
Nordrhein-Westfalen Wir können die Plastikflut nicht stoppen, Konzerne schon! | MEINUNG
Seit Ölkonzerne den "ökologischen Fußabdruck" vermarkten, geißeln wir uns selbst mit Verzicht. Doch die Plastikflut kriegen wir so nicht in den Griff. Konzerne und Staaten sind viel mächtiger - sie müssen umdenken und handeln!

Plastikfreie Alternativen im Bad
Die Zahnbürste ist aus Bambus. Die Zahnpasta kommt nicht aus der Tube, denn die wäre ja aus Plastik. Sie steht in Kautablettenform in einem Einmachglas am Waschbeckenrand. Daneben das Seifenstück - plastikfrei. Geputzt wird das Bad mit alten Zitronenschalen, denn zu kaufen gibt es Reinigungsmittel meist nur in Plastikflaschen. Immer wenn ich bei Freunden eine solche Anordnung im Badezimmer oder ähnlich in der Küche gesehen habe, musste ich anerkennend staunen: Wow, das ist mal Hingabe für den Umweltschutz. Möglichst ohne Plastik auskommen mit Verzicht und Umdenken.
Wenn wir das doch alle so machen würden, wäre die Plastikflut und die damit einhergehende Umweltbelastung bestimmt zu stoppen, habe ich lange gedacht. Ein Irrglaube.
Seit die Ölindustrie uns Verbrauchern mit dem ökologischen Fußabdruck vor Augen führt, wie sehr die eigene Lebensweise die Umwelt belastet, sind viele von uns eingestiegen in einen Wettbewerb: Wer schafft es ökologischer zu leben, mehr Plastik einzusparen? Gegenseitiges Beäugen, wer denn das größere Opfer bringt; mit dem Zeigefinger zeigen auf diejenigen, die nicht auf den Plastikfrei-Zug aufspringen.
Kolumnistin Caro Wißing
Dabei können wir Verbraucher nur Teil der Lösung sein. Wir müssten unsere Energie eher dafür aufbringen Druck zu machen, auf die Ölindustrie, große Konzerne und Staaten. Die sitzen am viel längeren Hebel.
Elitärer Umweltschutz: Nicht jeder kann plastikfreie Alternativen kaufen
Und dazu kommt noch: Viele Verbraucher haben gar nicht die Wahl. Einige haben nicht die zeitlichen Kapazitäten, sich mit Produktalternativen, der Eigenherstellung von Putzmitteln und dem Vergleich von Ökosiegeln auf Verpackungen auseinanderzusetzen. Andere haben nicht das Geld im Unverpacktladen einzukaufen oder zur nicht-eingeschweißten, aber teureren Gurke im Supermarkt zu greifen. Das ist Luxus. Und damit wird ein solcher Umweltschutz auch elitär.
Erst recht, wenn wir auf die globale Ebene schauen. Auf Plastik zu verzichten, würde in manchen Weltregionen beispielsweise bedeuten, keinen Zugang zu frischem Trinkwasser zu haben, weil das nun einmal nur in Plastikflaschen zur Verfügung steht. Glasflaschen und Verpackungen aus Holzfasern erscheinen uns hier vielleicht als viel ökologischer. Aber die Herstellung von Holz bedeutet Abholzung von Wäldern am anderen Ende der Welt und die Herstellung von Metall und Glas ist wahnsinnig energieintensiv. Wir sollten Plastik deswegen nicht per se verteufeln. Das Problem ist nur, wie wir mit dem produzierten Plastik umgehen.
Jedes fünfte Plastikprodukt landet als Müll in der Umwelt
Ich habe vor einigen Tagen die Rhein-KRAKE besucht. Eine schwimmende Plattform am Flussufer in Köln. Sie filtert vorbeitreibenden Müll aus dem Wasser, der sonst irgendwann ins Meer gespült würde. Plastikflaschen, Chipstüten, Einkaufstaschen, auch mal Gummistiefel.

Umhertreibende Plastiktüte die Schildkröten mit einer Qualle verwechseln könnten
"Das hier sieht für eine Meeresschildkröte aus wie eine Qualle", sagt KRAKE-Betreiber Christian Stock und zieht eine transparente Plastiktüte aus dem Fangkorb. "Die Schildkröte frisst das dann und verhungert auf Dauer, weil ihr Magen mit Plastik gefüllt ist, den er nicht verdauen kann."

Die Müllfalle "Rheinkrake" im Rhein in Köln
Was die Ehrenamtlichen auf der KRAKE machen, ist toll und bewundernswert. Aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, das sagen sie selbst. Die KRAKE fängt ungefähr zwei Tonnen Müll pro Jahr. Ein verschwindend geringer Anteil der Gesamtmenge im Rhein. Aus allen Flüssen weltweit geraten 20 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere und Ozeane - jedes Jahr. Weitere 60 Millionen Tonnen gelangen in die Landschaft. Und da bleiben sie. Plastik zerfällt über Jahrzehnte und Jahrhunderte in immer kleinere Teile, aber es zersetzt sich nicht komplett.
Die Plastikproduktion ist einfach zu billig
Das Problem ist: Das meiste Plastik wird nur ein einziges Mal verwendet. Nur neun Prozent werden recycelt. Das hat mir Henning Wilts erklärt. Er ist Experte für Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut. Zum einen liegt es daran, dass es in vielen Ländern der Welt gar kein System der Mülltrennung, Müllabholung und Müllverwertung gibt. Zum anderen bestehen zum Beispiel viele Plastikverpackungen aus mehreren Schichten, die sich kaum mehr voneinander trennen und damit auch nicht recyceln lassen. Das Produktdesign ist das Problem, so Wilts.
Und warum konzipieren die herstellenden Unternehmen dann nicht bessere Produkte? Die Antwort ist einfach. Es geht ums Geld. Wie immer. Selbst wenn ein Unternehmen eigentlich ein Herz für die Umwelt hat, müsste es bereit sein, 20 bis 30 Prozent mehr für eine Recyclingoption auszugeben. Es ist günstiger Neuplastik zu produzieren - aus Erdöl. Der Rohstoff ist im Vergleich zu billig. Das könnte eine Steuer ändern. So fordern es auch verschiedene Experten und Wissenschaftler. Aber bisher fehlt der politische Wille so etwas durchzusetzen.
Für ein Umdenken müssen sich Staaten zusammentun
Es bräuchte vor allem auch internationale Bemühungen. Aktuell findet die UN-Klimakonferenz in Bonn statt. Dort ist das Thema auf der Agenda. Die Vereinten Nationen arbeiten an einem Plastik-Abkommen. Aber erdölfördernde Länder - wie zum Beispiel Russland und Saudi-Arabien - stellen sich dem entgegen, "weil sie sehr davon profitieren, immer weiter Öl zu produzieren und daraus Plastik zu machen", so Wilts. Aber immerhin: Das Thema ist auf der Weltbühne und im August wollen die Staaten weiterverhandeln für ein Abkommen.
Manche Länder haben mit eigenen Regelungen schon einiges bewirkt. Das habe ich in Marokko beobachtet. Bei meinem ersten Besuch 2011 hing in fast jedem Strauch, in jedem Baum eine weiße oder blaue Plastiktüte. 2016 hat das Land die Herstellung, den Import, den Verkauf und die Nutzung von Plastiktüten verboten. Wer sich nicht dran hält, muss horrende Strafen fürchten. Das hat Wirkung gezeigt. Bei meinem zweiten Besuch 2018 war ich wirklich erstaunt: Das blau-weiße Tütenmeer in der Landschaft war weg. Noch eindrücklicher muss es in Ruanda sein. Das ostafrikanische Land ist seit 2008 quasi einwegplastikfrei.
Geht doch! Erste Regulierungen zeigen kleine Erfolge
Und auch die EU hat mit ihrem Einwegplastikverbot vor sechs Jahren immerhin ein Zeichen gesetzt. Wissenschaftler sagen zwar, dass die eingesparten Plastikbecher, Strohhalme oder Wattestäbchen nur einen Bruchteil des Plastikmülls ausmachen. Aber es hat Unternehmen zumindest gezwungen, hier umzudenken und Produktalternativen zu entwerfen. Und das haben auch wir Verbraucher mitbekommen.
So schließt sich der Kreis. Wir sind also wieder bei unseren plastikfreien Produkten im Haushalt angekommen. Sie sind ein Teil der Lösung, wie gesagt. Aber das große Rad wird in der Industrie und der Politik gedreht. Wenn wir wirklich die Plastikflut stoppen wollen, dann bringt es nicht genug, im Unverpacktladen einzukaufen - dann müssen wir Druck machen auf die Entscheider, uns Verbrauchern überall auf der Welt bessere Alternativen zu bieten.
Achtet ihr im Alltag darauf Plastik zu vermeiden? Welche Regeln gegen Plastimüll brauchen wir von der Politik? Lasst uns darüber diskutieren. In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.