Foto eines kleinen Ortes (aus der Ferne), der inmitten von Wald und Landschaft liegt.

Hessen Bundestagswahl 2025: Tickt Weilrod im Taunus auch dieses Mal wie ganz Deutschland?

Stand: 22.02.2025 18:38 Uhr

Weilrod stimmte bei der vergangenen Bundestagswahl fast genauso wie der Bundesdurchschnitt. In der kleinen Gemeinde im Hochtaunuskreis haben wir nach fünf aktuellen Wahlkampfthemen gefragt.

Von Nina Michalk und Sven Litzenberg

In den idyllischen Wäldern nördlich des Taunuskamms liegt die Gemeinde Weilrod (Hochtaunus): 13 kleine Dörfer, die zusammen nicht ganz 7.000 Einwohner zählen. Mittendurch fließt die Weil, ein wasserreiches Flüsschen, das dem Ort seinen Namen verleiht.

Bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021 stimmten hier 23,9 Prozent für die CDU, 25,2 Prozent für die SPD, 10,9 Prozent für die AfD, 11,1 Prozent für die FDP, 13,1 Prozent für die Grünen, 3,7 Prozent für die Linken und 5,4 Prozent für die Freien Wähler. Damit lagen die Einwohner keiner anderen Kommune in Hessen so nah am Bundesergebnis wie die gut 4.000 Weilroder Wählerinnen und Wähler, die vor dreieinhalb Jahren ihre Stimme abgaben. Was die Weilroder zu aktuellen Themen sagen.

Migration

An der Weil, etwas abseits der beiden Dörfer Altweilnau und Neuweilnau befindet sich eine Flüchtlingsunterkunft. Es ist eine von drei großen Flüchtlingsunterkünften des Hochtaunuskreises. Im ehemaligen Sporthotel Erbismühle, wo in der Vergangenheit auch mal die deutsche Fußball-Nationalmannschaft trainierte, leben zurzeit 360 Menschen. Platz wäre sogar für 400.

Manche in der Gemeinde denken, dass das schon in Ordnung ist. Andere finden, es seien zu viele. Und auch, dass die Flüchtlingsunterkunft viel zu einsam und verlassen liege und dadurch kaum Kontakt zu den Weilrodern zustande komme.

Serie: Weilrod - Deutschland im Mini-Wahlformat: Migration (1)

Nach den tödlichen Angriffen durch Zuwanderer in Magdeburg, Aschaffenburg und München gibt es auch kritischere Töne. Der Weilroder Bürger Roland Dückert sagt: "Was im Moment hier vorherrscht, mit diesen Kriminellen, das unterstütze ich nicht. Wenn die Leute ordentlich sind und zudem auch noch arbeiten wollen, habe ich gar nichts gegen sie."

Die meisten Vorurteile kommen von Menschen, die wenige Berührungspunkte mit Geflüchteten haben. Judith Desoi

In der Gemeinschaftsunterkunft leben Menschen aus 16 Nationen, unter ihnen viele Familien. Es gibt sieben große Gemeinschaftsküchen, fast 90 Wohnräume, eine Kita und ein Klassenzimmer für die Deutschkurse.

Das Zusammenleben, sagt Judith Desoi, die die Flüchtlingssozialarbeit der Diakonie dort leitet, sei sehr harmonisch. "Ich habe das Gefühl, dass die meisten Vorurteile von Menschen kommen, die nicht in der Nähe einer Gemeinschaftsunterkunft leben und wenige Berührungspunkte mit den Menschen haben."

Eine Frau spricht mit bewegten Händen in die Kamera. Im Hintergrund ein Raum mit Schreib-/Konferenztisch und einem weiteren Menschen.

Judith Desoi leitet die Flüchtlingssozialarbeit der Diakonie in Weilrod.

Eine Besonderheit im Hochtaunuskreis sind die Sozialarbeiter, die den Menschen in der Flüchtlingsunterkunft helfen. Ein Sozialarbeiter für 80 Personen, das ist der Schlüssel. Was sich nach wenig anhört, ist in Wirklichkeit viel. Dass der Kreis das überhaupt anbietet, dafür ist Desoi sehr dankbar, wie sie sagt.

Wie viele Menschen aus der Unterkunft in Weilrod Arbeit und eine Wohnung gefunden haben, dazu gibt es keine Zahlen. Aber es gibt viele Beispiele. Etwa Metanat Aliyeva. Sie floh mit ihrem Mann und zwei Kindern aus Aserbaidschan. 2018 kam sie in Weilrod an. "Ich habe gehört, dass die Deutschen nette Leute und schlaue Leute sind. In Aserbaidschan gibt es ein Sprichwort: Wenn man einmal deutsche Luft geatmet hat, dann ist man schon schlau", sagt sie und lacht.

In Aserbaidschan gibt es ein Sprichwort: Wenn man einmal deutsche Luft geatmet hat, dann ist man schon schlau. Metanat Aliyeva

Aliyeva hat in ihrem Heimatland Chemie studiert und als Lehrerin gearbeitet. Aserbaidschanisch, Russisch und Englisch konnte sie dort schon, nun spricht sie auch noch Deutsch und Türkisch. Heute unterrichtet sie Deutsch für Ausländer und lebt mit ihrer Familie in einer eigenen Wohnung.

Bild einer Frau, die bedächtig und konzentriert mit Blick nach unten spricht. Im Hintergrund ein leerer Flipchart und ein Fenster.

Metanat Aliyeva kam 2018 nach Weilrod und fühlt sich dort wohl.

Auch Metanat Aliyevas Mann hat in Hessen Fuß gefasst. Der studierte Physiker macht eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik in Frankfurt. Später, sagt sie, wolle er mal eine Firma gründen.

Aus Weilrod wollen beide nie wieder weg. Sei seien glücklich und dankbar. Nur die Stimmung nach den Angriffen durch Asylbewerber machen ihr Sorge, wie Metanat Aliyeva sagt: "Ich weiß nicht, was wir machen können. Als Vorbild könnte ich zeigen, dass nicht alle Flüchtlinge oder Frauen mit Kopftuch dumm sind. Ein Mensch ist doch einfach ein Mensch."

Wirtschaft

Weit über 700 Gewerbebetriebe gibt es in den 13 Dörfern von Weilrod, von kleingewerblichen Cafés bis hin zu weltweit agierenden Firmen wie Canton. Der Hersteller hochwertiger Hifi-Lautsprecher ist hier gegründet worden.

Dasselbe gilt für Mytronic, einen kleinen Weltmarktführer für dentalmedizinische Instrumentenschläuche. "Wir stellen Spezialartikel her, die sonst auf der Welt kaum in der Qualität verfügbar sind", sagt Geschäftsführer Christian Schorndorfer. Mytronics größter Absatzmarkt ist Europa, danach folgen die USA.

Eine Firma verlagert man nicht einfach so irgendwo anders hin auf der Welt. Christian Schorndorfer

Ein Handelskrieg mit hohen Zöllen wäre schlecht für die Firma, abwandern würde sie trotzdem nicht, sagt Schorndorfer: "Das verlagert man nicht einfach so irgendwo anders hin auf der Welt, ganz zu schweigen von den fachlichen Kräften." Die Belegschaft in der Taunus-Gemeinde sei hochqualifiziert und sehr loyal. Weitere Standortvorteile seien der Flughafen Frankfurt und die Autobahn in der Nähe.

Serie: Weilrod – Deutschland im Mini-Wahlformat: Wirtschaft (2)

Was sich die Geschäftsführer von Mytronic allerdings wünschen, ist eine bessere Schulbildung. Bei angehenden Auszubildenden, sagt Schorndorfer, bestehe Nachholbedarf. Darüber hinaus sind auch hier zu viel Bürokratie Thema und natürlich - Weilrod liegt ja auf dem Land - mangelnde Digitalisierung. Bei Schorndorfer, der regelmäßig vom Mutterkonzern Dürr Dental anreist, reißt regelmäßig die Handyverbindung ab.

Ein sechster Mobilfunkmast, der diese Lücke schließen soll, sei schon in Planung, beteuert Bürgermeister Götz Esser (FWG). Genauso wie der Glasfaserausbau, der zehn der 13 Weilrod-Dörfer bis in den Herbst hinein mit schnellen Leitungen versorgen soll.

Was nicht in den Händen des Bürgermeisters liegt, ist die Lage der Gastronomie. Alles sei so teuer geworden, sagt Sigi Reitz vom Landgasthof Zum Löwen, vom Fleisch bis zu den Personalkosten. Das größte Problem sei das Personal selbst. "Man findet keine Leute, die diesen Beruf noch machen wollen", sagt der Gastronom. Ginge es nach Reitz, würden Flüchtlinge viel schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen.

Pflege

Die meisten Senioren in Weilrod kommen gut über die Runden. Viele leben im Eigenheim, zahlen keine Miete. Es gibt mehrere Pflegedienste und ein Seniorenheim. Ein weiteres wird derzeit geplant. Wie viele Weilroder Hilfe brauchen, lässt sich nicht beziffern, aber Arbeit gibt es offenbar genug.

In der ambulanten Pflege herrscht immer Zeitdruck. Mein Job ist es, diesen Zeitdruck zu entspannen. Axel Freundl

Axel Freundl hat seinen Pflegedienst Die Helfende Hand erst vor einem Jahr gegründet. Heute pflegt und versorgt er mit 16 Mitarbeitern schon 235 Kunden. Den Facharbeitermangel spürt auch Freundl. Er setzt daher auf gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. "Ich sage meinen Kollegen immer: Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht. Es wird immer gesagt, in der ambulanten Pflege herrscht immer Zeitdruck. Mein Job ist es, diesen Zeitdruck zu entspannen", betont Freundl.

Serie: Weilrod – Deutschland im Mini-Wahlformat: Pflege (5)

Die gestiegenen Lebenshaltungskosten machen auch den Weilroder Senioren zu schaffen, wie Marion Wiegand beobachtet. Sie betreibt ihren Pflegedienst seit 30 Jahren und merkt, dass manche sich nicht mehr die Pflege leisten, die sie eigentlich bräuchten. Auch Freundl vermutet, dass viele Menschen das Pflegegeld eher zum Leben einsetzen, statt sich helfen zu lassen. Zweckgebunden sei das Geld eben nicht.

Umwelt und Klima

Sehr beschaulich liegen die 13 Dörfer von Weilrod in den Taunuswäldern. Die Weil schlängelt sich durchs Tal. Doch gerade deshalb zeigt sich hier der Klimawandel von seiner schlechten Seite. Im Frühling, erzählt der Weilroder Bürger Lukas Sieber, plätschere es wunderschön, im Sommer könne man trockenen Fußes durchlaufen.

Die Bürgerin Marion Wiegand vermisst Bäume im sogenannten Kuhbett auf dem Weg nach Bad Camberg (Limburg-Weilburg). "Ich erschrecke jedes Mal, wenn ich da langfahre. Auf der rechten Seite ist nichts mehr. Da war richtig dichter Wald", sagt sie. Wiegand erinnert sich, wie sie als Kind darin gespielt habe.

Serie: Weilrod – Deutschland im Mini-Wahlformat: Umwelt und Klima (4)

Die Trockenheit der vergangenen Jahre habe in Weilrod rund 400 Hektar Wald vernichtet, meist flach wurzelnde Fichten, aber auch mächtige Buchen, berichtet Moritz Frey von Hessen-Forst. Er blickt in die Baumkronen. Wenn der Baum kein Wasser ziehe, erklärt er, dann vertrockne die Rinde in der Sonne, platze auf und biete Pilzen und Insekten Angriffsfläche. Die Buche sterbe dann langsam ab.

Während die Freiflächen aufgeforstet werden, auch mit widerstandsfähigeren Bäumen wie der Douglasie, wird an anderer Stelle der Wald mit Windrädern bestückt. Vor zehn Jahren installierte Weilrod als erste Kommune im Hochtaunuskreis einen Windpark. Sieben Windräder ragen schon über den Wipfeln hervor, drei weitere, noch größere, werden derzeit gebaut.

Der Vorteil eines Windparks hier im Wald ist, dass wir ganz lokal Strom produzieren können. Der Strom hat einen kurzen Weg ins Rhein-Main-Gebiet. Moritz Frey

Moritz Frey von Hessen-Forst steht an einer frisch gegossenen Betonplattform und ruft in Erinnerung, dass gut zwei Prozent der hessischen Landesfläche der Windenergie dienen sollen. Darunter seien viele Windvorranggebiete in Staats- und Gemeindeforsten wie in Weilrod. "Der Vorteil ist natürlich, dass wir hier ganz lokal Strom produzieren können. Das Rhein-Main-Gebiet ist direkt um die Ecke und braucht viel Energie. Somit hat der Strom einen kurzen Weg und nur kurze Leitungen", sagt Frey.

Ein Mann in einer Uniform, auf welcher "Forst" steht. Im Hintergrund der Sockel eines Windrads und Wald.

Moritz Frey von Hessen-Forst vor einer Windkraftanlage in Weilrod.

Nicht alle Bürger sind darüber glücklich. Es sei eine Verschandelung der Landschaft, findet Roland Dückert. Marion Wiegand fühlt sich belästigt. "Im Sommer kann ich bei mir im Wohnzimmer nicht sitzen, weil es immer flapp, flapp macht", sagt sie. Das sei entsetzlich anstrengend und nervig. Zudem hätten Bau und Leitung der Windräder so viel Natur erst kaputt gemacht.

Sehr kritisch wird ein neues Energieprojekt gesehen. Ein Investor erwarb bei Hasselbach ein Grundstück. Auf zehn Hektar, berichtet Bürgermeister Esser, sei eine Photovoltaikanlage geplant. Der Weilroder Bürger Lukas Sieber findet das nicht gut. Es seien doch alle auf die landwirtschaftlichen Flächen angewiesen. Dort sollten lieber Nahrungsmittel produziert werden. Sieber sieht aber auch, dass der Klimawandel voranschreitet.

Und so zeigt sich auch in Weilrod, dass viele eine Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen wollen, aber keine Windräder vor der Haustür. Die Gemeinde, und damit jeder Bürger, betont Bürgermeister Esser, profitiere davon. Auch durch den Windpark habe sich das verschuldete Weilrod erst sanieren können.

Sicherheit

Zum Schluss ein Blick auf die Sicherheit in den 13 kleinen Weilroder Dörfern. Die Schlagzeilen über tödliche Angriffe durch Asylbewerber hinterlassen auch hier ihre Spuren. Diese Ängste will Bürgermeister Esser abbauen:

Wir sind eine offene und bunte Gemeinde. Das ist mir sehr wichtig. Götz Esser

Bei großen Feiern wie dem Heckenfest in Weilrod-Niederlauken geht es aber, wie woanders auch, nicht mehr ohne Sicherheitskonzept. Jedoch ist Weilrod so sicher wie kaum eine andere Gemeinde im Hochtaunuskreis. In den jährlichen Kriminalstatistiken belegt Weilrod dort den vorletzten Platz. Metanat Aliyeva, die hierher geflüchtet ist, sagt über ihre neue Heimat: "Hier in Weilrod, da kann man um zwölf Uhr nachts laufen gehen und sicher sein, dass dir gar nichts passiert!"