
Baden-Württemberg Stresstest für Spitzenpolitiker: Bohrende Fragen zu Wirtschaft, Migration und Pflege
Was bewegt BW vor der Bundestagswahl? In der SWR-Wahlarena kochten die Emotionen beim Streitthema Migration hoch. Die AfD gerät in die Defensive - durch Fragen aus dem Publikum.
Wenige Tage vor der Bundestagswahl mussten Spitzenpolitiker in der SWR-Wahlarena einem kritischen Publikum Rede und Antwort stehen. Es ging in der Live-Sendung aus dem Stuttgarter Römerkastell unter anderem um die Wirtschaftskrise, ein Pro und Contra zur Migration und die Frage, ob Pflege durch Angehörige zu oft übersehen wird.
Mit dabei waren: Nina Warken (CDU), Nils Schmid (SPD), Franziska Brantner (Grüne), Judith Skudelny (FDP), Markus Frohnmaier (AfD), Sahra Mirow (Linke) und Jessica Tatti (BSW). Bei vielen Fragen hatten die Politiker jeweils 30 Sekunden für ihre Antwort - so sollte die Redezeit in etwa gerecht verteilt werden. Wir haben die wichtigsten Debatten und emotionalsten Momente zusammengefasst.
Die steilste These kommt beim Thema Klimaschutz
Die kommt gleich im ersten Themenblock Wirtschaft und Klimaschutz. Aber der Reihe nach: Der Abend startet mit der autopolitischen Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit dem geplanten Verbrenner-Aus im Jahr 2035? Gestellt wird sie von Thomas Walker aus Tamm (Kreis Ludwigsburg), der in der Zulieferindustrie arbeitet. Er ist dafür, zweigleisig zu fahren, bis die E-Autos sich durchgesetzt haben. Die Frage spaltet die Politik in zwei Lager: CDU, FDP, BSW und AfD wollen das Verbrenner-Aus weghaben, SPD, Grüne und Linke wollen Kurs halten. Wichtig ist dabei zu wissen, die EU will ab 2035 nicht alle Verbrenner verbieten, klimaneutrale Kraftstoffe sollen weiterhin erlaubt sein.
Wenig später fragt ein junger Mann, warum eigentlich der Klimaschutz im Wahlkampf untergepflügt werde - und warum Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz da eher bremsen wolle. Die CDU-Frau Warken beteuert, man stehe zu den Klimazielen, aber man dürfe die Menschen auch nicht überfordern wie die Grünen. Das nimmt der AfD-Landeschef Frohnmaier als Vorlage und verweist auf den vergleichsweise geringen globalen Anteil Deutschlands am Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid. "Robert Habecks Heizungsgesetz spart in sechs Jahren so viel CO2 ein, wie China an einem einzigen Tag emittiert." Staunen in vielen Gesichtern, aber siehe da: Die These geht zumindest in die richtige Richtung: Habecks Ministerium hatte Mitte 2023 den Einspareffekt durch den Heizungstausch bis 2030 auf 39,2 Millionen Tonnen CO2 beziffert. Laut Statistischem Bundesamt hat China - der weltweit größte Luftverschmutzer - 2023 pro Tag 32,6 Millionen Tonnen ausgestoßen.
Wo kocht die Stimmung hoch?
Wenig überraschend: beim gerade heftig umstrittenen Thema Migration. Hier setzt Renate Schmitt den Ton. Die Rentnerin aus Buchen (Neckar-Odenwald-Kreis) fragt in einem eingespielten Beitrag: "Es wird so viel für Flüchtlinge gemacht. Wo bleibt der Deutsche?" Sie hätte gern mehr Rente. Wer sich integriere, könne gern bleiben. Im Studio legt sie nach: Sie fragt mit Blick auf das Attentat in Aschaffenburg, wie lange man noch zusehen wolle, dass Babys ermordet werden und Menschen in Deutschland "Tod den Juden" rufen.
Als erstes wird der Gegensatz zwischen BSW und der Linken deutlich. Tatti vom BSW dringt darauf, Gewalttäter konsequent abzuschieben und Zuwanderung endlich zu begrenzen. Mirow von der Linken widerspricht der Frau aus dem Publikum energisch. "Jedes soziale Problem wird mit Geflüchteten verknüpft", schimpft Mirow. Es sei falsch, Menschen gegeneinander auszuspielen.
FDP, CDU und AfD einig: Zuwanderung muss begrenzt werden
FDP-Frau Skudelny gibt der Frau aus Buchen dagegen Recht: "Wir haben es denen zu leicht gemacht, die in unsere Sozialsysteme einwandern." Das müsse sich ändern. CDU-Landesgeneralsekretärin Warken sagt eher grundsätzlich: "Wir brauchen eine Verschnaufpause für unsere Behörden." Deshalb müsse die Zuwanderung begrenzt werden. Frohnmaier von der AfD sagt, die CDU sei Schuld an den Problemen mit der Migration, weil Kanzlerin Angela Merkel 2015/2016 die Grenzen geöffnet habe. Kurz vor Ende seiner Redezeit ruft er noch: "Abschiebungen retten Menschenleben."
Dann geht es in die andere Richtung. Vier Gäste aus dem Publikum nacheinander fragen, warum bei Migration nur das Negative gesehen werde, das gehe an der Realität weit vorbei. Fadimatou Arétouyap Ndah aus Marbach (Kreis Ludwigsburg) geht den AfD-Mann direkt an. Die in Kamerun geborene Schwarze Frau hält Frohnmaier vor, nach Anschlägen "Propaganda" zu verbreiten. "Sie stecken alle Ausländer in eine Schublade." Sie will von ihm wissen, ob die von der AfD geplante "Remigration" heiße, dass auch sie abgeschoben werde, obwohl sie voll integriert sei.
Vorwurf der Linken: AfD verbreitet Angst und Schrecken
Frohnmaier sagt, er wolle mit einem Missverständnis aufräumen. Wer legal in Deutschland sei, arbeite und integriert sei, sei "herzlich willkommen". Er sei selbst ursprünglich aus Rumänien. "Meine Partei hat mich auch noch nicht abgeschoben." Da platzt der Linken-Frau Mirow der Kragen: "Reines Gewäsch". Die AfD verteile Abschiebetickets an Migranten und verbreite damit Angst und Schrecken. Es solle lieber darüber diskutiert werden, dass in Deutschland jeden Tag eine Frau von ihrem Partner getötet werde.
Dann meldet sich der junge Faisal Osman aus Weinstadt (Rems-Murr-Kreis). Der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke definiere "Remigration" aber anders als Frohnmaier. "Das ist ja ihr Posterboy", hält er dem AfD-Mann vor. Etwas später kommt auch noch Eduard Wunderlich aus Gaggenau (Kreis Rastatt) dran, der im Rollstuhl sitzt. Er habe nur "gute Erfahrungen mit Migranten", viele würden ihm helfen. Es sei eine Mär, dass es ihnen in Deutschland zu leicht gemacht werde.
Wer fühlt sich ausgebeutet?
Angelina Kusterer aus dem Publikum, die ihren Job aufgegeben hat, um ihre beiden Eltern zu pflegen, spricht von fehlender Unterstützung. "Wir sind die billigste Arbeitskraft in Deutschland, denn wir bekommen kein Geld", sagt die 34-Jährige über die rund sechs Millionen pflegenden Angehörigen in Deutschland. "Wir arbeiten 24 Stunden, sieben Tage die Woche bis zur Erschöpfung und keiner hilft uns." Von den Politikern will die Frau aus Schömberg (Kreis Calw) wissen, was sie für pflegende Angehörige tun werden. Sie erntet viel Verständnis. Manche berichten von Beispielen aus der eigenen Familie, fast alle versprechen finanzielle Hilfen.
34-Jährige macht sich Sorgen um ihre Rente
Mirow von der Linken plädiert für eine solidarische Pflegevollversicherung. Generell könne man die sozialen Sicherungssysteme auf ein viel breiteres Fundament stellen, "wenn wir endlich mal die hohen Vermögen einbeziehen würden, dann wäre das alles finanzierbar". Brantner von den Grünen spricht sich für ein höheres Pflegegeld aus, aber sozial gestaffelt. Außerdem sollten diejenigen, die Angehörige pflegen, das in der Rente anerkannt und Lohnersatzleistungen bekommen. Warken von der CDU versichert: "Wir sehen sie." Sie spricht auch die Bürokratie an, die ihre eigene Familie zunächst überfordert habe. Darauf kontert Angelina Kusterer: "Ich mache das seit über zehn Jahren. Das heißt, Bürokratie interessiert mich nicht mehr." Aktuell mache sich die 34-Jährige mehr Sorgen um ihre Rente.
Der emotionalste Moment
Betroffenheit löst die Wortmeldung von Vanessa Urban aus Freiburg aus. Die junge Frau im Rollstuhl fühlt sich von vielen Parteien vergessen. "Wir kommen in den Debatten nicht vor", sagt Urban. In manchen Parteiprogrammen kämen Menschen mit Behinderung gar nicht vor und bei der AfD stünden "wirklich gefährliche Sachen für uns" drin. "Was tun sie, um unser Leben bürokratisch leichter zu machen und uns vor rechts zu schützen?", fragt sie mit tränenerstickter Stimme. Betretene Stille im Saal. CDU-Frau Warken stimmt zu, dass weniger Bürokratie und mehr finanzielle Unterstützung nötig seien. Wenig später kommt dann von einer Frau aus dem Publikum der rustikale Hinweis, dass es nun genug um "soziale Randgruppen" gegangen sei und man auch mal über die darbende Landwirtschaft sprechen müsse. Der Agrar-Block bleibt am Ende kurz.
Sendung am Mi., 12.2.2025 20:15 Uhr, SWR - Die Wahl, SWR BW