
Hessen Streit um Hanau-Gedenken: Initiative zeigt sich "entsetzt und enttäuscht"
Die Rathaus-Koalition in Hanau will künftig das Gedenken an den Anschlag vom 19. Februar kleiner halten - als Reaktion auf eine kritische Rede einer Angehörigen. Andere Angehörige und Unterstützer bezeichnen das als "unangemessen und verletzend", gerade so kurz nach dem fünften Jahrestag.
Bei Angehörigen und Unterstützern der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau vor fünf Jahren sorgt die Ankündigung der Rathaus-Koalition zur Begrenzung des Gedenkens für Empörung.
Die Initiative 19. Februar, die sich nach dem Anschlag 2020 gegründet hatte, veröffentlichte am Samstagmorgen ein Statement auf Instagram. "Wir sind entsetzt und enttäuscht, dass die Worte einer Betroffenen zum Anlass genommen werden, über die Erinnerung an den rassistisch motivierten Anschlag von Hanau zu entscheiden", hieß es darin.
Am Freitagabend hatten CDU, SPD und FDP aus dem Hanauer Stadtparlament eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie die scharfe Kritik an der Rede einer Angehörigen im Rahmen der zentralen Gedenkveranstaltung zum fünften Jahrestag übten. Emis Gürbüz, die Mutter des getöteten Sedat Gürbüz, hatte darin der Stadt Hanau die Hauptverantwortung für den Tod ihres Sohnes vorgehalten.
Dazu schrieben die Fraktionen, es werde "derlei Gedenken" in Hanau künftig nicht mehr geben, die Veranstaltungen sollten in den kommenden Jahren in kleinerem Rahmen stattfinden.
Initiative 19. Februar: "Unangemessen und verletzend"
Jede Familie gehe unterschiedlich mit dem Schmerz um, hieß es nun in der Stellungnahme der Initiative 19. Februar. "Mitten in diesem Schmerz, zwei Tage nach dem Jahrestag, ist es unangemessen und verletzend, auf diese Weise behandelt zu werden", so die Initiative.
Die Entscheidung der Koalition wirke wie ein Versuch, eine Angehörige für ihre "kritische Haltung" gegenüber der politisch Verantwortlichen zu bestrafen. Die Absage eines offiziellen Gedenkens betreffe jedoch nicht nur die Familien, sondern die gesamte Gesellschaft - schließlich sei der Anschlag Teil der deutschen Geschichte. "Erinnern kann nicht diktiert werden", betonte die Initiative.
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Außerdem bezeichnete die Initiative es als "problematisch, ein privates Einbürgerungsverfahren in einer ohnehin rassistisch aufgeladenen Migrationsdebatte in die Argumentation einzuflechten."
CDU, SPD und FDP hatten in ihrer Stellungnahme in Frage gestellt, warum Gürbüz "bei einer derartigen Gefühlslage die deutsche Staatsbürgerschaft beantrage".
Zuvor hatte sich bereits der Vater des getöteten Hamza Kurtović, Armin Kurtović, kritisch zur Entscheidung aus dem Hanauer Rathaus in der taz geäußert und richtete sich dabei auch gegen den Hanauer Oberbürgermeister, Claus Kaminsky (SPD).
Oberbürgermeister will Vorwürfe juristisch prüfen lassen
Kaminsky selbst äußerte sich bislang jedoch nicht zur Stellungnahme der Koalition vom Freitag. Sein Sprecher erklärte auf Anfrage des hr, es sei "sicherlich klar", dass die Gedenkveranstaltung nicht jedes Jahr in der Größe wie zum fünfjährigen Gedenken - etwa mit Anwesenheit des Bundespräsidenten - durchgeführt werden könne.
Zu einzelnen Vorwürfen werde sich der Oberbürgermeister "auch nach juristischer Prüfung zu gegebener Zeit äußern". Außerdem verwies der Sprecher am Samstag darauf, wie sich Kaminsky bereits auf der Gedenkveranstaltung am Mittwoch geäußert habe.
Nach den Reden der Angehörigen hatte sich der SPD-Politiker auf der Bühne ausdrücklich bei allen vier Rednerinnen und Rednern - auch Gürbüz - bedankt. Daran schloss er an: "Es versteht sich von selbst, dass manches, was sie hier gesagt haben, wehtut". Das eine oder andere könne man auch "nicht als gerecht ansehen", sagte Kaminsky. "Aber es war gut, richtig und wichtig, dass sie uns dieses heute sagen konnten."
"Sollten alle milde im Urteil sein"
Auch im hr-Podcast "Der Tag" hatte sich Kaminsky noch am Mittwoch zu den von Gürbüz erhobenen Vorwürfen geäußert. Einige Dinge, die sie gesagt hatte, seien verletzend gewesen und hätten nichts mit der Realität zu tun. "Trotzdem sollten wir alle milde im Urteil sein", so Kaminsky weiter.
Schließlich handle es sich um eine Mutter, die ihren Sohn verloren habe - und eine juristische Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Täter als Schuldigen sei nicht mehr möglich.
Beauftragte der Bundesregierung: Gedenken beibehalten
Reem Alabali-Radovan (SPD), die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, sicherte den Opfer-Familien ihre volle Unterstützung zu. Trauer sei "immer individuell", schrieb Alabali-Radovan am Samstag auf Instagram.
Sie dürfe niemals instrumentalisiert werden. "Beim Gedenken muss es immer darum gehen, die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen", erinnerte die Sozialdemokratin und forderte, das Gedenken in seiner bisherigen Form beizubehalten.
Hanauer SPD: Richtigstellung war nötig
Auch die Hanauer SPD meldete sich am Samstag erneut zu Wort – nach eigenen Angaben als Reaktion auf die "vielen Zuschriften", die eingetroffen seien. "Wir werden selbstverständlich nicht das Gedenken in Hanau abschaffen", stellte die Fraktion in einem Instagram-Statement klar. Es werde der Opfer weiterhin "auch von offizieller Stelle gedacht".
Der Vorwurf, die Stadt würde Fördergelder missbrauchen, sei jedoch falsch. Daher habe es das Statement samt Richtigstellung geben. Die SPD kündigte an, sich in den kommenden Tagen noch einmal äußern zu wollen.
FDP-Fraktion: Verständnis für Wut
Diesen Vorwurf habe man so nicht im Raum stehen lassen können, erklärte auch der Fraktionsvorsitzende der FDP, Henrik Statz, am Samstag im Interview mit der hessenschau. Er könne die Frustration und Wut nachvollziehen, die enstünden, wenn man den tiefen Eindruck habe, einem werde nicht geholfen. Mit Gedenken und Trauerverarbeitung hätten die Anschuldigungen gegen die Stadt aber wenig zu tun.
In dem Entschluss, die Gedenkveranstaltungen künftig im kleineren Rahmen abzuhalten, sieht Statz weder eine Bestrafung für die anderen Hinterbliebenen noch einen Versuch, etwas zu verstecken. "Wir suchen immer noch nach einem angemessenen Umgang für das Thema." Das sei schwierig genug.