Archivbild: BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mikrofon von SWR Aktuell. Weil die BW-Landesregierung ihre Klimaziele verfehlt, wird sie von der Deutschen Umwelthilfe verklagt.

Baden-Württemberg BW-Landesregierung reagiert auf Klage von Umwelthilfe und Kritik an Kretschmann

Stand: 10.06.2025 16:39 Uhr

Die grün-geführte Landesregierung in BW wird von einer Umweltorganisation verklagt. Es geht um verfehlte Klimaziele und ausbleibende Sofortmaßnahmen - und das nicht zum ersten Mal.

Von Henning Otte, Dennis Just

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) macht Ernst und zieht erneut gegen die grün-schwarze Landesregierung vor Gericht. Weil Baden-Württemberg seine selbstgesteckten Klimaziele für 2030 klar verfehle, habe man beim Verwaltungsgerichtshof Klage eingereicht, sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, dem SWR. "Der Staat nimmt für sich heraus, seine Gesetze nicht einzuhalten." Das könne man nicht hinnehmen.

Mit der Klage wolle die Umwelthilfe erreichen, dass die Koalition noch vor der Landtagswahl im März 2026 zu wirksamen Klimamaßnahmen verpflichtet wird. "Das Land hat es tatsächlich in der Hand, mit einer energetischen Gebäude-Sanierungsoffensive und einem massiven Ausbau von Bahn und Bus gerade im ländlichen Raum seine Klimaziele zu erreichen."

Was fordert die Deutsche Umwelthilfe?
Die Deutsche Umwelthilfe wirft der Landesregierung von Baden-Württemberg vor, das gesetzlich festgeschriebene Klimaziel für 2030 um sechs Millionen Tonnen CO² zu verfehlen. Das entspreche 17 Prozent. Daher fordert sie die grün-schwarze Koalition auf, ein Klimaschutz-Sofortprogramm zu beschließen - unter anderem mit folgenden Maßnahmen:
  • Eine beschleunigte energetische Sanierung von Schulen und Kindergärten
  • Eine Lkw-Maut auf Landstraßen
  • Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen
  • Den dauerhaften Erhalt des Kopfbahnhofs Stuttgart
  • Den Erhalt der direkten Bahnverbindung in die Schweiz über die Gäubahn

Zuvor hatte der Verband der Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein Ultimatum von zehn Tagen gestellt. Innerhalb dieser Frist sollte Grün-Schwarz das im Gesetz vorgesehene Sofortprogramm für Klimaschutz auf den Weg bringen.

Kretschmann will sich von Klage nicht unter Druck setzen lassen

Doch Kretschmann hatte diesem Ansinnen schon vergangene Woche eine klare Absage erteilt. "Ich mache Politik nicht nach Klageankündigungen", sagte der Grüne. "Ich sehe auch keinen Grund für diese Klage, weil wir regelmäßig mit weiteren Maßnahmen nachsteuern." Dabei nannte er etwa die Förderung von Wasserstoff-Hubs, die den Umstieg von Öl und Gas auf Wasserstoff beschleunigen sollen, und den kommunalen Investitionsfonds, mit dem zusätzliche Mittel für den kommunalen Klimaschutz bereit gestellt werden können. Ein Sofortprogramm sei nicht nötig. "Aus der Tasche ziehen kann man sich schlecht was", sagte Kretschmann.

Der Grünen-Regierungschef kritisierte auch die Umwelthilfe, die schon lange immer wieder versucht, die Politik juristisch zum Handeln zu zwingen. "Ob solche Klagen substanziell was bringen, da mach ich mal ein großes Fragezeichen dran. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht." Transformationsprozesse der Wirtschaft bräuchten nun mal ihre Zeit.

Was ist die Deutsche Umwelthilfe?
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wurde 1975 gegründet und setzt sich für Umwelt- und Verbraucherschutz ein. 2004 erkannte das Bundesverwaltungsamt die DUH als klageberechtigten Verbraucherschutzverband an, seit 2008 darf sie auch in Umweltfragen vor Gerichte ziehen. Seit 2012 darf sie Klagen eigenständig führen, etwa zur Erreichung von Fahrverboten. Die DUH war beispielsweise an der Einführung des Pfands für Getränkedosen beteiligt und spielte eine große Rolle beim Dieselskandal. In der Kritik steht die DUH unter anderem wegen ihrer Finanzierung. Ihr Budget setzt sich zum Teil zusammen aus Steuergeldern, die Ministerien oder die EU als Fördermittel an gemeinnützige Organisationen vergeben, und aus dem Geschäft mit Abmahnungen, für die eine DUH-Abteilung zuständig ist. Sie sammelt jedes Jahr rund drei Millionen Euro an Strafgeldern ein - das sind gut 30 Prozent der Gesamteinkünfte. Der Rest des Budgets stammt von Spendern. In der Vergangenheit waren unter ihnen auch Unternehmen, etwa Hersteller von Dieselrußfiltern, wofür die DUH heftig kritisiert wurde. So auch für die Zusammenarbeit mit dem Autokonzern Toyota, der diese allerdings 2018 beendete. Im Sommer 2019 entschied der Bundesgerichtshof über die umstrittene Abmahnpraxis der DUH und stellte fest, dass die Geschäftstätigkeit der Deutschen Umwelthilfe "nicht rechtsmissbräuchlich" ist.

Zustimmung aus der CDU - Selbstkritik bei den Grünen

Unterstützung bekommt Winfried Kretschmann vom Koalitionspartner. Die CDU teile politisch die Auffassung des Ministerpräsidenten, außerdem seien im Klimamaßnahmenregister bereits Maßnahmen ergriffen worden, die beispielsweise im Verkehrsbereich noch wirken müssen, so der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Raimund Haser. Auch Florian Hummel, BW-Landesvorsitzender der CDU-Jugendorganisation Junge Union, meint, dass sich die Landesregierung nicht von angedrohten Klagen und willkürlich gesetzten Fristen treiben lassen dürfe. "Statt Symbolpolitik wie Fahrverbote und Tempolimits braucht es eine Wirtschaftspolitik, die Innovation ermöglicht."

Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne) räumt dagegen ein, die selbstgesteckten Klimaschutzziele verfehlt zu haben. Deshalb müsse es es aus ihrer Sicht weitergehende Programme geben: "Wir müssen es als Impuls nehmen, dass wir die Ziele verfehlt haben, um noch mehr an der Modernisierung unserer Infrastruktur zu arbeiten."

Scharfe Kritik an Kretschmann von Grüner Jugend und der Linken

Von einem "Armutszeugnis" spricht derweil die Grüne Jugend BW. Es sei erschreckend, dass es mit der CDU nicht mehr möglich sei, sich auf wissenschaftliche Fakten zu einigen. Die Jugendorganisation fordert, dass es aufgrund der verfehlten Klimaziele schnellstmöglich zielführende Maßnahmen brauche.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Sarah Mirow, Landessprecherin der Linken Baden-Württemberg. "Dass eine Umweltorganisation eine grün-geführte Regierung verklagen muss, spricht Bände", so die Politikerin. Statt Verantwortung zu übernehmen, versuche Kretschmann, sich mit populistischen Scheinargumenten aus der Affäre zu ziehen.

Kretschmann stellt kleinteilige Klimaziele und -maßnahmen infrage

Kretschmann selbst stellte infrage, ob kleinteilige Klimaziele und -maßnahmen sinnvoll seien. "Deutschland emittiert etwa zwei Prozent der Treibhausgase, Baden-Württemberg entsprechend noch viel weniger." Entscheidend sei, dass Deutschland als Hochtechnologieland zeige, "dass wir mit der Transformation Wohlstand sichern". Wenn das gelinge, würden andere Länder folgen.

Umwelthilfe wirft Kretschmann "AfD-nahe Position" vor

Resch nannte diese Argumentation "aberwitzig". Dass Deutschland beim Klimaschutz selbst kaum etwas ausrichten könne, höre man sonst nicht von Grünen. "Es ist eine AfD-nahe Position, die er da vertritt", sagte der DUH-Geschäftsführer. Deutschland habe in vielen Bereichen seine Technologieführerschaft verloren. Die Autokonzerne in BW hätten bei der Elektromobilität den Anschluss verloren. Das liege auch daran, dass der Druck vonseiten der Politik nicht groß genug gewesen sei. "Kretschmann ist komplett auf der Industrielinie und bei der CDU."

Hoffnungen der Umweltschützer ruhen auf Özdemir

Resch setzt große Hoffnungen auf Cem Özdemir, den grünen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Zwar habe er registriert, dass auch Özdemir als Motto für den Wahlkampf "Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft" ausgegeben hatte. Dennoch erwarte er, dass Özdemir das Klimaschutzgesetz konsequent umsetze.

"Das ist der Lackmustest in der Eignung als Ministerpräsident. Wenn ich von vornherein sage, ich drücke mich vor konkreten Aussagen, wie ich Wirtschaft und Klimaschutz zusammenbringen will, dann ist das kein Ausweis von Regierungsfähigkeit."   

Grün-schwarzer Zoff bei Klimaschutz

Grüne und CDU streiten sich seit acht Monaten über das weitere Vorgehen beim Klimaschutz. Die CDU-Seite zweifelt an, dass BW tatsächlich auf eine "erhebliche Zielverfehlung" zusteuert, die ein solches Sofortprogramm auslösen würde. Es liege größtenteils auch nicht in der Hand der Landesministerien, den CO2-Ausstoß in bestimmten Sektoren zu verringern, sondern beim Bund oder der EU. Zudem verweist die CDU darauf, dass es vor allem der Bereich von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sei, der mit Abstand die meisten Treibhausgase freisetze.

Die grün-schwarze Koalition hatte sich im Koalitionsvertrag von 2021 vorgenommen, BW zum Klimaschutzland Nummer eins zu machen. Demnach soll das Land bis zum Jahr 2040 netto-klimaneutral sein, fünf Jahre schneller als der Bund und zehn Jahre früher als die EU. Das Zwischenziel in BW: In fünf Jahren sollen die Treibhausgase um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Doch im Sommer 2024 hieß es im Klimaschutz- und Projektionsbericht führender Forschungsinstitute, bis 2030 werde nur ein Minus von 53 Prozent erzielt. Vor allem in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft gehe es nicht schnell genug voran.

Umweltverband fordert Tempo 30 innerorts

Die Umwelthilfe hatte die Landesregierung zum harten Gegensteuern aufgefordert. Nötig sei "Tempo 100 auf allen Autobahnabschnitten und Tempo 80 auf allen Bundes- und Landstraßen als landesweiter Modellversuch sowie Tempo 30 innerorts".

Kretschmann hatte sich verwundert gezeigt über die Vorschläge, weil das Land in beiden Fällen nicht zuständig sei. Resch widersprach: "Baden-Württemberg kann sehr wohl bei der Bundesregierung Verkehrsversuche beantragen mit einem entsprechenden Tempolimit." Auch mit den Kommunen könne man da etwas vereinbaren. Zudem mahnte er an, die LKW-Maut auf kommunalen Straßen einzuführen - so wie es im BW-Koalitionsvertrag vereinbart wurde.

Zweite Klimaklage gegen BW

Die Umwelthilfe war schon einmal erfolgreich mit einer Klimaklage gegen das Land Baden-Württemberg. Im November 2022 monierte der Verwaltungsgerichtshof einen Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz. Der VGH verurteilte das Land dazu, das im Gesetz vorgesehene integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept zu beschließen.

Die neue grün-schwarze Regierung erklärte jedoch, das integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept durch ein neues Klima-Maßnahmen-Register ersetzen zu wollen, das öffentlich einsehbar sei.

Chef der Umwelthilfe beantragte schon mal Beugehaft für Kretschmann

Umweltschützer Resch und der Grünen-Politiker Kretschmann kennen sich schon seit Jahrzehnten. Zum Bruch kam es im Streit um Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge in Stuttgart. 2019 beantragte die Umwelthilfe sogar Beugehaft gegen Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung, um das flächendeckende Fahrverbot für Euro-5-Diesel durchzusetzen. Die Regierung hatte sich geweigert, solche Fahrverbote zu erlassen.

Kretschmann kritisierte die Vorgehensweise des Umweltverbands am vergangenen Dienstag nochmals. Die Klagen hätten doch in Wirklichkeit keine Auswirkung auf die Sauberkeit der Luft gehabt. "Am Ende war doch die Erneuerung der Flotte Euro 6 der Haupteffekt." Resch widersprach auch hier. Es gebe Studien, die belegten, dass die Fahrverbote zu einer bessere Luftqualität geführt hätten.

Resch hält Grünen-Regierungschef zu große Nähe zu Autokonzernen vor

Der Chef der Umwelthilfe erinnerte daran, dass Kretschmann zu Beginn seiner Amtszeit 2011 gesagt hatte, dass "weniger Autos natürlich besser als mehr" seien. Doch dann habe es Kritik aus der Autoindustrie gegeben. "Er ist auf den Knien zu Daimler gerobbt und hat sich entschuldigt", sagte Resch. "Seitdem ist er nicht mehr in den aufrechten Gang zurückgekehrt." Kretschmann habe sich an ganz vielen Stellen für die Autokonzerne eingesetzt. "Er war immer auf der falschen Seite."

Tatsächlich ist die Zahl der Autos auf den Straßen im Land in der Regierungszeit des grünen Ministerpräsidenten von 2011 bis 2024 von gut 7 Millionen auf knapp 8,6 Millionen gestiegen. Das zeigen Zahlen des Statistischen Landesamts. Demnach hatten 2024 knapp 715.000 Pkw einen alternativen Antrieb. Der Anteil der Hybrid-Autos lag bei 6,4 Prozent, der der E-Autos bei 3,3 Prozent. Dazu hatte Kretschmann gesagt, er nehme wahr, "dass der Hochlauf bei der E-Mobilität richtig beginnt". Das sei entscheidend, damit der Verkehr klimaneutral werde. "Die Leute müssen natürlich diese Autos kaufen."

Sendung am Di., 10.6.2025 5:00 Uhr, Guten Morgen Baden-Württemberg, SWR1 Baden-Württemberg

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