
Baden-Württemberg Nach Messerangriff auf Rouven Laur: Angeklagter spricht über Flucht und Gelegenheitsjobs
In Stuttgart-Stammheim ist der Prozess um den tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten auf dem Mannheimer Marktplatz fortgesetzt worden. Dabei hat sich auch der Angeklagte geäußert.
Am zweiten Prozesstag am Oberlandesgericht Stuttgart hat der Angeklagte Sulaiman A. ausführlich über sein Leben vor der Flucht aus Afghanistan nach Deutschland ausgesagt. Rein äußerlich betrachtet steht ein völlig anderer Angeklagter als noch am ersten Verhandlungstag vor dem Richter: schwarze Hose, weißes, geknöpftes Hemd, goldene Brille, den schwarzen Bart sorgfältig nach unten gekämmt. Seine Hände liegen gefaltet vor ihm auf dem Tisch. Für die Aussage über sein Leben nimmt er direkt vor dem Richter Platz. Zwei Justizvollzugsbeamte führten Sulaiman A. dafür aus dem Bereich heraus, in dem er sonst abgetrennt hinter eine Panzerglasscheibe die Verhandlung verfolgt. Angehörige der Familie des getöteten Polizisten Rouven Laur sind nicht im Saal, dafür erstmals ein Sachverständiger, der das psychologische Gutachten im Lauf der Verhandlung erstellen wird.
Angeklagter Sulaiman A. schildert Flucht aus Afghanistan
Sulaiman A. antwortet, den Blick immer klar auf den Richter gerichtet. Über zweieinhalb Stunden, mit Unterbrechung, geht es darum, wie er als Minderjähriger gemeinsam mit seinem älteren Bruder seinen Geburtsort Herat in Afghanistan verließ, um nach Europa zu fliehen. A. spricht über Schleuser, die sein Vater bezahlte - 20.000 Euro für die beiden Brüder - und über eine Flucht die fast zwei Jahre dauerte.
Exakt lässt sich nicht alles rekonstruieren. Dennoch zeichnet der Richter durch seine Fragen den Weg von Afghanistan über Griechenland, Italien, Frankreich bis nach Deutschland nach. Der Angeklagte schildert detailliert Tage in Lkw, in Wäldern, an Küsten und auf Schiffen. Mit dem Zug habe er schließlich Frankfurt erreicht. Sein Bruder habe damals Schweden im Blick gehabt.
Noch keine Aussage zur Tat in Mannheim
Sulaiman A. beantwortet die Fragen des Richters ruhig, sachlich, nüchtern. Mehrere Male unterbrechen ihn seine Verteidiger allerdings, offenbar, weil er ihnen zu diesem Prozesszeitpunkt zu weit vorprescht. A., heißt es dann, werde sich nicht zur Tat an sich äußern - an diesem Donnerstag noch nicht, aber im Lauf des Prozesses. Zum ersten Mal schreiten seine Verteidiger ein, als es um die Frage des Telefonanrufs der Frau des Angeklagten am Tattag geht: Ein Polizist in einem südhessischen Revier hatte den Anruf entgegengenommen. Darin ging es um eine vermeintliche MRT-Untersuchung am Kopf von Sulaiman A. Dem Gericht liegt ein Schreiben vor, bei dem A. in der JVA Kassel offenbar gegenüber einem Psychologen von "Problemen mit dem Kopf" berichtet hatte.
"Bin 24 Stunden in der Zelle"
In der Verhandlung ging es auch darum, wie der Angeklagte seine Zeit in Haft verbringt. Er sei in Stuttgart-Stammheim 24 Stunden am Tag in seiner Zelle. Den kleinen überzäunten Hof nutze er nicht. Er lese im Koran, bete, esse und schlafe alle zwei Stunden. Man sei freundlich zu ihm.
Gegenüber dem Sachverständigen, der im Prozess dafür zuständig ist, ein psychologisches Gutachten zu schreiben, schilderte der Angeklagte seine Zeit in Afghanistan. Er erinnere sich an Bombeneinschläge, Verwundete in den Straßen und Überfälle bei seinen Eltern zu Hause.
Opfer Konrad S. wird als Zeuge vernommen
Im Prozess hat am Donnerstag auch Konrad S. ausgesagt. Er ist einer der Nebenkläger im Verfahren und war am Tattag, dem 31. Mai 2024, für die islamkritische Bürgervereinigung Pax Europa (BPE) als Ordner im Einsatz. S. wurde bei dem Messerangriff schwer verletzt, erlitt einen Stich in die Wade, einen in den Oberkörper. Er lag zwölf Tage im Krankenhaus, muss bis heute in die Reha. In der Verhandlung sagt er, den politischen Islam dürfe es nicht geben. Auf Nachfrage des Richters fällt es S. allerdings schwer, sich in diesem Punkt genauer zu fassen. Es störe ihn, dass man Menschen vorgebe, wie sie zu leben hätten.
S. ist nach wie vor Mitglied im Verein BPE. Dessen Gesicht ist der wegen Volksverhetzung verurteilte Islamkritiker Michael Stürzenberger. S. sagt im Prozess, er habe es als Ehre empfunden, den blauen Pullover der Bewegung zu tragen, auch am Tag der Tat. Nach dem Messerangriff habe er Albträume gehabt. Kurz nach dem Angriff lag er schwer verletzt auf dem Marktplatz.
Zwischen den Polizeiautos dachte ich, ich sterbe. Ich hatte Todesangst. Konrad S., Nebenkläger im Prozess
Konrad S. wurde bis heute fünf weitere Male operiert. Nach wie vor habe er Schmerzen. Immer wieder nimmt er Bezug auf das Video, das es von der Tat gibt, aber auch auf seine Erinnerungen. Der Angeklagte habe auf ihn am Marktplatz gewirkt wie ein einfacher Student: "Er sah völlig normal aus."
Zum ersten Mal wurde bei dem Prozess auch ein Bild vom Marktplatz auf großen Video-Leinwänden gezeigt. Die Tat und die Erinnerung daran nehmen Konrad S. sichtlich mit. Tränen stehen ihm immer wieder in den Augen. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, wieder als BPE-Ordner bei künftigen Veranstaltungen dabei zu sein, sagt er klar "nein".
Prozess um Messerangriff in Mannheim: Urteil erst im Herbst erwartet
Diese ersten Verhandlungsstunden deuten darauf hin, was in den kommenden Wochen und Monaten ansteht: eine detaillierte Aufarbeitung des Messerangriffs in Mannheim. Dazu sind mehr als 50 Prozesstage angesetzt. In den kommenden Wochen wird es viele emotionale Ebenen in diesem Prozess geben. Während des Angriffs herrschte eine unübersichtliche Gemengelage, es gibt mehrere Nebenkläger, unter anderem den Islamkritiker Michael Stürzenberger, der auch am zweiten Prozesstag nicht anwesend war und dem der Angriff allem Anschein nach gegolten hatte.
Am Ende wird es dann aber auch um die Frage gehen: War es Mord, bekommt Sulaiman A. eine lebenslange Strafe - und gab es eine besondere Schwere der Schuld? Klar ist: A. wird nicht als Teil einer terroristischen Vereinigung angeklagt. In Bezug darauf ist es ein reiner Strafrechtsprozess. Das wurde an diesem zweiten Verhandlungstag deutlich.
Sendung am Do., 20.2.2025 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4