
Hamburg "Sie fangen wieder an zu zittern": Verspielt der HSV erneut den Aufstieg?
Dem HSV droht auf der Zielgeraden der Saison wie in den vergangenen sechs Jahren im Aufstiegskampf die Luft auszugehen. Aus den vergangenen vier Partie holten die Hamburger nur einen Sieg. Die Vorstellung beim 2:2 am Samstagabend beim FC Schalke 04 war dabei in vielen Bereichen besorgniserregend.
Wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich ja nicht mit Steinen werfen. Die Schalke-Fans taten es nach dem Duell mit dem HSV dennoch. "Zweite Liga, Hamburg bleibt dabei", sangen die Anhänger des Gelsenkirchener Clubs, der seinerseits in der vergangenen Serie nur knapp den Abstieg verhindert hatte und auch in dieser Serie lange tief im Tabellenkeller stand. Die Häme in Richtung der Hanseaten, die ja noch immer prächtige Aufstiegschancen haben, war also maximal mutig. Und tangierte die Adressaten peripher.
"Das juckt mich nicht", sagte Jonas Meffert im ARD Interview. "Es ist auch schon sehr, sehr mutig", ergänzte der Mittelfeldmann, der kurz nach dem Anpfiff Opfer eines bösen Fouls von Kenan Karaman geworden war. Die daraus resultierende Rote Karte für den Schalker Kapitän hätte Meffert und seinen Nebenleuten eigentlich in die Karten spielen müssen. Tat sie aber nicht.
Der bisherige Tabellenführer - am Sonntag übernahm der 1. FC Köln den Platz an der Sonne - zeigte in Überzahl eine verkrampfte und fehlerbehaftete Leistung. Ein Gerangel nach dem Abpfiff zwischen Linksaußen Jean-Luc Dompé und Verteidiger William Mikelbrencis ließ zudem vermuten, dass es um das Nervenkostüm der Norddeutschen nicht gut bestellt ist.
Schalkes Schallenberg: "Sie fangen wieder an zu zittern"
Dompé, der das 1:1 durch Emir Sahiti mit einer Flanke vorbereitet hatte, wollte seinem französischen Landsmann an den Kragen gehen. Daran konnte der 29-Jährige von Co-Trainer Richard Krohn zwar noch gehindert werden. Der offen auf dem Rasen ausgetragene Zoff manifestierte aber eben den Eindruck, den der HSV bereits zuvor auf dem Feld hinterlassen hatte: "Sie fangen wieder an zu zittern. Das hat man so ein bisschen gespürt", sagte Schalkes Ron Schallenberg bei "Sky" über die Hamburger.
Dompés Ausraster ein Zeichen für flatterndes Nervenkostüm?
Verlor Dompé deshalb die Nerven, weil der HSV auch im siebten Anlauf wieder am Aufstieg zu scheitern droht? Mitnichten, wie Meffert und Coach Merlin Polzin unisono erklärten. "Er hatte mit 'Willi' eine Meinungsverschiedenheit. Es ging um eine Spielsituation. Die sind wie Geschwister. Und wenn du mit deinem Bruder in einer Fußballmannschaft spielst und nur ein Unentscheiden schaffst in einem Spiel, das du eigentlich gewinnen musst, dann kann es auch schon mal emotionaler werden", sagte Meffert.
"Zwischen Jean-Luc und 'Willi' herrscht fast ein Bruderverhältnis. Jean-Luc übernimmt extrem viel Verantwortung auch für 'Willi' und hat einen großen Anteil an seiner fantastischen Entwicklung. Da haben sie sich das eine oder andere gesagt - das gehört zum Fußball dazu", erläuterte Polzin.
Polzin überrascht mit Startelf ohne Mittelstürmer
Der junge Trainer war trotz der enttäuschenden fußballerischen Vorstellung mit wenigen gelungenen Offensivaktionen und erneuten Abwehr-Patzern bemüht, das Positive aus dem Spiel herauszuziehen. "Wir werden draus lernen und unsere Rückschlüsse daraus ziehen", sagte der 34-Jährige im ARD-Interview.
Polzin hatte mit fünf personellen Änderungen in der Anfangsformation im Vergleich zum Duell mit Eintracht Braunschweig (2:4) in der Vorwoche überrascht. Zumal sich in der Startelf kein nomineller Mittelstürmer fand. Sowohl Top-Torschütze Davie Selke als auch Robert Glatzel schmorrten zunächst auf der Bank. Dafür durften der formschwache Immanuel Pherai und Ransford Königsdörffer von Beginn an ran. Die Idee dahinter: "Wir wollten immer wieder mit ihrer Geschwindigkeit hinter die Schalker Abwehr kommen", erklärte Polzin.
Das klappte allerdings nur einmal richtig gut, als Königsdörffer kurz vor der Pause das 2:1 durch Sahiti vorbereitete. Ansonsten war der 23-Jähriger kein großer Faktor. Und Pherai? Der Edeltechniker war erneut ein Fremdkörper und wurde in der Halbzeit ausgewechselt. Für ihn kam Adam Karabec. Zudem wurde Glatzel eingewechselt.
Selke mit Bank- und Vertragsfrust
Selke musste weiter zuschauen. Durch seine Nichtnominierung für die Startelf ist nun auch klar, dass sich sein auslaufender Vertrag bei einem Aufstieg nicht automatisch verlängert. Dafür hätte er in 14 von 17 Rückrunden-Partien von Beginn an auf dem Platz stehen müssen, was jetzt nicht mehr möglich ist.
HSV verliert nach Spielunterbrechung Spielkontrolle
Mit der Führung im Rücken und in Überzahl sprach im zweiten Abschnitt eigentlich alles für einen HSV-Sieg. Die Polzin-Elf drängte nach dem Wiederanpfiff auch auf den dritten Treffer, wurde dann aber von den eigenen Fans ausgebremst. Einige der mitgereisten Anhänger begannen im Block zu zündeln und schossen Raketen auf den Rasen. Schiedsrichter Harm Osmers (Hannover) unterbracht die Partie für fünf Minuten.
Im Anschluss verloren die bis dahin dominanten Hamburger zunehmend die Spielkontrolle. Das hätte gegen fußballerisch limitierte, aber sehr leidenschaftliche Schalker zum Sieg reichen können. Tat es aber nicht, weil die Polzin-Schützlinge in der Schlussphase nicht aggressiv genug verteidigten und so noch den Ausgleich durch einen Kopfballtreffer von Moussa Sylla zuließen.
Gelingt gegen den Karlsruher SC die Trendwende?
"Wir haben es verpasst, das dritte Tor zu machen", sagte Polzin. Die von den HSV-Fans herbeigeführte Spielunterbrechung wollte der Coach nicht für den Spannungsabfall bei seinem Team in der Schlussphase als ursächlich ansehen. "Es wäre zu einfach, es darauf herunterzubrechen. Deswegen suchen wir keine Ausreden, sondern fangen bei uns selbst an", erklärte der Trainer.
"Wir suchen keine Ausreden, sondern fangen bei uns selbst an."
— HSV-Coach Merlin Polzin
Der 34-Jährige, der als Co-Trainer bereits vier Nicht-Aufstiege des HSV miterlebt hat, muss nun im Saison-Endspurt beweisen, auch in kritischen Situationen an den richtigen Stellschrauben drehen zu können. Noch haben die Hamburger alles in der eigenen Hand. Mit einem Erfolg am kommenden Sonntag (13.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) gegen den Karlsruher SC würde das Tor zur Bundesliga ganz weit aufgestoßen. Bei einer Pleite würde an der Elbe wohl das ganz große Zittern beginnen.
Dieses Thema im Programm:
NDR 90,3 Aktuell | 20.04.2025 | 10:00 Uhr