
Hessen Rebhuhn-Hotspot in Mittelhessen: Naturschützer zählen Vögel mit ungewöhnlicher Methode
Das Rebhuhn ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. Doch zwischen Gießen und der Wetterau erholt sich der Bestand seit mehreren Jahren. Noch bis März werden die Tiere gezählt - mit einer ungewöhnlichen Methode.
Clara Guckenbiehl schaut durch ein Fernglas auf einen Acker bei Langgöns (Gießen) - und hat ein Problem: Sie sieht kein Rebhuhn. Die Vögel drücken sich so dicht auf den Ackerboden, dass sie selbst für Fressfeinde schwer zu finden sind. "Tagsüber verstecken sie sich vor Greifvögeln wie dem Habicht und nachts vor dem Fuchs oder vor Eulen", erklärt die Biologin der hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz.
Mitte Februar hat die Paarungszeit des Rebhuhns begonnen. Wie in den vergangenen Jahren ist das der Auftakt für eine groß angelegte Rebhuhn-Suche in Mittelhessen. Noch bis Ende März zählen Naturschützer, wie viele Tiere sich in der Region niedergelassen haben. "Nur jetzt in der Balzzeit sind Rebhühner so aktiv, dass wir sie zuverlässig erfassen können", sagt Guckenbiehl.
Unterwegs bei Wind und Kälte
Für die Zählung gibt es nur ein kleines Zeitfenster: Die Dämmerung, kurz nach dem Sonnenuntergang. Clara Guckenbiehl trägt trotz eisiger Temperaturen keine Mütze, um ganz genau hinzuhören. "Wenn die Bedingungen gut sind, dann sind die Balz-Rufe der Rebhähne deutlich zu hören."
Allerdings sind die Bedingungen nur selten gut. Meistens herrschen starker Wind, kalte Temperaturen und Nebel vor. Dann kommt eine ungewöhnliche Lösung ins Spiel: Ein Lautsprecher, der die Lockrufe von einem Rebhahn abspielt. "Die anderen Rebhähne denken dann, dass sie ihr Revier verteidigen müssen - und antworten sehr zuverlässig."

Um ganz sicher zu gehen, setzen Clara Guckenbiehl und Annika Werner bei der Rebhuhn-Suche auch eine Wärmebildkamera ein.
Der typische Rebhahn-Ruf "Kirr-ek" ist über den Lautsprecher 200 Meter weit zu hören. Und tatsächlich: An diesem Abend kommt nach nur wenigen Sekunden ein Krächzen als Antwort zurück. "Dass ein Hahn so plötzlich nur ein paar Meter weit weg sitzt und antwortet, ist schon faszinierend", sagt Guckenbiehl.
Die weiblichen Rebhühner aber fallen diesmal nicht auf den Trick herein. Sie sind nicht zu sehen. Dennoch: "Wir setzen ein gleiches Geschlechterverhältnis voraus", erklärt die Biologin. Für jeden Hahn könne man davon ausgehen, dass auch eine Henne in seiner Nähe existiert: Gute Voraussetzungen für die Paarungszeit.
Höchste Rebhuhn-Dichte bundesweit
Europaweit sind die Rebhuhn-Bestände seit 1980 um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Der Bodenbrüter-Vogel ist vom Aussterben bedroht. Doch in Mittelhessen zeigt der Trend in eine andere Richtung: Die Zahl der Brutpaare stieg von 300 im Jahr 2022 auf 460 im vergangenen Jahr.
Umgerechnet heißt das: Zwischen Gießen und der Wetterau leben etwa fünf Rebhühner auf einer Fläche von 100 Hektar. Keine andere Region im bundesweiten Projektgebiet "Rebhuhn retten – Vielfalt fördern" kann aktuell bei dieser Verbreitungs-Dichte mithalten.
Gute Zusammenarbeit mit Jägern und Landwirten
"In Mittelhessen führen wir zusammen mit Landwirten und Jägern sehr viele Schutzmaßnahmen für das Rebhuhn durch", erklärt Biologin Clara Guckenbiehl. Deshalb könne man zwischen Gießen und der Wetterau vergleichsweise viele Vögel mit braunem Gefieder und rotem Kopf beobachten.
Unter anderem stellen 40 Landwirte aus der Region einen Teil ihrer Fläche für Blühwiesen zur Verfügung, berichtet Annika Werner. Sie arbeitet in der Abteilung für den ländlichen Raum in den Landkreisen Gießen und Lahn-Dill: "Wir sind sehr froh, dass wir so eng mit den Landwirten zusammenarbeiten und den Rebhühnern auch im Winter einen Rückzugsort bieten können."
Fortschritte in Südhessen
Die Vogel-Zählaktionen haben sich bundesweit etabliert. Seit drei Jahren wird in insgesamt acht Bundesländern der Rebhuhn-Bestand erfasst. Und auch eine zweite Region in Hessen meldet Erfolge: Im hessischen Ried sind zuletzt ebenfalls wieder mehr Rebhühner nachgewiesen worden. 2024 waren es rund 3 Tiere auf 100 Hektar Fläche. Das sind doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor und auch mehr als im bundesweiten Durchschnitt.
Insgesamt ist das Rebhuhn aber weiter bedroht. Naturschutzverbände gehen von weniger als 50.000 Brutpaaren in Deutschland aus. "Früher war das Rebhuhn ein Allerweltsvogel", berichtet Clara Guckenbiehl. Sie hat ein 85 Jahre altes Kochbuch zu Hause, in dem gleich mehrere Rebhuhn-Rezepte erwähnt werden.
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Landwirtschaft hat das Rebhuhn verdrängt
Entscheidend für den Rückgang ist die Modernisierung der Landwirtschaft, erklärt Biologin Guckenbiehl: "Die Landmaschinen werden immer größer, der Lebensraum kleiner. Und durch die Pflanzenschutzmittel gibt es weniger Insekten." Genau die brauchen vor allem die Küken aber, um nach dem Schlüpfen den Sommer überleben zu können.
Klar ist: In den letzten Jahrzehnten hat sich die Agrarstruktur stark verändert. Landkreis-Mitarbeiterin Annika Werner hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, möglichst viel davon wiederherzustellen. Seit 2019 kümmert sie sich um das sogenannte "Feldflurprojekt" in der Region. Die beteiligten Landwirte legen dabei Blühflächen und Hecken an. "Nahrung und Schutz sind die wichtigsten Komponenten, die das Rebhuhn braucht", sagt sie.

Annika Werner kümmert sich in den Landkreisen Gießen und Lahn-Dill um die Absprachen mit derzeit 40 Landwirten, die sich für den Naturschutz einsetzen.
In den Blühwiesen und Hecken können Rebhühner ihre Eier ungestört ablegen und ihre Küken aufziehen. Werner ist mit der Zwischenbilanz sehr zufrieden: "Wir haben auf gut 150 Hektar Fläche Schutzmaßnahmen durchgeführt." Ideal wäre es, wenn etwa sieben Prozent der Acker-Flächen dafür geeignet wären, sagt Werner. "Wir sind bei fünf Prozent und damit gut dabei."
Andere Arten profitieren vom Rebhuhn-Schutz
"Das Rebhuhn ist eine anspruchsvolle Tierart", ergänzt Clara Guckenbiehl. Aber, wenn man es schaffe, diesen Ansprüchen gerecht zu werden, dann helfe das automatisch vielen anderen Tieren. "Auch der Feldhase, der Feldhamster oder auch verschiedene Insekten brauchen einen ganzjährig guten Lebensraum", sagt die Biologin.
Vier Jahre lang läuft das bundesweite Schutzprojekt noch. Auf die Frage, wie viele Rebhühner in diesem Jahr auf den Lautsprecher-Trick reinfallen, ist Guckenbiehl verhalten optimistisch: Es könne sein, dass durch den nassen Sommer nicht so viele Küken durchgekommen sind. "Aber auch wenn die Balzzeit gerade erst begonnen hat, haben wir heute zwei Hähne gefunden. Das ist ein guter Anfang."