
Nordrhein-Westfalen Ein Kind, mehrere Sprachen: So läuft es in bilingualen Familien
In vielen Familien wird mehr als eine Sprache gesprochen. Wenn Mutter und Vater aus verschiedenen Ländern kommen, stellt sich oft die Frage, mit welcher Sprache die Kinder aufwachsen sollen.
Einen Plan, mit welchen Sprachen ihre zwei Kinder aufwachsen sollen, hätten sie zunächst nicht gehabt, sagt Mike. Zur Auswahl standen einige: Er selber wuchs mit einer deutschen Mutter und einem libanesischen Vater auf und spricht fließend arabisch. Seine Frau ist Japanerin.
Als vor 20 Jahren der gemeinsame Sohn in Solingen zur Welt kam, sprach sie von Anfang an japanisch mit ihm, Vater Mike nur deutsch. Auch die heute 16-jährige Tochter wuchs direkt zweisprachig auf.
Sprachen mischen sich
Parallel zur deutschen Schule lernten beide Kinder Samstags in einer Ergänzungsschule japanisch lesen und schreiben, neun Jahre lang. Anfangs hätten die Kinder die zwei Sprachen immer genau sortiert, sagt Mike: Dem Vater antworteten sie auf Deutsch, der Mutter auf Japanisch. Inzwischen mischten sich manchmal deutsche Worte in ihre japanischen Sätze - Begriffe, die ihnen auf Japanisch gerade nicht einfallen.
Seine arabische Vatersprache habe er den Kindern nicht auch noch zumuten wollen, erzählt Mike. Heute mache ihm die Tochter manchmal Vorwürfe deswegen.
Kinder antworten konsequent auf deutsch
Yashar aus Köln dagegen hatte sich vor den Geburten seiner Kinder fest vorgenommen, mit ihnen von Anfang an persisch zu sprechen - seine Frau ist Deutsche. Sein Wortschatz aber, sagt der 49-Jährige, der mit zehn Jahren aus dem Iran kam, sei auf dem Niveau eines Drittklässlers. Dementsprechend umständlich sei es ihm vorgekommen, persisch zu sprechen, je älter die Kinder wurden.
"Die Themen und Gespräche werden natürlich komplexer", sagt er, Deutsch sei heute "mit Abstand die stabilere Sprache" für ihn. So könne er mindestens 17 Vogelarten benennen - auf persisch aber kenne er nur das Wort "Vogel".
Spricht Yashar seine Kinder, fünf und acht, heute auf Persisch an, antworteten die konsequent auf Deutsch.
"Jedes Kind ist anders"
"Jedes Kind in einer bilingualen Familie geht individuell mit den verschiedenen Sprachen um", sagt Sabine Frevert vom Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung. "Manche springen problemlos hin und her, andere sprechen zunächst nur die Sprache des migrantischen Elternteils, schwenken dann im Kindergarten um auf Deutsch, oft auch ausschließlich."
Kinder würden die Sprache sprechen, "die sie brauchen", sagt die Psychologin. Das könne auch abhängig sein von den Anliegen, die sie gerade haben.
Ideal sei, wenn sich beide Elternteile jeweils auf eine Sprache festlegen "und dann auch dabei bleiben und nicht mischen", sagt Frevert, "zumindest nicht in einem Satz". Egal, in welcher Konstellation die verschiedenen Sprachen im Alltag des Kindes auftauchen, wichtig sei immer: Es sollte eine klare Struktur geben, damit das Kind die beiden Sprachen deutlich voneinander unterscheiden kann.
"Herzenssprache" sprechen
Bei der Entscheidung für eine Sprache sollten sich Mutter oder Vater am allerbesten für ihre "Herzenssprache" entscheiden, so Frevert: Die Sprache, in der sie sich "am meisten zu Hause fühlen". Denn Sprache sei auch Emotion, Gefühle. "Das können dann auch zwei Sprachen sein, je nach Situation."
Vater Yashar sagt: "Deutsch ist eine sehr rationale Sprache, Persisch sehr viel blumiger, emotionaler." Der Begriff "Schatz" für einen geliebten Menschen beispielsweise empfinde er als "materialistisch". Wenn Perser stattdessen auf Farsi "mein Herz" oder sogar "meine Leber" sagen, dann meine das "du bist ein Teil von mir, du reinigst mich" - und klinge in seinen Ohren wesentlich emotionaler.
Wenn die Sprache verloren geht
Für Wissenschaftler Onur Özsoy vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft gibt es kein "Prinzip, dass ein Mensch nur eine Muttersprache hat". Wahrscheinlich erwerbe die Mehrheit der Menschen weltweit zwei oder mehr Sprachen schon mit ihrer Geburt, sagte er im Cosmo-Radio.
Wer sich als Mutter oder Vater aber entscheide, die eigene Muttersprache nicht an die Kinder weiterzugeben, riskiere einen "großen Verlust an sprachlicher Diversität und der Kultur und Geschichte, die mit der Sprache verbunden ist", so Özsoy.
Übrigens: Laut Sprachwissenschaftlerin Frevert behalten Kinder eine von Geburt gelernte Sprache nur so lange aktiv, wie sie diese Sprache auch tatsächlich oft im Alltag benutzen. Sobald eine Sprache nicht mehr häufig mit dem Kind gesprochen wird, verlerne es sie wieder.
Unsere Quellen:
- Sabine Frevert vom Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung
- Onur Özsoy vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft
- Gespräch mit Mike aus Solingen
- Gespräch mit Yashar aus Köln