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Baden-Württemberg Wahlumfragen: Wie werden sie erhoben und was sagen sie aus?
Wahlumfragen sollen Licht ins Dunkel bringen. Aber wie geht das eigentlich - und warum kann sich in den Tagen vor der Wahl noch einiges ändern?
Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre? Diese Frage ist ein Klassiker in Wahlumfragen. Aber wer wird von den Meinungsinstituten eigentlich befragt? Und was können solche Umfragen leisten - und was nicht? Das erklärt Anja Miriam Simon, Direktorin für Wahl- und Meinungsforschung bei Infratest dimap, im Interview mit SWR Aktuell. Für den SWR führt Infratest dimap regelmäßig die Umfragen für den BW-Trend durch und liefert an Wahlabenden Prognosen, Hochrechnungen und Auswertungen fürs SWR-Wahlstudio.
SWR Aktuell: Frau Simon, die meisten Menschen in Baden-Württemberg haben noch nie an einer Wahlumfrage teilgenommen. Trotzdem treffen Sie mit Ihren Umfragen Aussagen über alle Wahlberechtigten. Wie ist das möglich?
Anja Miriam Simon: Unser Ziel ist es, eine repräsentative Umfrage durchzuführen, die alle Wahlberechtigten in Baden-Württemberg in verkleinertem Maßstab abbildet. Dafür treffen wir eine Zufallsauswahl. Es gibt eine telefonische Stichprobe mit einer zufälligen Auswahl der eingetragenen Nummern, bei der wir die letzten beiden Ziffern nochmal verändern. Dadurch können wir auch Haushalte erreichen, die im Telefonverzeichnis nicht eingetragen sind. Wenn im Haushalt mehrere Personen leben, wird nur die Person befragt, die zuletzt Geburtstag hatte. Im Online-Teil der Erhebung wird aus einem Pool befragungswilliger Personen eine Zufallsauswahl getroffen. Insofern hat jeder Wahlberechtigte die gleiche Chance, an der Umfrage teilzunehmen.
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Anja Miriam Simon von Infratest dimap
SWR Aktuell: Kritiker werfen Meinungsforschungsinstituten immer wieder vor, dass sie bestimmte Altersgruppen oder politisch desillusionierte Menschen nicht ausreichend erreichen. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Simon: Wir entwickeln unsere Methoden weiter, um alle Bevölkerungsgruppen gut zu erreichen. Zum Beispiel führen wir unsere Umfragen eben seit geraumer Zeit zum Teil telefonisch und zum Teil online durch. Immer mehr Menschen sind online aktiv, und insbesondere Jüngere können auf diesem Weg besser erreicht werden. Gleichzeitig gibt es Personen, dazu gehören vor allem die Älteren, die nach wie vor telefonisch besser erreichbar sind. Dadurch, dass wir beide Erhebungswege kombinieren, können wir beide Bevölkerungsgruppen gut abbilden. Das zugrunde liegende Zufallsverfahren stellt sicher, dass nicht nur Personen an der Befragung teilnehmen, die sich zum Beispiel stark für Politik interessieren.
SWR Aktuell: In den USA wichen die Wahlumfragen in den vergangenen Jahren deutlich von den tatsächlichen Ergebnissen ab. Experten gehen davon aus, dass dafür unter anderem Trump-Anhänger verantwortlich sind, weil viele von ihnen an den Wahlumfragen nicht teilnehmen wollen. Lässt sich so etwas auch in Deutschland beobachten?
Simon: Generell haben wir in Deutschland kein Problem damit, dass sich bestimmte Bevölkerungsgruppen den Umfragen gänzlich verweigern. In der Anfangszeit der AfD haben wir zwar festgestellt, dass Personen, die mit der Partei sympathisierten, sehr zurückhaltend auf unsere Umfragen reagiert haben. Das hat aber nachgelassen.
SWR Aktuell: Was sind die Klassiker unter Ihren Fragen?
Simon: Wir haben in unseren Wahlerhebungen und Vorwahlumfragen einen großen Teil an Fragen, die regelmäßig gestellt werden. Dadurch lässt sich die politische Stimmung in Baden-Württemberg auch im Zeitverlauf betrachten. Dazu zählt zum Beispiel die Bewertung der Spitzenkandidaten, die Fragen nach Parteikompetenzen und welches die entscheidenden Themen im Land sind.
SWR Aktuell: Sie stellen aber auch aktuelle Fragen. Zum Beispiel ging es im aktuellen BW-Trend darum, ob man sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen kann oder ob man Sorge davor hat, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren. Wer entscheidet, welche Fragen gestellt werden?
Simon: Die Auswahl der aktuellen Fragen orientiert sich an der aktuellen Themenlage und insbesondere auch daran, was die Bevölkerung zu dem Zeitpunkt stark bewegt. Der BW-Trend im Dezember hat zum Beispiel gezeigt, dass für die Wahlberechtigten in Baden-Württemberg Wirtschaft und Zuwanderung die wichtigsten Probleme sind. Das Thema Zuwanderung ist durch die Migrationsdebatte im Bundestag Ende Januar nochmal sehr in den Fokus gerückt. Aber auch Wirtschaftsfragen spielen nach wie vor eine große Rolle. Deshalb haben wir im BW-Trend vergangene Woche beide Themen nochmal aufgegriffen. Die Auswahl der Themen ist eine redaktionelle Entscheidung. Wir unterstützen aber bei der Formulierung konkreter Fragen. Diese müssen verständlich und neutral sein. Es darf also keine Suggestivfragen geben. Außerdem müssen alle Antwortmöglichkeiten vorhanden sein.
SWR Aktuell: Wie hat sich die Methodik der Wahlumfragen in den vergangenen Jahren durch Digitalisierung und neue Technologien verändert? Nutzen Sie beispielsweise KI-gestützte Analyseverfahren?
Simon: Wir beschäftigen uns auch mit KI-gestützten Analyseverfahren und setzen diese zum Beispiel auch für die Kategorisierung von Antworten bei offenen Fragen ein. Das ist ein spannendes Feld und es eröffnet uns neue Möglichkeiten, die wir entsprechend prüfen. Wir führen auch Vergleiche mit bestehenden Verfahren durch. Schließlich müssen wir sicherstellen, dass eine Veränderung der Ergebnisse nicht einer Veränderung des Verfahrens geschuldet ist.
SWR Aktuell: Woran liegt es, wenn sich die Umfragen kurz vor der Wahl deutlich von den tatsächlichen Ergebnissen unterscheiden?
Simon: Wir veröffentlichen unsere letzte politische Umfrage zehn Tage vor der Wahl. Sie spiegelt die Stimmung zu diesem bestimmten Zeitpunkt wider. Bis zum Wahltag kann sich da noch einiges tun. Zwei Wochen vor der Landtagswahl 2011 gab es zum Beispiel das Erdbeben in Japan mit der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Das hat die politische Agenda nochmal ziemlich durcheinander gewirbelt. Vor allem, weil in Baden-Württemberg die Energiepolitik stärker als anderswo durch Atomenergie geprägt war und sich der damals amtierende Ministerpräsident Stefan Mappus zuvor noch für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke starkgemacht hatte. Dadurch hat sein Ansehen gelitten. Die Grünen und ihr damaliger Spitzenkandidat Winfried Kretschmann hatten dagegen einen deutlichen Glaubwürdigkeits-Vorsprung aufgrund ihrer konsistenten Position in der Energie- und Atompolitik. Von solchen Ereignissen abgesehen entscheidet sich ein Teil der Wählerinnen und Wähler erst kurzfristig und es kommt auch darauf an, ob es Parteien gelingt, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, sodass sie am Wahltag wirklich wählen gehen.
SWR Aktuell: Haben Wahlumfragen einen Einfluss auf das Wahlverhalten?
Simon: Dazu gibt es verschiedene Thesen. Eine geht davon aus, dass Parteien, die gut in den Umfragen dastehen, noch mehr Unterstützung bekommen. Eine andere besagt das Gegenteil, nämlich dass Wählerinnen und Wähler sich vom erwarteten Gewinner abwenden und eine Partei unterstützen, die eher im Nachteil scheint. Eine ganze Reihe von Untersuchungen hat aber gezeigt, dass Wahlumfragen sich nicht systematisch darauf auswirken, wo Wählerinnen und Wähler am Schluss ihr Kreuz machen.
Bundestagswahl 2025: Prognose aktuell liefert Infratest dimap
SWR Aktuell: Infratest dimap macht für den SWR nicht nur regelmäßig Umfragen zur politischen Stimmung im Land, sondern liefert auch Prognosen und Hochrechnungen am Tag der Wahl. Wie werden diese Zahlen ermittelt?
Simon: Am Wahlsonntag stehen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon morgens vor den Wahllokalen. Sie bitten Menschen, die die Wahllokale wieder verlassen, unseren Fragebogen auszufüllen. Neben dem Wahlverhalten werden auch soziodemografische Informationen wie das Alter, das Geschlecht oder der Bildungsgrad mitabgefragt. Die Angaben werden im Laufe des Tages regelmäßig ausgezählt, telefonisch weitergegeben und an unser ARD-Wahlstudio übermittelt. Sie bilden dann die Grundlage für die 18-Uhr-Prognose. In die Hochrechnungen am Wahlabend fließen dann auch die ausgezählten Stimmen ein. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die am Wahlabend vor Ort im SWR sind, können von dort auf alle Informationen zugreifen.
SWR Aktuell: Was ist mit den Briefwählerinnen und Briefwählern?
Simon: Für die Prognose wird die Briefwahl geschätzt, und zwar basierend auf Erfahrungswerten. In die ersten Hochrechnungen fließt die Briefwahl dann mit ein, hier haben wir 170 Korrespondenten, die die Ergebnisse aus den Briefwahlbezirken übermitteln.
SWR Aktuell: Lagen Sie mit den Zahlen um 18 Uhr schon mal erheblich daneben?
Simon: Generell sind die Abweichungen sehr gering. Sie betragen im Durchschnitt um die 0,5 Prozentpunkte pro Partei. Wenn eine Partei nahe an der Fünf-Prozent-Hürde ist, kann aber schon eine kleine Abweichung einen großen inhaltlichen Unterschied machen: Entweder sie zieht ins Parlament ein oder nicht. Größere Abweichungen hatten wir bei den Wahlen in Berlin 2021. Wegen der organisatorischen Probleme rund um die Wahlen haben wir uns damals schwerer getan als sonst. Aber letztlich musste die Wahl auch wiederholt werden.
SWR Aktuell: Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten den SWR auch vor und in der Wahlsendung und auch für die Online-Ausspielung, beispielsweise für das Wahlportal und den Liveticker. Womit?
Simon: Es geht zum Beispiel um die Frage, welche Grafiken gezeigt werden. Die Wählerwanderung, das Wahlverhalten nach Geschlecht oder nach Alter, das sind klassische Bestandteile. Wir schauen uns aber auch gemeinsam mit dem SWR-Wahl-Team an, welche Aspekte besonders spannend sind: Haben Männer etwa ganz anders abgestimmt als Frauen? Oder was könnten Gründe dafür sein, dass eine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert? Hat ihr Spitzenkandidat vielleicht nicht gezogen? Dadurch versuchen wir den Zuschauenden das Wahlergebnis zu erklären. Und Online können sich die User durch umfangreiche Analysen klicken.
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