
Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz Prozessauftakt zu tödlichem Messerangriff auf Polizist Rouven Laur: Angeklagter schweigt
Das Interesse war groß beim Prozessbeginn gegen Sulaiman A. in Stuttgart-Stammheim. Ihm werden Mord am Mannheimer Polizisten Rouven Laur sowie fünffach versuchter Mord vorgeworfen.
Unter großem Medieninteresse hat der Prozess zum tödlichen Messerangriff auf dem Mannheimer Marktplatz am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart-Stammheim begonnen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng. Der angeklagte 26-jährige Sulaiman A. wurde am Morgen in Handschellen in den gesicherten Sitzungssaal 1 gebracht. Sein Gesicht bedeckte er mit einer roten Mappe aus Papier. Er verfolgte den Prozessauftakt nahezu regungslos. Der Angeklagte beantwortete auf Deutsch wenige Fragen zu seiner Person kurz und prägnant. Zu den Tatvorwürfen werde er sich nicht äußern, so seine Verteidiger.
Wenige Meter entfernt saßen die Mutter und die beiden Schwestern des getöteten Polizisten Rouven Laur, die beim Prozess als Nebenkläger auftreten. Die Familie verfolgte die Verlesung der Anklageschrift sehr emotional. Insbesondere den Moment der letzten Sekunden des Angriffs auf dem Mannheimer Marktplatz, die darin detailliert beschrieben sind. Auch das Gericht bat um Verständnis, dass die fünf Richter im Lauf des Verfahrens die Emotionen einholen könnten. Der erste Prozesstag ging um die Mittagszeit zu Ende.
Staatsschutzverfahren am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart-Stammheim
Der zum Tatzeitpunkt 25-jährige Angeklagte Sulaiman A. muss sich in einem sogenannten Staatsschutzverfahren verantworten. Es findet in einem gesicherten Gerichtssaal neben dem Gefängnis statt. Der Generalbundesanwalt hatte bereits kurz nach der Tat den Fall an sich gezogen. Die Begründung: Dessen "besondere Bedeutung." Von Seiten des Generalbundesanwalts Jens Rommel hieß es in der Folge, Sulaiman A. habe zu massiver Gewalt gegriffen. Die Vermutung: So sollte Kritik am Islam bei einer Veranstaltung auf dem Mannheimer Marktplatz unterbunden werden.
In der Anklageschrift findet sich das wieder: So "hege der Angeklagte Sympathien für die ausländische terroristische Vereinigung 'Islamischer Staat' und teile deren Ideologie. Spätestens Anfang Mai 2024 habe er sich dazu entschlossen, in Deutschland einen Anschlag auf vermeintlich Ungläubige zu begehen", heißt es. Er wird aber nicht als IS-Mitglied oder Terrorist angeklagt.
Messerangriff in Mannheim: Islamkritiker im Visier des Angeklagten
Der Afghane Sulaiman A. hatte laut Anklage am 31. Mai auf dem Mannheimer Marktplatz den Polizisten Rouven Laur tödlich und fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE) schwer verletzt. In seinem Fokus stand aber zunächst der Islamkritiker Michael Stürzenberger, den er zunächst attackierte. Stürzenberger wurde dabei schwer verletzt, überlebte den Angriff aber.
Wie, warum und mit welcher möglichen Intention der Täter handelte - diese Fragen werden Teil des Hauptverfahrens sein. Warum hatte sich Sulaiman A. ausgerechnet am 31. Mai aus dem nahen hessischen Heppenheim auf den Weg nach Mannheim gemacht? Bereits jetzt sind unter anderen zur Klärung dieser Frage mehr als 50 Verhandlungstage bis in den Herbst angesetzt.
Aufwühlender Prozessauftakt zum Messerattentat von Mannheim
An einem dieser Verhandlungstage wird auch das Video vom Tatgeschehen gezeigt. Darauf ist detailliert zu sehen, wie der Angeklagte sich mit einem großen Kampfmesser auf den herbeistürzenden Polizisten Rouven Laur wirft und ihn so schwer verletzt, dass dieser kurz darauf stirbt. Viele Menschen haben das Video nach der Tat im Internet gesehen. Obwohl Vieles in dem Verfahren bereits klar zu sein scheint, hat das Gericht eine umfassende Beweisaufnahme geplant.
Tatort Marktplatz: Tödlicher Messerangriff wirkt in Mannheim nach
In den Wochen nach dem Angriff war die Stadt in Bewegung: Es gab zahlreiche Kundgebungen und Demos fanden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte Blumen am Tatort ab. Beamtinnen und Beamte in Mannheim trugen Trauerflor. Bei einer bewegenden Veranstaltung nahmen sie von ihrem Kollegen Abschied. All das wirkt noch immer nach. Seit der Tat liegen Blumen am Marktplatz, im Zentrum von Mannheim. Noch immer bleiben Menschen stehen, schauen auf Bilder und Gedenkschriften.
Wir werden wieder daran erinnert, was passiert ist. Renato Gigliotti, Mannheimer Polizeivizepräsident und Leiter des Führungs- und Einsatzstabs

"Ich erlebe wie Menschen hier innehalten, ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Dieses Bedauern ist feststellbar", sagt der Mannheimer Polizeivizepräsident Renato Gigliotti.
Durch den Prozess werde der Tag der Tat noch einmal in den Fokus geraten, erzählt der Mannheimer Polizeivizepräsident und Leiter des Führungs- und Einsatzstabs, Renato Gigliotti. Im Polizeipräsidium rede man weiterhin über diesen tödlichen Angriff. Die am Tattag beteiligten Polizistinnen und Polizisten seien wieder im Einsatz, sagt Gigliotti. Wenn zum Teil auch an anderer Stelle.
"Wir müssen damit umgehen, dass ein Kollege tödlich verletzt wurde", sagt der Polizeivizepräsident. Rouven Laur, das ist zu spüren, hat einen festen Platz in der Erinnerung seiner Kolleginnen und Kollegen. Am 31. Mai war er mit einem unguten Gefühl in den Einsatz gegangen, so hatte es die Familie gegenüber dem SWR geschildert.
Bürgermeister von Rouven Laurs Heimatstadt zeigt sich enttäuscht
Beim Prozessauftakt war auch der Bürgermeister von Rouven Laurs Heimatstadt Neckarbischofsheim dabei. Weil Thomas Seidelmann (parteilos) auch ein Freund der Familie Laur ist, habe ihn die Verlesung der Anklage emotional mitgenommen, sagt er. Von der Politik sei er enttäuscht. Nach dem Messerangriff in Mannheim habe es viele Versprechungen gegeben. Wenn man aber mit Polizisten spreche, merke man, dass sehr wenig passiert sei, so Seidelmann.
Staatsschutzstrafrecht: Was wollte der Angeklagte?
Der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats am OLG Stuttgart, Herbert Anderer, wird die Tat nüchtern analysieren müssen. Ermittler haben dafür monatelange Informationen auf tausenden Seiten zusammengetragen. Besonders im Fokus stehen wird das Motiv des Angeklagten: Hat sich Sulaiman A. in Deutschland radikalisiert? Und falls ja, wie? Gab es Menschen, die ihn unterstützt haben?
"Das Staatsschutzstrafrecht dient dem Bestand und dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung", so steht es als Selbstbeschreibung des Senats auf den Seiten des OLG Stuttgart. Mit Staatsschutzstraftaten meinen Juristen Taten, die in ihrer Zielrichtung gegen die Grundwerte unserer Demokratie und den Rechtsstaat gerichtet sind. Gesetzliche Grundlage dafür sind die normalen Regeln des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordung. Der Prozess ist öffentlich, Zuschauer und Medien können die Prozesstage in Stuttgart-Stammheim verfolgen, solange die Plätze im Saal ausreichen.
Verfahren nach Mannheimer Messerangriff in gesichertem Saal
Durch Taten in Solingen, Aschaffenburg und eben auch Mannheim ist diese Grundordnung besonders in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Am Tag des Prozessbeginns in Mannheim fuhr außerdem ein Auto in eine Menschenmenge in München. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ging nach ersten Erkenntnissen von einem Anschlag aus.
Am Donnerstag verdeutlichte in Stuttgart-Stammheim allein der Aufbau des Gerichtsgebäudes noch einmal, welche Taten hier verhandelt werden: Der Sitzungssal ist nur über eine Vereinzelungsdrehtür zu erreichen. Hinzu kommen Röntgenscanner und ein Metalldetektor. Beim Prozessauftakt betonte der Vorsitzende Richter Herbert Anderer, dass es unüblich sei, dass eine solche Tat in dieser Genauigkeit dokumentiert ist. Dennoch gehe es diesem Verfahren vor allem um die individuelle Schuld des Angklagten.
Wir sind kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und keine aktuelle Stunde zu gesellschaftlichen Themen. Herbert Anderer, Vorsitzender Richter
Der Angeklagte befindet sich seit dem 18. Juni 2024 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Ihm droht lebenslange Haft. Wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt, ist eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung, die sonst frühestens nach 15 Jahren möglich ist, ausgeschlossen.
Sendung am Do., 13.2.2025 13:25 Uhr, SWR Extra, SWR