Polizisten gehen unter dem Schriftzug "Oberlandgericht Frankuft am Main" auf dem Gelände der Notbehilfshalle in der Außenstelle Sossenheim des Oberlandesgericht Frankfurt.

Hessen Reichsbürger-Prozess in Frankfurt: Zeuge horchte Angeklagten aus

Stand: 21.04.2025 18:01 Uhr

Der Frankfurter Reichsbürger-Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Die Aussage eines Mithäftlings des Angeklagten Hans-Joachim H. belastet die gesamte Führungsriege um Prinz Reuß schwer. Wie glaubwürdig ist die Aussage? Unklar ist auch, ob der Zeuge gezielt auf Hans-Joachim H. angesetzt wurde.

Von Danijel Majić

Es gibt Menschen mit einer deutlich sympathischeren Biografie als R. Der 31-Jährige hat einiges auf dem Kerbholz. Dazu zählen Anklagen wegen Betrugs und räuberischer Erpressung, die schließlich auch in einer Haftstrafe mündeten.

Genau diese kriminelle Karriere hat ihn nun vor die Staatschutzkammer des Frankfurter Oberlandesgerichtes gebracht – jedoch nicht als Angeklagten, sondern als Zeugen im sogenannten Reichsbürgerprozess. Der vorbestrafte R. soll am Dienstag aussagen.

160.000 Euro für die Putschpläne

Seit bald elf Monaten wird am Frankfurter Stadtrand in einer eigens dafür aufgebauten Gerichtshalle gegen neun Angeklagte der sogenannten Gruppe Reuß verhandelt, denen der Generalbundesanwalt vorwirft, als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung einen gewaltsamen Umsturz geplant zu haben.

Zwei weitere Prozesse werden parallel in München und Stuttgart geführt. In Frankfurt sitzt die mutmaßliche Führungsriege um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß auf der Anklagebank, der – so die Anklage – nach dem gewaltsamen Umsturz als provisorisches Staatsoberhaupt die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte.

Prinz Reuß mag das prominenteste Mitglied der mutmaßlichen Umstürzlerriege sein. Zuletzt allerdings stand des Öfteren ein anderer Angeklagter im Mittelpunkt der Frankfurter Hauptverhandlung: Hans-Joachim H.

Der 66-Jährige war laut Anklage einer der Initiatoren der Putschpläne, der aus persönlichen Mitteln mehr als 160.000 Euro aufgebracht haben soll, um die Ziele der Gruppierung zu unterstützen.

Im Gegensatz zum Gros der Gruppe, wurde H. nicht bereits im Dezember 2022 festgenommen, sondern mehr als fünf Monate später. Seitdem befindet er sich durchgängig in Untersuchungshaft. Zu seinem Unglück zeitweise in derselben Haftanstalt wie der Zeuge R.

Aussagen haben es in sich: "Alles nur noch blutig"

Denn in dem sich träge dahinziehenden Verfahren wird mit R. bereits seit einigen Wochen erstmals ein Belastungszeuge vernommen. In der gemeinsamen Zeit in der Justizvollzuganstalt Bremervörde nämlich soll R. das Vertrauen des Angeklagten Hans-Joachim H. gewonnen haben.

Das habe dazu geführt, dass der Angeklagte ihn mit der Zeit immer mehr an seiner Gedankenwelt teilhaben ließ – teilweise auch an den mutmaßlichen Umsturzplänen. Nicht ahnend, dass R. das Gesagte direkt im Anschluss protokollierte und an die Ermittlungsbehörden weiterleitete. Über gut drei Monate sammelte R. die Aussagen seines Mitgefangenen – und die haben es in sich.

Systemsturz soll weiterhin Ziel gewesen sein

So soll H. davon gesprochen haben, dass der "Systemsturz weiterhin das Ziel" sei, auch wenn infolge der Festnahmen von Reuß und Co. "der erste Versuch gescheitert" sei. Dabei sollen auch Sätze gefallen sein: "Das geht alles nur noch blutig." Konkret soll H. davon gesprochen haben, dass diverse Politiker und Prominente getötet werden sollten, falls es im Prozess gegen ihn und seine mutmaßlichen Mitverschwörer zu einer Verurteilung käme.

Weiterhin soll H. den Zeugen R. eine Namensliste von Personen diktiert haben, die seiner Auffassung nach einer Art internationalem Pädophilie-Ring angehören beziehungsweise diesen decken. Die "Pädo-Liste" sollte während des Prozesses veröffentlicht werden, damit die darin genannten Personen, "den Atem der Verfolger im Nacken spüren". Mit auf der Liste: der Vorsitzende Richter im Frankfurter Verfahren, Jürgen Bonk.

Die Aussage von R. ist derweil nicht nur für H. pikant. Denn im Vertrauen auf sein Schweigen soll dieser R. auch die Planungen für einen bewaffneten Sturm auf das Berliner Reichstagsgebäude gestanden haben – und dass die Führungsriege um Prinz Reuß davon gewusst habe. Gerade diesen Vorwurf haben die Verteidigerinnen und Verteidiger der Angeklagten bislang vehement bestritten. Entsprechend empört reagieren die Rechtsbeistände auf die Aussagen von R.

Zweifel an der Aufrichtigkeit

Tatsächlich kann es an der Aufrichtigkeit des Zeugen berechtigte Zweifel geben. Denn das Aushorchen von Mitgefangenen scheint für R. inzwischen zur Gewohnheit geworden zu sein. Bereits in drei anderen Verfahren hatte er sich den Ermittlungsbehörden als Zeuge angedient und Informationen, die Mitgefangene mit ihm geteilt hatten, weitergegeben. Offenkundig in der Hoffnung, dass dies in den Prozessen gegen ihn selbst wohlwollend berücksichtigt würde.

Dass er dabei durchaus planvoll vorgegangen sei, gibt R. unumwunden zu. Einem wegen Rauschgiftschmuggels angeklagten Mithäftling etwa, will er suggeriert haben, dass man nach Ende der Haft gemeinsame Geschäfte machen könnte, um so mehr über dessen Aktivitäten zu erfahren. Bei Hans-Joachim H. habe er vorgespielt, ideologisch mit ihm auf einer Wellenlänge zu liegen, um ihn zum Sprechen zu bringen.

Letztlich führte dies dazu, dass H. ihm wohl sogar die Anklageschrift für den Frankfurter Prozess aushändigte. R. wusste also bereits, bevor er gegenüber den Ermittlungsbehörden aussagte, welche Punkte für diese von besonderer Relevanz waren. Gut möglich also, dass er seine Aussagen darauf abstimmte.

Doch abseits der Zweifel an seinen Angaben steht nach Ansicht der Verteidiger noch ein weiterer Verdacht im Raum: Dass R. gezielt auf Hans-Joachim H. angesetzt wurde.

Verteidigung vermutet gezieltes Aushorchen

"Wir sind überzeugt, dass es eine staatlich veranlasste Aushorchung gegeben hat", erklärte Jessica Hamed, Anwältin von Hans-Joachim H. Es sei schlicht schwer zu glauben, dass der Zeuge R., nachdem er sich bereits drei Mal als Informant angedient habe, zufällig in dieselbe Haftanstalt wie H. verlegt worden sei. Zumal es in einem der vorherigen Fälle wohl Kontakt zwischen dem Büro des Generalbundesanwalts und dem Zeugen gegeben habe.

Es ist schwerwiegender Vorwurf der Verteidigung. Denn sollte R. tatsächlich von der Staatsanwaltschaft oder auch nur einem einzelnen Mitarbeiter einer Polizeibehörde beauftragt worden sein, H. auszuhorchen, dürften seinen Aussagen vom Gericht nicht verwertet werden. Andernfalls – so die einhellige Rechtsauffassung – würde das Prinzip, dass Angeklagte sich nicht selbst belasten müssen, unterlaufen.

Der Vertreter des Generalbundesanwalts, Tobias Engelstätter, weist derartige Mutmaßungen zurück: "Es handelt sich nicht um einen Polizeispitzel, sondern um eine Person, die aus eigenem Antrieb handelt." Ähnlich klingt es in den Schilderungen von R. Demnach habe er schlicht die Chancen, die sich ihm eröffnet hätten, genutzt – zum eigenen Vorteil.

Notizen ausgehändigt

Die Verteidiger der Angeklagten stehen derweil vor einem weiteren Problem. Denn Hans-Joachim H. hat mit R. nicht nur gesprochen, sondern ihm auch heimlich handschriftliche Aufzeichnungen überlassen. Gut 200 Seiten, die nun ebenfalls Teil der Ermittlungsakte sind, sind darin zu finden: unter anderem Überlegungen zur eigenen Verteidigungsstrategie.

Hinzu kommt: Die Angaben des Zeugen haben sich bereits einmal als zutreffend erwiesen. Im Mai 2024 – kurz vor Beginn des Prozesses in Frankfurt – führten sie zur Durchsuchung des Wohnhauses von Hans-Joachim H. Dabei wurde unter anderem ein USB-Stick mit der vermeintlichen "Pädo-Liste" und weiteren Namen gefunden – exakt an jener Stelle, die R. zuvor benannt hatte.

Diese Woche soll R. erneut an zwei Terminen vor dem Oberlandesgericht aussagen – vorerst zum letzten Mal.