
Baden-Württemberg Moderatorin im Rollstuhl beklagt Ignoranz: SUV-Fahrer belegen Behinderten-Parkplätze
Sie ist ein Aushängeschild für Menschen mit Behinderung: Mirjam Kottmann ist die erste Nachrichtenmoderatorin in Deutschland, die im Rollstuhl sitzt. Sie kämpft gegen Ignoranz im Alltag.
Für falsche Bescheidenheit hat Mirjam Kottmann keine Zeit, sie sagt: "Ja, ich bin eine Powerfrau." Sie brauche so viel Kraft, um abends ihre Beine ins Bett zu hieven. Schon deshalb treffe dieser Titel auf sie zu, erzählt die 51-jährige Journalistin im SWR-Videopodcast "Zur Sache! intensiv". Hinzu kommt bei dieser Frau aber auch eine enorme mentale Kraft. Kottmann hat seit fast 30 Jahren Multiple Sklerose - eine schleichende Erkrankung des zentralen Nervensystems, die oft zu Muskellähmungen führt.
Kottmann will Vorbild für junge Menschen mit Behinderung sein
Konnte sie die ersten Jahre noch Skifahren, kann sie mittlerweile ihre Beine nicht mehr bewegen. Zehn Jahre lang hat sie ihre Krankheit ihrem Arbeitgeber - dem Bayerischen Rundfunk - verheimlicht, dann ging es nicht mehr. Das alles hielt sie nicht davon ab, im Fernsehen Karriere zu machen. Seit kurzem ist sie Hauptmoderatorin der Nachrichten bei BR24. Ein Job, den sie sich hartnäckig erarbeitet hat. Somit ist sie die erste Frau in Deutschland, die sich als Anchorfrau im Rollstuhl auf dem Bildschirm zeigt.
Sie versteht sich auch als "Mutmacherin" von jungen Leuten, die wie sie eine Behinderung haben. Sie wolle sich zeigen und diesen Menschen damit sagen: "Lasst euch nicht entmutigen, nur weil ihr jetzt vielleicht nicht mehr laufen könnte, sondern versucht, euren Traum zu leben - weil das versuche ich auch."
Moderatorin spricht offen über dunkle Momente
Trotz dieses Erfolgs scheut sich Kottmann nicht, über Gefühle, Schmerzen und Ängste zu sprechen. Gefragt, ob es Momente gibt, in denen sie wenig Hoffnung hat, sagt sie: "Jeden Tag, jeden Abend eigentlich. Wenn ich abends dann allein bin und im Bett liege, dann kommt es schon."
Das Schlimmste für Kottmann: die Unfreiheit
Eigentlich brauche sie im Alltag ständig Hilfe, zu Hause von ihrem Mann, im Büro von der Assistenz. "Dann bin ich schon oft recht verzweifelt und auch traurig." Es sei so unfair, "dass ich diese blöde Krankheit habe. Ich würde auch gern wieder stehen und laufen und irgendwie einfach schnell mal ins Bett gehen, mich mal kurz hinlegen."
Stattdessen sei sie nachts, wenn sie auf Toilette müsse, sehr lang unterwegs. "Das kann man ganz offen so sagen: Für nur einmal Pipi machen, bin ich 40 Minuten unterwegs. Und dann bin ich aber hellwach. Und da muss ich jetzt wieder einschlafen. Das heißt, wenn ich zweimal pro Nacht muss, bin ich zwei Stunden unterwegs."
Das sei nur schwer auszuhalten: "Das Schlimmste eigentlich an dieser Krankheit ist, dass ich unfrei geworden bin. Das empfinde ich wirklich so. Diese Krankheit, diese Behinderung hat mir meine Freiheit genommen."
Mehr Härte beim Zuparken von Behinderten-Parkplätzen
Um so viel Freiheit wie möglich noch leben zu können, kämpft Kottmann gegen eine Ignoranz, die aus ihrer Sicht in Politik und Gesellschaft weit verbreitet ist. Der Alltag werde Menschen mit Behinderung "brutal schwer" gemacht. "Wir sind nicht barrierefrei in Deutschland. Wir haben viel zu wenige Behindertenparkplätze, die sehr gerne zugeparkt werden, in der Regel von SUV-Fahrern oder Menschen, die halt so dicke Autos fahren, dass es ihnen wurscht ist, wenn sie Strafzettel bekommen."
Die Strafen seien auch viel zu niedrig: "Die müssten konsequent abgeschleppt werden, dann würden sich die Leute vielleicht mal überlegen, sich da drauf zu stellen oder nicht."
Mehr Geld für barrierefreie Toiletten und Aufzüge gefordert
Kottmann verwies auch auf die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006, die in Deutschland seit 2009 in Kraft ist. Diese schreibt fest, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein Menschenrecht ist. "Das würde ich gern mal die Politiker fragen, warum sie es nicht endlich umsetzen." Die Teilhabe steht im Gesetz. "Aber trotzdem hinken wir hinterher."
Das größte Problem im Alltag sei aber, dass es viel zu wenige barrierefreie Toiletten gebe. Ohne die sei eine Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Alltag - etwa Restaurantbesuche - kaum möglich. Kottmann hat kein Verständnis dafür, dass Politikerinnen und Politiker ständig auf die Kosten verwiesen. "Ich habe das Gefühl, es ist für alles Mögliche Geld da." Menschen mit Behinderung würden als "Randgruppe" hingestellt. "Da muss ich sagen: Wir sind keine Randgruppe. Zehn Prozent der Bevölkerung, das sind jetzt mal eben so ungefähr acht Millionen Menschen." Zwar säßen nicht alle im Rollstuhl, aber alle bräuchten Hilfe. "Es heißt, für uns ist kein Geld da. Das macht mich in erster Linie vor allem total wütend."
Sie hoffe, dass in dem nun beschlossenen Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro auch etwas für die Barrierefreiheit - also für extra Toiletten, abgesenkte Bordsteine und Aufzüge - reserviert werde.
Kottmann warnt: Es kann jeden treffen
Kottmann wundert sich über die Sorglosigkeit vieler Menschen. "Ich sage immer: Wisst ihr eigentlich, ihr Gesunden, ja scheinbar Gesunden, es kann auch euch treffen. Noch sitzt ihr hier fröhlich und könnt laufen." Kaum jemanden sei bewusst, dass nur wenige Menschen von Geburt an eingeschränkt seien. "Es sind nur drei Prozent. Und 97 Prozent der Menschen mit Behinderung haben diese Behinderung, wie man es so schön sagt, erworben im Lauf ihres Lebens."
Das passiere durch eine Krankheit oder einen Unfall. "Es sucht sich keiner aus und es wünscht sich keiner." Insofern müssten alle ein Interesse daran haben, für Barrierefreiheit zu sorgen. Nicht zuletzt seien auch Mütter und Väter mit Kinderwagen darauf angewiesen.