
Hamburg Immer authentisch: NDR Urgestein Carlo von Tiedemann
Volksnah - trotz "von und zu" im Namen: Mehr als 50 Jahre lang war Carlo von Tiedemann Moderator in Funk und Fernsehen. Mit viel Spaß an der Arbeit, immer authentisch, mit Herz und Schnauze. Am Pfingstsonntag ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.
"Arbeit als solches habe ich nie als Arbeit kennengelernt. Ich habe wirklich immer nur Spaß", sagte er einmal über sich selbst.
Klassenclown aus adeligem Hause
Als Spross eines preußischen Adelsgeschlechts erblickt Carl Ferdinand Hanns-Joachim Franz Friedrich von Tiedemann am 20. Oktober 1943 im pommerschen Stargard das Licht der Welt. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs muss die Familie Ende 1944 ihr Gutshaus verlassen und nach Holstein flüchten. Neues Domizil wird das beschauliche Gut Bockhorn im Kreis Plön, wo der Junge mit seinen Eltern Unterschlupf bei Verwandten findet. Im benachbarten Wankendorf drückt er Ende der 40er-Jahre die Grundschulbank und schon damals wird klar: Als Klassenclown hat er das Zeug zum Entertainer - ein Talent, das ihm viele Jahre später eine große Karriere bescheren sollte.
Menschen interessieren ihn, Zahlen weniger
Bei der Ausbildung zum Verlagskaufmann bei Axel Springer zeigt sich: Nicht Zahlen sondern Menschen interessieren ihn. Es folgt ein Volontariat bei der "Cuxhavener Allgemeinen", Reportereinsätze beim "Hamburger Abendblatt" und dem Springer Auslandsdienst in Buenos Aires. Aber der heimliche Traum ist noch vor dem Fernsehen das Radio - und so kommt der Mann mit der sonoren Stimme und dem Schnauzbart 1971 mit 27 Jahren zum NDR.
Start bei NDR 2
Seine Karriere beginnt als Reporter für den "Kurier am Mittag" auf NDR 2. "Als ich gemerkt habe, dass man mit Sabbeln Geld verdienen kann, wusste ich: Das ist mein Ding", so von Tiedemann. Bald wechselt er in die Unterhaltung und moderiert "NDR 2 am Vormittag".
Ab 1976 auch im Fernsehen
Ab Ende 1976 ist Carlo auch im Fernsehen zu sehen und wird bundesweit bekannt. Zuerst an der Seite von Alida Gundlach in "Die aktuelle Schaubude", die er mit Unterbrechung bis 2004 moderierte. Fast 1.000 Mal führt er mit frechen Sprüchen und seiner für die damalige Zeit lockeren Art durch die Sendung.
Drogen und Spielsucht: "Das ging gewaltig in die Hose"
Es gibt auch die andere skandalträchtige Seite von Carlo von Tiedemann in den 80er-Jahren: Er selbst fasste diese Phase einmal prägnant zusammen: "Ein beschämendes Kapitel meines Lebens. Kokain, Alkohol, Bordelle, Betrug, Lügen." Eine Ehe scheitert deshalb, es folgen Spielsucht und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. "Ich behaupte einfach mal: Der liebe Gott hat mich von der Leine gelassen", sagte von Tiedemann später. "Der wollte mal wissen: Wie ist dieser Typ eigentlich ohne mich? Und das ging gewaltig in die Hose."
Unterstützung von den Fans
Der NDR war Carlo von Tiedemann und umgekehrt, und das mehr als 50 Jahre - auch in schweren Zeiten. Wohl auch, weil seine Fans ihm alles verzeihen konnten. "Es gab Hunderte Briefe und Hunderte Anrufe, die sagten: 'Lasst uns den Verrückten!'", sagte von Tiedemann. "Letztendlich hat die Öffentlichkeit dafür gesorgt, dass der NDR gesagt hat: 'Der hat so ein Standing, den können wir nicht weghobeln, den Burschen.'"
Radio war ihm besonders wichtig
In den 90er-Jahren werden die Schlagzeilen weniger. Tiedemann erhält neue Chancen im Radio und Fernsehen. In der "NDR Quizshow" kann er ab 2004 in über 300 Folgen seine Schlagfertigkeit, seinen Humor und seinen Charme voll ausspielen. Sieben Jahre lang ist er auch Stadionsprecher beim HSV im Volksparkstadion. Im Radio wechselt Carlo von Tiedemann 1997 von NDR 2 zu seiner neuen Heimat nur ein Haus weiter zu NDR 90,3. Bis zuletzt. Radio sei ihm immer wichtiger gewesen als Fernsehen, sagte er einmal.
"Ich hatte den besten Beruf der Welt"
Mensch bleiben: Das war sein Lebensmotto. Er unterstützte abseits der Kameras und Mikrofone Bedürftige in Not und war Träger der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Mit Carlo von Tiedemann geht einer der letzten großen deutschen Entertainer, der von sich selbst sagte: "Ich hatte den besten Beruf der Welt."
Dieses Thema im Programm:
NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 08.06.2025 | 19:00 Uhr