Merz und weitere Parteivorsitzende

Nordrhein-Westfalen Aufregung um Merz, AfD und Migration: Was ist da eigentlich los?

Stand: 01.02.2025 17:05 Uhr

Mitten im Wahlkampf streitet die Republik über CDU-Chef Merz, Migration und Stimmen der AfD. Was ist da los? Fragen und Antworten.

Von Jörn Seidel

Seit Tagen ist es das bestimmende Thema in den Nachrichten: die Pläne von Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) zur Verschärfung der Migrationspolitik. Am Mittwoch verschaffte die AfD im Bundestag einem Unions-Antrag die Mehrheit. Die Empörung darüber war groß. Merz erhielt aber auch viel Zustimmung. Es gab Demos, Kritik von Altkanzlerin Merkel, Austritte aus der CDU, aber auch Eintritte. Am Freitag dann brachte die Union im Bundestag das "Zustrombegrenzungsgesetz" zur Abstimmung. Trotz der Stimmen der AfD erreichte es jedoch keine Mehrheit. Worum geht es bei dem Streit?

Fragen und Antworten zur aktuellen Debatte:

Verschärfung der Migrationspolitik: Um welche Abstimmungen im Bundestag geht es?

Es geht um zwei Anträge und einen Gesetzentwurf:

  • Dem ersten Antrag der Union am Mittwoch stimmten die Bundestagsabgeordneten mehrheitlich zu. Darin wird die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, in fünf Punkten die Migrationspolitik zu verschärfen:
Fünf Punkte Plan zur Migration der CDU

Die fünf Kernpunkte des am Mittwoch beschlossenen Antrags.

  • Der zweite Antrag der Union am Mittwoch wurde mehrheitlich abgelehnt. Darin geht es um einen schnelleren Entzug des Aufenthaltstitels und um mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden.
  • Am Freitag ging es nicht nur um einen Antrag mit Appell-Charakter, sondern um einen Gesetzentwurf. Mit dem sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz wollte die Union unter anderem den Familiennachzug von bestimmten Flüchtlingen (subsidiäre Schutzbedürftige) einstellen und mehr Befugnisse für die Bundespolizei, um Menschen zügiger abzuschieben. Das Gesetz wurde mehrheitlich abgelehnt.

Warum ist die Empörung über die AfD-Zustimmung so groß?

Am Mittwoch ist etwas passiert, was es noch nie gegeben hat: Im Bundestag konnte ein Antrag nur deshalb eine Mehrheit finden, weil auch die AfD-Fraktion zugestimmt hat. Es war ein Antrag der CDU-CSU-Faktion zur Abweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen.

Ohne die Stimmen der in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD wäre der Antrag nicht beschlossen worden. Die Stimmen aus CDU/CSU und FDP hätten nicht gereicht - auch nicht mit Stimmen des BSW und von Fraktionslosen.

Dass es dazu kommen konnte, hatte CDU/CSU-Kanzlerkandidat Merz vorab ausdrücklich in Kauf genommen. Seine Begründung:

Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen.

Friedrich Merz, CDU-Chef

Der Knackpunkt: Eigentlich wollen weder CDU und CSU, noch SPD, Grüne, FDP, Linke und BSW mit der AfD zusammenarbeiten. Die CDU hatte das schon 2018 auf einem Parteitag in einem sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss festgehalten. Parteichef Merz hat das oft wiederholt, versprach schon 2022 "eine Brandmauer zur AfD".

Darüber hinaus erklärte er im November im Bundestag ganz konkret die Absicht, dass - zumindest bis zur Bundestagswahl - "weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt". An diese Worte erinnerte ihn nun auch Altkanzlerin und Parteikollegin Angela Merkel.

Werden CDU und CSU in Zukunft öfter Politik mit der AfD machen?

Das ist die entscheidende Frage. War die gemeinsame Abstimmung, durch die es zur Mehrheit kam, von Union, FDP und AfD am Mittwoch schon eine Zusammenarbeit? Und wird es in Zukunft weitere geben im Bundestag und in Landesparlamenten? Darüber wird seit Tagen heftig debattiert.

Zum einen streiten natürlich die Politikerinnen und Politiker. Mitten im Wahlkampf ist der Vorstoß von Merz ein gefundenes Fressen für den politischen Gegner. In der SPD und anderen Parteien sprechen nun viele davon, dass bei der Union die "Brandmauer zur AfD" gefallen sei. 

Merz widerspricht dem vehement. Nach der Abstimmung mit der AfD sagte er in den ARD-Tagesthemen: "Es gibt keine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD. Und da können jetzt AfD-Leute triumphieren, wie sie wollen."

Aber ist auf diese Aussage Verlass? Darüber kann nur spekuliert werden. Manche Beobachter sagen: Eine richtige Zusammenarbeit mit der AfD wird es nicht geben. Andere sagen: Nach dieser gemeinsamen Abstimmung wird es nun früher oder später zu einer Zusammenarbeit kommen - sei es im Bundestag oder in den Landesparlamenten.

Wie kommt der Vorstoß von Merz bei den Menschen an?

Eine genaue Aussage, ob der Vorstoß von Merz in der Bevölkerung mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung findet, lässt sich nicht treffen. Es gibt aber Meinungsbilder und viele Demonstrationen:

  • Vor der Abstimmung am Freitag holte WDR 2 ein nicht repräsentatives Stimmungsbild ein: Als Reaktion auf ein Pro und Kontra bei dem Sender hat eine klare Mehrheit der Hörerinnen und Hörer, die sich gemeldet haben, angegeben, dafür zu sein, dass Merz den Gesetzentwurf mit den Stimmen der AfD durchbringt.
  • Die "Bild" veröffentlichte am Freitagmorgen eine als repräsentativ geltende Umfrage, die sie beim Meinungsorschungsinstitut INSA in Auftrag gegeben hatte. Demnach haben CDU/CSU nach der Abstimmung mit der AfD am Mittwoch an Zustimmung eingebüßt. Zusammen fallen die beiden Parteien demnach um einen Prozentpunkt auf 29 Prozent. Die SPD legte demnach um 1,5 Punkte 17 Prozent zu.
  • Laut dem am Donnerstag veröffentlichten repräsentativen ARD-DeutschlandTrend von Infratest dimap findet die Forderung nach einer schärferen Asylpolitik in der Bevölkerung eine Mehrheit. Die meisten Menschen wurden dafür allerdings befragt, bevor es am Mittwoch im Bundestag zur Abstimmung kam.
  • In vielen Orten in NRW und ganz Deutschland gibt es in diesen Tagen Demonstrationen. Der Protest richtet sich vor allem an die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD. Bei den Demonstrationen sind aber auch Befürworter von Merz' Vorstoß zu finden, beobachtet der WDR.

Manche Politik-Beobachter sind der Meinung: Am Ende werde vor allem die AfD von den aktuellen Ereignissen um die Bundestagsabstimmungen profitieren. Das sagte zum Beispiel Table-Media-Chefredakteur Michael Bröcker dem WDR. Wissen wird man es erst, wenn die Ergebnisse der Bundestagswahl am 23. Februar vorliegen.

Ist zwischen Union und SPD oder Grünen nun keine Koalition mehr möglich?

Der politische Streit ist groß. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach nach der Abstimmung am Mittwoch bei "Maischberger" im Ersten von einem "Tabubruch". Die AfD-Stimmen habe die Union "bewusst kalkuliert hingenommen".

Und deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr trauen, was ich bis vor einer Woche getan habe.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

Hat die Union jetzt einen irreparablen Scherbenhaufen hinterlassen? Sowohl bei SPD als auch Grünen? Die Antwort wird es erst nach der Wahl geben. Dann heißt es in Sondierungs- und Koalitionsgesprächen: Gemeinsamkeiten finden.

Bis dahin ist aber erst mal Wahlkampf. Und das bedeutet: demokratischer Wettstreit der Ideen und Meinungen, in dem sich die Parteien um klare Profile und Unterscheidbarkeit bemühen. Spätestens jetzt ist der Wahlkampf in seiner wirklich heißen Phase angekommen.

Was sagt eigentlich die Statistik zur Kriminalität von Ausländern?

Das Bild ist nicht eindeutig, denn die polizeiliche Kriminalstatistik berücksichtigt nur angezeigte Straftaten. Im Jahr 2023 waren 65,6 Prozent der Tatverdächtigen deutsch und 34,4 Prozent nichtdeutsch. Die Statistik zeigt außerdem, dass 24,8 Prozent der Opfer von angezeigten Straftaten 2023 nichtdeutsch waren.

In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil der Nichtdeutschen bei 15 Prozent. Somit ist der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger (und auch nichtdeutscher Opfer) überproportional hoch. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Zur Gruppe der nichtdeutschen Tatverdächtigen gehören alle ohne deutschen Pass, zum Beispiel auch Touristen. Studien zeigen außerdem, dass ausländisch gelesene Menschen häufiger angezeigt werden.

Entscheidender als die Staatsangehörigkeit sei die Sozialisation der Tatverdächtigen zeigen Studien: Wer jung und männlich ist, sozial nicht gut eingebunden ist, in prekären Verhältnissen lebt, ein traditionelles Männlichkeitsbild teilt oder selbst Gewalt erlebt hat, neigt eher dazu, Straftaten zu begehen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist auch laut dem Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster ein entscheidender Faktor, um das Risiko zu senken, dass eine geflüchtete Person straffällig wird.

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Berichte zum Thema auf tagesschau.de
  • Kanzler Scholz bei "Maischberger" im Ersten
  • Erklärung von Altkanzlerin Merkel auf ihrer Website
  • Hörer-Umfrage von WDR 2
  • ARD-DeutschlandTrend
  • Meinungsumfrage im Auftrag der "Bild"
  • Bundestag-Website zu Anträgen, Gesetzentwurf und Abstimmungsergebnissen
  • Kriminalstatistik der Polizei 2023
  • Bundeszentrale für politische Bildung
  • Christian Walburg, Institut für Kriminalwissenschaften an der Universität Münster

Über dieses Thema berichten wir am 31.01.2025 auch im WDR-Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.