Auf einer Wippe im Gleichgewicht liegen Holzwürfel mit den Worten Krise und Chance

Hessen Deutschland raus aus der Rezession - das raten Top-Ökonomen aus Hessen

Stand: 31.01.2025 11:09 Uhr

Deutschlands Wirtschaft steckt in der Rezession, das Erfolgsmodell wankt, nötig ist ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel. Darin scheint man einig. Aber wie kann die Konjunktur in Schwung kommen? Drei renommierte Ökonomen geben Antworten.

Von Emal Atif

Hohe Energiepreise, zögerliche Verbraucher und Unternehmen, die das Land verlassen: Deutschland steckt in der längsten Wirtschaftskrise seit der Gründung der Bundesrepublik. "Wir wachsen seit fünf Jahren nicht mehr", sagt Peter Tillmann, Professor für Makroökonomie an der Uni Gießen.

Man könnte meinen, äußere Umstände wie die Coronakrise, die Energiekrise und die Nachfrageschwäche aus China hätten Deutschland besonders hart getroffen. Doch die Probleme sitzen offenbar tiefer.

Hausgemachte Probleme

Experten sehen auch langjährige, hausgemachte Versäumnisse. "Bei Digitalisierung, Bildung und qualifizierter Fachkräftezuwanderung wurde zu wenig getan", bemängelt Tillmann.

Viel zu lange hätten wir uns auf den Lorbeeren unseres Wohlstandsmodells ausgeruht, ergänzt Guido Bünstorf, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Kassel.

Deutschland sei Exportweltmeister gewesen, begünstigt durch billige Energie in Form von russischem Erdgas und die hohe Nachfrage aus China. Diese Faktoren gehörten der Vergangenheit an, sagt Bünstorf. Gleichzeitig lähmten viel Bürokratie und hohe Steuern für Unternehmen den Standort Deutschland.

Wer ist schuld?

Die Frage nach den Verursachern der Lage ist komplex. Volker Wieland, ehemaliges Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ("Wirtschaftsweiser") und Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt, sieht einen Teil der Verantwortung bei der Vorgängerregierung: "Die Abhängigkeit von russischem Gas etwa war ein strategischer Fehler."

Aber die Koalition aus SPD, Grünen und FDP habe falsch auf die Energiekrise reagiert, findet Wieland. Einen Großteil der Probleme sieht er in ihren Entscheidungen. "Die Ampel-Regierung ist klar gescheitert", sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Bessere Schulen, Universitäten und Weiterbildungsangebote sind der Schlüssel zu Wohlstand. Peter Tillmann, Professor für Makroökonomie, Uni Gießen

Besonders die Abschaltung der Kernkraftwerke inmitten der Krise hält Wieland für einen schweren Fehler: "Wenn wir russisches Gas verlieren, müssen wir unser eigenes Energieangebot maximieren. Stattdessen haben wir uns noch weiter geschwächt.“ Auch der Verzicht auf Fracking in Deutschland sei problematisch: "Wir importieren jetzt teures, gefracktes Gas aus den USA, obwohl wir selbst erhebliche Reserven haben."

Die strukturellen Probleme reichen jedoch aus Sicht der drei Ökonomen weiter zurück. Schon seit 2018 hätten sinkende Investitionen, steigende Regularien und ein wachsender globaler Wettbewerb die Industrie belastet. "Die Ampel-Regierung hat die Probleme verschärft, aber die Basis für die heutige Krise wurde lange zuvor gelegt", hält Peter Tillmann fest.

Ratschläge an die kommende Regierung

Einig sind sich die Experten darin, dass es einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel geben müsse - und zwar dringend. Bürokratieabbau, Digitalisierung und eine gezielte Fachkräftezuwanderung stehen bei allen drei ganz oben auf der Prioritätenliste.

Guido Bünstorf fordert zunächst klare und verlässliche Rahmenbedingungen: "Eine stabile Regierung, die kommuniziert, was sie in den kommenden vier Jahren vorhat, wäre erst mal das beste Konjunkturprogramm." Die derzeitige Unsicherheit halte Unternehmen von Investitionen und größeren Anschaffungen ab.

Volker Wieland betont die Notwendigkeit, die Energiepolitik neu auszurichten: "Deutschland muss hier unabhängiger werden." Nach Ansicht des Frankfurter Ökonomen gehören dazu Technologien wie Kernkraft und Fracking genauso wie der Ausbau erneuerbarer Energien. "Aber ohne ideologische Scheuklappen", rät Wieland.

Notfalls müssten auch die Sozialsysteme angepasst werden. Das ist der einzige Bereich, der bei uns wächst. Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie, Uni Frankfurt

Noch wichtiger sei die Entlastung der Unternehmen. "Wir brauchen einfache Regeln und weniger Bürokratie", sagt Wieland. Zudem müssten sowohl Unternehmens- als auch Einkommensteuern spürbar gesenkt werden, um den Standort wettbewerbsfähiger zu machen. "Notfalls müssten auch die Sozialsysteme angepasst werden. Das ist der einzige Bereich, der bei uns wächst."

Kontroverse um die Schuldenbremse

Peter Tillmann setzt auf Reformen im Arbeitsmarkt. "Arbeit muss sich mehr lohnen", fordert er und spricht sich besonders bei Geringverdienern für niedrigere Abzüge aus, damit diese einen höheren Nettoanteil vom Brutto behalten. Auch eine gezielte Fachkräftezuwanderung sei entscheidend, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Ohne bessere Bildung, darin sind sich alle vom hr angefragten Experten einig, werde Deutschland langfristig an Innovationskraft verlieren. "Bessere Schulen, Universitäten und Weiterbildungsangebote sind der Schlüssel zu Wohlstand", so Tillmann. Unternehmen müssten zudem flexibler werden und mehr in Forschung investieren.

Die Schuldenbremse spaltet die Meinungen. Wieland spricht sich klar für ihre Beibehaltung aus: "Wir dürfen kommende Generationen nicht mit einer ausufernden Verschuldung belasten."

Guido Bünstorf zeigt sich dagegen offen für Reformen, die gezielte Investitionen ermöglichen könnten, ohne die Staatsverschuldung aus dem Ruder laufen zu lassen. Es gebe gute Argumente für beide Seiten, räumt er ein.

Welche Regierung kann das Ruder herumreißen?

Welche Koalition würde der Wirtschaft gut tun? Der ehemalige Wirtschaftsweise Wieland sieht in einer CDU-FDP-Regierung die größte wirtschaftspolitische Verlässlichkeit: "Die FDP würde auf Technologieoffenheit drängen, während die CDU Stabilität garantiert."

Eine stabile Regierung, die kommuniziert, was sie in den kommenden vier Jahren vorhat, wäre erst mal das beste Konjunkturprogramm. Guido Bünstorf, Professor für Wirtschaftspolitik, Universität Kassel

Peter Tillmann favorisiert hingegen Schwarz-Grün: "Diese Kombination könnte Wirtschaft und Klimaschutz besser verbinden." Eine CDU-SPD-Koalition wäre aus seiner Sicht ein Weiter-so ohne große Reformen.

Bünstorf will sich nicht festlegen. Wichtig sei in jedem Fall, dass die kommende Bundesregierung die großen Herausforderungen wie Demografie, Fachkräftemangel und Nachhaltigkeit parteiübergreifend anpacke.

Von einer Koalition mit der AfD ist keiner der Experten überzeugt. Ihre Forderung nach einem Austritt aus der Währungsunion würde Deutschland international isolieren, warnt Tillmann. Der ehemalige Wirtschaftsweise Wieland ergänzt, dass die AfD zwar einige wirtschaftsfreundliche Punkte habe, diese aber von Positionen flankiert würden, "die an die Linke oder BSW erinnern".

Wovor die Experten warnen

Trotz unterschiedlicher Akzente teilen die Experten eine zentrale Forderung: Sie raten dringend von kurzsichtigen Aktionen ab. "Prämien für E-Autos oder Mehrwertsteuersenkungen sind Strohfeuer, die keine strukturellen Probleme lösen", warnt Tillmann.

Schädlich seien außerdem öffentliche Streitigkeiten innerhalb der Koalition. "Die kommende Regierung muss endlich geschlossen für langfristige Reformen zusammenarbeiten", betont Bünstorf.

Die Experten sind sich einig: Deutschland habe die Möglichkeit, den Weg aus der Krise zu finden. "Unsere Stärken waren immer verlässliche Politik, gute Infrastruktur und produktive Arbeitskräfte. Mit den richtigen Reformen können wir daran anknüpfen", so Tillmann.