Wehrpflichtige in der Allgemeinen Grundausbildung bei der Bundeswehr

Nordrhein-Westfalen Kriegsgefahr in Europa: Müssen junge Männer bald wieder zum Bund?

Stand: 20.02.2025 17:27 Uhr

Mit der neuen engen Zusammenarbeit zwischen US-Präsident Trump und Russlands Präsident Putin wächst die Gefahr eines Krieges in Europa. Die europäischen Länder wollen sich schützen. Kommt damit die Wehrpflicht in Deutschland zurück - und warum wird jetzt über atomare Abschreckung diskutiert?

Von Sabine Schmitt

Die Gespräche zwischen dem US-amerikanischen Präsidenten Trump und dem russischen Präsidenten Putin lassen nichts Gutes für Europa erahnen. Die USA und Russland nähern sich immer weiter an, Trump will die Ukraine nicht weiter unterstützen. Damit ist klar, dass die Europäer bald überwiegend selbst für ihre Verteidigung und die Sicherheit der Ukraine sorgen müssen. Mit weitreichenden Konsequenzen.

Ausfall von Trump: Selenskyj ein Diktator

Wenn die USA einen Teil ihrer Truppen aus Europa abziehen, müssen die Europäer die Lücke füllen. Bisher sind 100.000 US-Soldaten in Europa stationiert. Präsident Selenskyj forderte beim Weltwirtschaftsforum in Davos 200.000 Soldaten für eine europäische Friedenstruppe in der Ukraine. Frankreich brachte europäische Friedenstruppen mit bis zu 100.000 Kräften ins Gespräch. Es geht allerdings längst nicht mehr darum, nur die Sicherheit in der Ukraine mit Soldaten abzusichern. Es geht auch um die Sicherheit von Europa.

"Sehr gefährliche Situation Europa"

Die Sicherheitslage in Europa könne sehr schnell massiv kippen, sagt Christian Mölling, Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Director im Programm "Europas Zukunft" der Bertelsmann Stiftung. Die ukrainische Sicherheit sei mit unserer Sicherheit in Europa verbunden. "Das heißt, ein Durchkommen Putins mit seinen Vorstellungen bedeutet, dass er sich bestätigt fühlt darin, dass er mit Gewalt weiter Dinge verändern kann. Die Amerikaner wollen ihm möglicherweise gar keinen Einhalt gebieten. Das ist eine sehr gefährliche Situation für uns in Europa."

Die Europäer müssten sich sehr schnell überlegen, was sie für einen militärischen Plan haben - für die Ukraine, aber auch um ihre eigene Abschreckung sicherzustellen, sagt Mölling. Denn die Amerikaner würden sicherlich auch da Abstriche machen in Zukunft. "Dann erst geht es um die Frage: Wie viel Geld können wir zur Verfügung stellen?"

Wie groß ist die Gefahr für einen weiteren Krieg in Europa?

Bisher jedenfalls ist Europa nicht ausreichend für die Bedrohung durch Russland gewappnet. Für Verteidigung fehlen Geld, Waffen und fehlen Soldaten - und das ist ein Problem. In Estland, Lettland und Litauen ist die Sorge schon seit Längerem groß, dass Russland auch sie angreifen könnte. Geheimdienste rechnen in wenigen Jahren mit einem möglichen Angriff Putins auf ein europäisches NATO-Land. Damit würde der NATO-Bündnisfall eintreten. Jedes Bündnisland müsse dann helfen und die Maßnahmen ergreifen, "einschließlich der Anwendung von Waffengewalt", die es für erforderlich erachte. Dieses Prinzip wird auch als militärisches Verteidigungsbündnis bezeichnet.

Es ist etwas mehr als anderthalb Jahre her, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius deshalb sagte: "Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden."

Kriegstüchtig. Dieser Begriff taucht bei uns seitdem immer wieder auf - auch in diesen Tagen. Es geht jetzt konkret um Fragen wie diese: Wie viel wird Deutschland in Rüstung und Sicherheit investieren? Schickt eine neue deutsche Bundesregierung Soldaten in die Ukraine, um dort einen möglichen Frieden zu sichern? Wer muss künftig zur Bundeswehr? Und welche Strukturen lassen sich innerhalb der Bundeswehr überhaupt kurzfristig einrichten, um mehr Wehrpflichtige aufzunehmen?

Was wollen die Parteien für Verteidigung tun?

Antworten gibt es derweil nicht viele derzeit. In Deutschland herrscht noch Wahlkampf. Politiker seien mit Blick auf die Wahl gerade im Tunnel, sagt Mölling. "Das ist eine Handlungsunfähigkeit, die normal ist. Gleichzeitig ist die Weltpolitik in einer dramatischen Situation. Wir werden wahrscheinlich bis zum Sonntag einfach noch warten müssen." Am Sonntag wird dann ein neuer Bundestag gewählt. Verteidigung und damit verbundene Aufgaben werden eine der großen Herausforderungen für die neue Regierung sein - während diese Aspekte im Wahlkampf und in den Wahlprogrammen der Parteien eine eher untergeordnete Rolle spielen.

In den offiziellen Programmen nennt nur die SPD eine Summe, wie viel Geld sie für Verteidigung ausgeben würde: mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. CDU/CSU, Grüne, FDP und AfD wollen laut Wahlprogramm zwar mehr Geld für die Bundeswehr, sie sagen aber nicht wie viel. Die Linke ist für Abrüstung. Das BSW will nicht mehr Geld ausgeben als bisher. Robert Habeck, Kanzlerkandidat der Grünen, wurde während des Wahlkampfes inzwischen konkreter und nannte 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch bei der Wehrpflicht bleibt es eher vage. Während die AfD sie wieder einführen will und CDU/CSU eine "aufwachsende Wehrpflicht" für Freiwillige im Rahmen eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres planen, setzen SPD, Grüne und FDP ganz auf Freiwilligkeit. Die Linke und das BSW äußern sich nicht direkt zur Wehrpflicht, stehen der Bundeswehr aber grundsätzlich kritisch gegenüber.

Mehr zum Thema "Wehrpflicht im Wahlkampf: Was wollen die Parteien?" gibt es auch hier:

Als Verteidigungsminister Boris Pistorius vorigen Sommer dem Verteidigungsausschuss seine Pläne für ein neues Dienstmodell vorlegte, ging es vor allem auch um die Frage, wie eine Personallücke von etwa 20.000 Soldaten geschlossen werden könnte - in einer Zeit, in der noch keine mögliche Absicherung durch deutsche Soldaten in der Ukraine im Raum stand und Europa unter US-Präsident Biden noch das Gefühl hatte, die USA als Schutzmacht hinter sich zu haben. Verpflichtend war nach Pistorius' Plan nur die Beantwortung des Fragebogens und die Musterung, sofern jemand eingeladen wird.

Wehrpflicht, aber wie und wer?

Ein Zurück zu dem Wehrdienst alter Form, hieß es im Sommer 2024, komme nicht in Frage. Die alte Wehrpflicht gab es in Deutschland von den 1950er-Jahren bis 2011. Alle jungen Männer ab 18 Jahren mussten damals zur Musterung. Danach mussten sie entweder zur Bundeswehr oder Zivildienst leisten. Der Wehrdienst wurde mit der Zeit von 18 auf sechs Monate verkürzt und brauchte immer weniger Soldaten, deshalb wurden auch immer weniger Männer eingezogen. 2011 wurde die Wehrpflicht dann ausgesetzt. Jetzt müssen Strukturen neu aufgebaut werden. Die Bundeswehr hat keine Kapazitäten, um viele Zehntausend junge Menschen auszubilden. Es fehlt an Kasernen, Ausbildern und Waffen. Darum muss sich jetzt die neue Bundesregierung kümmern und auch neu kalkulieren, wie viele Soldaten künftig gebraucht werden.

Sollte es hart auf hart kommen und Russland, wie einige Militärexperten befürchten, in vier oder fünf Jahren erneut die Ukraine oder ein anderes europäisches Land angreifen, müsste die nächste Bundesregierung ihre Konzepte zur Rekrutierung von Soldaten überarbeiten und innerhalb kürzester Zeit reagieren - und unter Umständen auch improvisieren. Davon betroffen sein könnten dann zum Beispiel Zeitsoldaten, die zuletzt ausgeschieden sind, oder Männer, die in den letzten Jahrgängen der Wehrpflicht (2010 und 2011) ihren Dienst geleistet haben - und bei einer totalen Eskalation, also einem dritten Weltkrieg, dann im schlimmsten Fall womöglich auch junge Männer, die dann gerade 18 Jahre alt sind.

Darum wird über atomare Abschreckung diskutiert

Damit es so weit nicht kommt, wird derweil in Deutschland auch über atomare Abschreckung diskutiert. Der Friedensforscher Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung in Hamburg sagt:"Wenn es um die nukleare Abschreckung geht, dann müssen wir Gespräche mit Franzosen und Briten führen. Und diese Gespräche müssen jetzt dringend losgehen." Deutschland verfüge mit der Urananreicherungsanlage in Gronau über wichtige Infrastruktur für eine europäische Abschreckungsstrategie. Für die Amerikaner, das habe Trump noch mal betont, liege im Zweifelsfall ein ganzer Ozean dazwischen. Für Deutschland nicht. "Wenn die Russen kommen, dann sind wir direkt bedroht", sagt auch Kühn.

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagentur afp, dpa
  • Berichte von tagesschau.de
  • Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl 2025
  • ARD-Interview mit Christian Mölling, Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Director im Programm "Europas Zukunft" der Bertelsmann Stiftung
  • WDR-Interview mit Ulrich Kühn, Leiter des Forschungsbereichs „Rüstungskontrolle und Neue Technologien“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)

Über dieses Thema berichtet der WDR am 20.02.2025 auch im Fernsehen, Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.