
Hamburg HSV-Aufstieg in die Bundesliga - Für viele Fans eine gefühlte Meisterschaft
Der HSV ist zurück in der Fußball-Bundesliga. Für viele Fans des Hamburger Traditionsclubs ist der Aufstieg der größte Erfolg, den sie mit dem Club feiern - auch für NDR Autor Tobias Knaack.
An einem schönen Nachmittag Anfang April passierten in Nürnberg zwei Dinge. Nein, eigentlich drei. Zunächst gewann der HSV sein Auswärtsspiel beim FCN, zu diesem Zeitpunkt durchaus in Schlagdistanz zu den Hamburgern, äußerst souverän mit 3:0.
Der HSV war zu diesem Zeitpunkt, sechs Spieltage vor dem Ende der Saison, Zweitliga-Tabellenführer und hatte sechs Zähler Vorsprung auf Relegationsrang drei. Und so stellte sich, zweitens, für mich - aber wie ich wahrnahm auch für viele der mehr als 10.000 Hamburger Anhänger - ein merkwürdiges, absolut ungewohntes Gefühl ein: "Oh mann, das könnte ja wirklich klappen mit dem Aufstieg." Die Ausgangslage des Vereins war in sieben Jahren in der 2. Liga schließlich noch nie so gut gewesen.
Das führte aber, drittens, zumindest im Unterbewusstsein zu dem Gedanken, der vielen Fans des Clubs vertraut sein dürfte: "Mist, da kann man ja jetzt richtig was verlieren." Und als hätte man es geahnt (oder aus vielen Jahren mit diesem Verein gewusst), holte das Team von Trainer Merlin Polzin prompt nur einen Zähler aus den folgenden drei Partien und drohte die brillante Ausgangslage zu verzocken. Mal wieder.
HSV-Urerlebnis: Scheitern auf unterschiedlichem Niveau
Und so zog es wieder auf am Horizont, das HSV-Urerlebnis der vergangenen knapp vier Jahrzehnte: Dass es wieder nicht klappt, den letzten Schritt zu gehen. Dass kurz bevor die Mannschaft etwas erreicht, der Stecker gezogen ist. Dass man erneut anderen beim Jubeln zusehen darf, beim Feiern. Wäre ja auch zu schön gewesen. Same old story. Better luck next time.
Woher aber kommt dieses Gefühl, dieses Misstrauen dem eigenen Club gegenüber? Die Skepsis und (böse) Vorahnung, dass der Verein sich wieder einmal selbst im Weg stehen wird? Wahrscheinlich ist es wie so vieles im Leben: erlernt. Hat sich eingeschrieben durch allzu häufige Wiederholung. Ein "Wissen", dass der Club scheitert, wenn es drauf ankommt - und das über die vergangenen knapp vier Jahrzehnte auf unterschiedlich hohem Niveau.
Auf der Abwärts-Spirale
Denn waren es in den 1990ern verfehlte bessere Platzierungen in der Bundesliga, verpasste der HSV in den spielerisch mitunter attraktiven 2000ern gleich mehrfach Europokal- und DFB-Pokal-Endspiele, bevor er in den 2010ern in einer steten Abwärts-Spirale nach sportlichen und vereinsinternen Kämpfen in Liga zwei landete.
Und dort erstmal - verdientermaßen - angekommen, begab sich der Club auf einen siebenjährigen Selbstfindungskurs, wie man mit dem Gegenschnitt der gefühlten (und realen) eigenen Größe und der nur noch zweithöchsten Spielklasse umgeht. Das Ergebnis: das sechsmalige "Schöner Scheitern" an der Rückkehr in die Beletage.
"Der Verein sucht dich aus" - mitgehangen, mitgefangen
Mein erstes Spiel im Volksparkstadion habe ich 1991 erlebt - ein 3:2 gegen Werder Bremen. Für mich ein Nick-Hornbyesker Moment, wie der britische Autor ihn in seinem Buch "Fever Pitch" über seine Liebe zum FC Arsenal aufgeschrieben hat: "Du suchst dir nicht deinen Verein aus, sondern dein Verein sucht dich aus." Und das heißt eben auch: mitgehangen, mitgefangen.
Ich war dabei, als der HSV 2008 binnen weniger Wochen zwei potenzielle Finals in Europapokal und DFB-Pokal gegen Werder verspielte. Habe miterlebt, wie der Club im Jahr darauf gegen Fulham das mögliche Heim-Endspiel in der Europa League im Volksparkstadion liegenließ.
Ich habe mir angeschaut, wie Hertha BSC 2022 die Relegations-Aufstiegsparty im Volkspark gecrasht hat. War im Folgejahr, wenn auch nicht live vor Ort, so doch zumindest zunächst am Fernseher und später vor Nervosität spazierend im Audio-Stream dabei, als der HSV in Sandhausen für wenige Minuten glaubte, direkt aufgestiegen zu sein. Von diesem Spaziergang bin ich psychisch erst mit reichlich Verspätung zurückgekehrt. Brauchte, auch wenn ich zwischendurch bei den Relegations-Spielen gegen Stuttgart war, Zeit, um mich davon zu erholen. Wie viele andere wahrscheinlich auch.
Als mittelalter Mensch zu jung für die Erfolge des Clubs
Denn ich war nicht dabei, als der HSV etwas gewonnen hat, etwas erreicht hat, etwas zu feiern hatte. Ich kann nicht von einstigen Triumphen "zehren" - auch wenn ich glaube, dass das bei allen, die dabei waren, auch schon länger aufgebraucht sein dürfte. Beim letzten großen Titel, dem Sieg im DFB-Pokal 1987, war ich zu jung, um ihn bewusst zu erleben. Und der größte Erfolg des Clubs, der Sieg im Europapokal der Landesmeister 1983, war ohnehin ein Jahr vor meiner Geburt.
Den Zeitpunkt meiner Geburt empfinde ich in vielerlei Hinsicht als absoluten Segen - ökonomisch, in weiten Teilen gesellschaftlich, auch den aktuellen Irrungen und Wirrungen zum Trotz global. Im Leben als Anhänger des HSV hat er sich nicht immer nur als Gnade erwiesen.
Mit dem HSV auf Partys, die nie stattfanden
Natürlich habe ich in fast 35 Jahren mit diesem Club ein Füllhorn schöner Momente erlebt, habe irre Spiele gesehen, späte Rettungen wie Titel gefeiert, tolle Tore bejubelt - und Letztere in Teilen sogar international. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass das sehr viel mehr ist, als viele Fans anderer Vereine je sehen und erleben dürfen. Vor allem aber ist mir klar, dass zum Sport neben den süßen Siegen eben immer auch die bitteren Niederlagen stehen - und dass man dieses Gefühl als HSV-Fan keineswegs exklusiv hat.
Denn was soll ich einem Schalke-Anhänger zum Schmerz der Minuten-Meisterschaft anno 2001 erzählen? Nichts! Außer vielleicht, dass Sandhausen - wenngleich auf sportlich völlig anderem Niveau - auch nicht schön war. Dass Fans beider Vereine wissen, wie es sich anfühlt, häufiger auf Partys gewesen zu sein, die nie stattfanden. Wie es ist, seinen Club zum Scheinriesen verkommen zu sehen. Man hat immer häufiger das Nachsehen, darf zusehen, kann nach Hause gehen.
Jahrelanger Kreislauf aus Erwartung und Enttäuschung
Auch wenn man mit Niederlagen umzugehen lernt und besser versteht, Enttäuschungen zu verarbeiten, ist es, um es mit der Berliner Band Beatsteaks zu sagen, ein Fan-Leben mit einem "L auf der Stirn": Loser, Verlierer. Zumal es über die Jahre anstrengend ist, wenn der eigene Verein fast schon wie eine perfekte Droge wirkt. Der einen immer wieder anschmeckt, der einem Hoffnung auf ein Hoch macht, und dann in die Enttäuschung und in einen kalten Entzug schickt.
Neuer Anlauf, neuer Kreislauf, denn: Natürlich geht man wieder hin, natürlich schaut man sich die Spieler wieder an. Nicht ganz so lakonisch-ironisch vielleicht wie die Band "Norbert und die Feiglinge" das vor 30 Jahren in ihrem Song "Trotzdem HSV" besungen hat, sondern aus dem schlichten Grund, weil das Fan-Herz nicht anders kann. Vielleicht klappt es ja dieses Mal. Mitgehangen, mitgefangen.
Erfolg als völlig eine neue Erfahrung
Und nun hat der HSV zum ersten Mal in den knapp 35 Jahren meines Fan-Daseins - und im Leben vieler anderer Anhänger mit dem Club - etwas erreicht. Er hat dem Druck standgehalten. Er ist nach all den Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahre aufgestiegen.
Ich war dabei. Wie ich damit umgehen soll, dass das erlernte Misstrauen und die Skepsis, die sich Anfang April an einem schönen Sonntag in Nürnberg in den allgemeinen Jubel einschlichen, in diesem Fall unbegründet waren, weiß ich noch nicht. Ist ja neu für mich - so wie für ganz viele andere HSV-Fans auch.
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Sportclub | 11.05.2025 | 22:50 Uhr