Blick vom Sachsenhäuser Berg in Richtung Frankfurter Innenstadt. Viele Wohnungen und Häuser sind zu sehen.

Hessen Bundestagswahl 2025: Was Parteien zu Integration und Wohnen fordern

Stand: 04.02.2025 13:59 Uhr

Sprachbarrieren, wenig Wohnraum, hohe Mieten: Viele Geflüchtete leben länger in Gemeinschaftsunterkünften, als sie müssten. Eine eigene Wohnung käme ihnen bei der Integration zugute - Sozialverbände helfen bei der Suche.

Von Pia Stenner

Sepideh Amirasgari weiß, was es bedeutet, jahrelang in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, mit Sprachbarrieren konfrontiert zu sein und trotzdem eine Arbeit und eine Wohnung finden zu müssen. Die Wohnraumberaterin für Geflüchtete hat es selbst erlebt.

2019 ist die Architektin aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Seit etwa einem halben Jahr arbeitet sie als Wohnraumberaterin bei der Caritas in Seligenstadt (Offenbach). Sie sagt: "Meiner Meinung nach ist eine eigene Wohnung ein Teil der Integration."

Durch die Wohnungssuche lerne man, auf eigenen Beinen zu stehen. "Der Prozess befähigt die Leute, sich zu integrieren, mit anderen Leuten Kontakt aufzunehmen, neue Regeln zu lernen", sagt Sepideh Amirasgari. Das sei auch ihr so ergangen. Die Wohnraumberatung für Geflüchtete, für die sie seit August 2024 arbeitet, gab es allerdings noch nicht, als sie und ihr Mann ihre eigene Wohnung finden mussten.

Das Projekt ging im vergangenen Jahr an den Start, zunächst mit einer Vollzeitstelle bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Dietzenbach, dann bei der Diakonie in Dreieich und schließlich bei der Caritas in Seligenstadt. Alle drei Vollzeitstellen werden vom Kreis Offenbach finanziert.

Zahl der neu ankommenden Asylbewerber sinkt

Der Landkreis ist zuständig für die Unterbringung der Geflüchteten, die ihm wöchentlich zugewiesen werden. Im Lauf des vergangenen Jahres sind das deutlich weniger Menschen geworden: Die Zahl der neu ankommenden Asylbewerber hat sich laut Kreis im letzten Quartal des Jahres auf rund 15 pro Woche halbiert.

Eine Frau mit schwarzem Blazer und langen, braunen Haaren sitzt an einem Schreibtisch.

Sepideh Amirasgari hilft Geflüchteten in Seligenstadt bei der Suche nach Wohnungen.

Das spiegelt den hessenweiten Trend wider: Die Zahl der Menschen, die jährlich aus der Erstaufnahmeeinrichtung an die Kommunen zugewiesen werden, ging nach Angaben des Sozialministeriums 2024 gegenüber dem Vorjahr um rund die Hälfte zurück.

In den aktuellen Debatten um Migration wird immer wieder das Argument angeführt, wie belastet die Kommunen nach wie vor durch die Aufnahme von Geflüchteten und deren Integration seien. Wie eine hr-Umfrage unter den Landkreisen und kreisfreien Städten im Rhein-Main-Gebiet zeigt, sehen sich die meisten Kommunen tatsächlich stark gefordert durch diese Aufgaben.

Neben der Vermittlung der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt nennen die Landkreise und Städte den Mangel an Wohnraum als eine der größten Herausforderungen.

Viele Menschen mit Bleiberecht in Gemeinschaftsunterkünften

In den meisten Gemeinschaftsunterkünften leben nicht nur die Menschen, die auf den Abschluss ihres Asylverfahrens warten, sondern auch anerkannte Geflüchtete, die eigentlich in eine eigene Wohnung ziehen dürften - und nach dem hessischen Landesaufnahmegesetz sogar müssten.

In den Unterkünften im Rhein-Main-Gebiet liegt der Anteil dieser Menschen je nach Landkreis oder Stadt bei mindestens 30 Prozent. In Hanau und im Rheingau-Taunus-Kreis sind es 50 Prozent, im Kreis Offenbach, wo Amirasgari arbeitet, sogar bis zu 75 Prozent.

Landesaufnahmegesetz zu Unterbringung
Nach dem hessischen Landesaufnahmegesetz (LAG) endet die Verpflichtung von Kommunen, Asylsuchende unterzubringen, sobald ihnen ein Aufenthaltsrecht gegeben wird. "Die Unterbringung kann vorübergehend verlängert werden, wenn und solange kein zumutbarer Wohnraum zur Verfügung steht", teilt das Sozialministerium mit. Die betroffenen Personen seien jedoch selbst dazu verpflichtet, sich um eine Wohnung zu bemühen.

Für Geflüchtete sei es nicht einfach, eigenen Wohnraum zu finden, räumt der Kreis Offenbach ein. Mitten in der "gefragten Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main" sei der lokale Wohnungsmarkt ohnehin angespannt. Besonders schwierig werde es im Hinblick auf bezahlbaren Wohnraum und Bleiben für größere Familien.

Wenig Wohnraum, hohe Mieten

Das berichtet auch Sepideh Amirasgari von ihrem Arbeitsalltag in Seligenstadt. Die Mietkosten im Kreis Offenbach seien hoch, verfügbarer Wohnraum insbesondere für fünf oder mehr Personen rar. Da die Menschen, die Amirasgari berät, in der Regel von Sozialleistungen leben, müssen mögliche Wohnungen den genauen Anforderungen des Jobcenters gerecht werden. Oft passe aber das Angebot nicht dazu.

Auf andere Landkreise auszuweichen, sei meist auch keine Option, sagt Amirasgari: Mit Ausnahme der Geflüchteten aus der Ukraine dürfen die meisten aufgrund der sogenannten Wohnsitzauflage nur innerhalb des Landkreises umziehen, dem sie zugewiesen wurden.

Kritik an Wohnungspolitik
Der Verband der südwestdeutschen Wohnungswirtschaft hat die Landesregierung dafür kritisiert, nicht genug gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu tun. Das zuständige Wirtschaftsministerium hält die Probleme für "bedingt durch die allgemeine Situation im Wohnungsbau". Das Kernproblem seien die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten. Diese ließen sich nicht immer durch höhere Mieten refinanzieren, weshalb insgesamt weniger gebaut werde, teilte das Ministerium mit.

Für die meisten Menschen in Gemeinschaftsunterkünften zeige sich die erste Hürde aber schon, bevor die Suche nach einer Wohnung losgehe, sagt Amirasgari: Die Sprachbarriere sei oft zu hoch, um mit Vermietern zu kommunizieren oder sich in Online-Suchportalen zurechtzufinden.

Für einige Geflüchtete komme die psychische Belastung, etwa nach einer Flucht aus Kriegsgebieten, dazu. Sie erschwere Aufgaben wie die Wohnungssuche.

Psychische Belastungen können Wohnungssuche erschweren

Davon berichtet zum Beispiel Viktoriia Lobachevska. Die Ukrainerin lebt inzwischen in einer eigenen Wohnung in Idstein (Rheingau-Taunus). Sie ist im März 2022 aus der weiterhin besonders umkämpften Region Charkiw vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet. Ihre Mutter und ihr Bruder leben noch immer dort, wie sie erzählt. Seit dem Kriegsbeginn in ihrer Heimat leide sie unter psychischem Stress und Panikattacken.

Lockerere Regeln für Ukrainer
Für Geflüchtete aus der Ukraine wurde 2022 eine besondere EU-Richtlinie aktiviert. Deshalb müssen sie keinen Asylantrag in Deutschland stellen, um vorübergehend Schutz zu bekommen. Damit verbunden ist, dass für sie weniger strenge Auflagen bei der Unterbringung gelten. Sie müssen nicht erst in eine Erstaufnahmeeinrichtung, bevor sie in private Wohnungen ziehen dürfen.

"Es ist wunderbar, dass ich in meiner Wohnung alleine ohne andere Menschen wohne", sagt Lobachevska. "Aber ich brauche etwas Ruhigeres." Die Wohnung, in der sie lebe, liege direkt über einer Firma, es sei ständig laut. "Ich habe viele verschiedene Ohrstöpsel genutzt", berichtet die 38-Jährige lachend: "Aber das hilft mir auch nicht."

Eine Frau mit kurzen Haaren lächelt in die Kamera.

Viktoriia Lobachevska kommt regelmäßig zum Treff der Flüchtlings- und Integrationshilfe in Idstein.

Jeden Tag durchforste sie Anzeigen auf Immobilien-Suchportalen. Durch die belastenden Gedanken an den Krieg fehle ihr aber oft die Energie dafür - genauso sei es mit der Suche nach Arbeit. Und ohne Arbeit sei es schwieriger, eine Wohnung zu finden.

Ehrenamtliche Unterstützung in Idstein

Unterstützung bekommt Lobachevska in Idstein unter anderem von Monika Wolff und Uschi Göpfert. Die beiden sind ehrenamtlich für den Verein Flüchtlings- und Integrationshilfe Idstein tätig.

Was die Wohnraumberater im Kreis Offenbach in Vollzeitjobs tun, versuchen Wolff und Göpfert in ihrer Freizeit nebenbei: Menschen ansprechen, die möglicherweise freie Wohnungen haben, bei Anträgen helfen und Wohnungsbesichtigungen begleiten.

Zwei Frauen mit grauen Haaren lachen in die Kamera

Uschi Göpfert (links) und Monika Wolff engagieren sich ehrenamtlich für Geflüchtete in Idstein und helfen bei der Wohnungssuche.

Generell sei der Markt schwierig in Idstein und Umgebung, sagt Uschi Göpfert: "Ich kenne auch viele Deutsche, die lange suchen, weil die Wohnungen einfach zu teuer sind." Gute Kontakte zu Maklern könnten helfen, sagt Monika Wolff: "Aber die schütteln manchmal den Kopf, wenn Leute einfach nicht an Geflüchtete vermieten wollen. Das ist schade, weil ich auch in Idstein ganz viel Leerstand sehe."

Kreis Offenbach: 390 Familien in Wohnungen vermittelt

Gute Kontakte zu pflegen, das beschreibt auch Sepideh Amirasgari bei der Caritas in Seligenstadt als Teil ihrer Arbeit. Sie stehe im ständigen Austausch mit den Gemeinden und mit dem kommunalen Jobcenter. Inzwischen werde sie sogar immer häufiger von Vermietern mit Wohnungsangeboten kontaktiert. "Langsam läuft es an", sagt sie.

Den Vermietern könne sie dann klar machen, dass die Wohnungsbewerber aus den Gemeinschaftsunterkünften die Regeln kennen. "Von der Hausordnung über Mülltrennung, Heizen und Lüften bis zur Frage, wie man mit einem Online-Suchportal arbeitet" - das alles sei Thema in Schulungen, die sie in den Unterkünften gebe.

Seit Beginn ihrer Arbeit als Wohnraumberaterin habe sie bereits 124 Familien oder Einzelpersonen in eine neue Wohnung vermitteln können, berichtet Sepideh Amirasgari. Nehme man die Erfolge der Berater der AWO und der Diakonie dazu, seien es knapp 390.

Ein älterer Mann mit schwarzer Winterjacke lächelt in die Kamera

Abdul Qayyun Qiamuddin sagt, er sei dankbar, dass Deutschland ihn aufgenommen habe. Das wolle er zurückgeben, indem er anderen Menschen helfe.

Einer der ersten von ihnen sei Abdul Qayyun Qiamuddin gewesen, sagt Zohreh Rezvani-Thürck, die Leiterin der Caritas im Kreis Offenbach. Sie sitzt neben dem 70-jährigen Afghanen und übersetzt, als er in seiner Muttersprache erzählt: "Für uns war das nicht wichtig, dass wir unbedingt eine große, schicke Wohnung bekommen, sondern unsere Selbstständigkeit war uns wichtig."

Ein Zimmer zu dritt in der Gemeinschaftsunterkunft

Die ersten zwei Jahre in Seligenstadt habe er in einer Gemeinschaftsunterkunft gewohnt, berichtet Qiamuddin: "Es war nicht schlecht, es war nicht ungemütlich, aber es war eng." Mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn habe er sich ein Zimmer geteilt, dazu eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad mit weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkunft.

Die Wohnraumberatung habe ihn motiviert, selbst tätig zu werden, um eigene vier Wände zu finden - auch wenn es schwierig gewesen sei. "Aber wir haben das dann gelernt", erinnert er sich. So habe er ein Foto von sich und seiner Familie ausgedruckt, eine Anzeige geschrieben und schließlich viele E-Mails an potenzielle Vermieter geschickt.

"Nur ein einziger hat sich zurückgemeldet", sagt Qiamuddin. In dessen Wohnung lebten er und seine Familie nun: drei Zimmer, viertes Obergeschoss. "Das ist für mich sehr gut, so komme ich in Bewegung", sagt er und lacht. "Wir sind sehr zufrieden."

"Gelernt, dass ich als Mensch wichtig bin"

Aktiv sei Herr Qiamuddin trotz seines Alters ohnehin noch, fügt Rezvani-Thürck hinzu. Er engagiere sich mittlerweile ehrenamtlich für die Caritas-Geflüchtetenhilfe und besuche regelmäßig die Unterkünfte, um etwa bei Schulungen der Wohnungsberatung zu helfen.

Er tue das, weil er Deutschland dankbar dafür sei, ihn trotz seines Alters aufgenommen zu haben. "Ich habe hier gelernt, dass ich als Mensch wichtig bin", sagt er. Er wolle anderen nun zeigen: "Sie können diese Gelegenheit nutzen, voneinander lernen und ein gutes Leben führen, wenn sie füreinander da sind."

Dieses Lernen voneinander und die gegenseitige Wertschätzung - das sei für ihn die Bedeutung von Integration, sagt Qiamuddin. Sepideh Amirasgari, die ihm die ganze Zeit zuhört, nickt. Sie weiß, wovon er spricht.