als psychisch krank oder suchtkrank gelten. Voraussetzung für die Unterbringung im Maßregelvollzug ist die Feststellung der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB oder der verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Bei psychisch Kranken ist diese Maßregel unbefristet. Das heißt, wer von einem Gericht in den Maßregelvollzug eingewiesen wurde, hat im Gegensatz zu gesunden Straftätern nach Verbüßung der Strafe kein Recht auf Freiheit. In der Regel überprüft eine Richterin oder ein Richter einmal im Jahr, ob der Aufenthalt noch nötig ist. Er stützt sich dabei auf Empfehlungen externer Gutachter und der Therapeuten. Die Entlassung zur Bewährung ist erst möglich, wenn forensische Sachverständige eine günstige Prognose stellen. 2016 hat der Bundestag beschlossen, dass Richter spätestens nach sechs Jahren die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsdauer berücksichtigen müssen. Bei suchtkranken Straftätern ist der Maßregelvollzug auf zwei Jahre befristet, kann aber verlängert werden.

Immer weniger Suchtkranke in den Einrichtungen

Die Platzkapazitäten hängen der Behördensprecherin zufolge letztlich von der Entwicklung der gerichtlichen Zuweisungen ab. Denn während sich bei Zuweisungen von Suchtkranken in die Unterbringung ein Rückgang abzeichne, gebe es bei Unterbringungen im psychiatrischen Krankenhaus eine steigende Entwicklung. 

Laut Frank geht aber nicht die Anzahl an Suchtkranken zurück, wie aufgrund der Entwicklung angenommen werden könnte. Die Trendwende gehe vielmehr einher mit der Reform des Paragrafen 64 StGB. Seit Anfang Oktober 2023 seien die Voraussetzungen für eine Unterbringung deutlich restriktiver gefasst. Daher seien auch die Zahlen rückläufig, so Frank.

Sendung am Mo., 7.4.2025 8:30 Uhr, SWR1 BW Nachrichten

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