
Nordrhein-Westfalen Wo viele Menschen nicht an der Bundestagswahl teilnehmen dürfen
Bei der Bundestagswahl werden viele Menschen, die in NRW leben, nicht mit abstimmen dürfen. Unsere Datenauswertung zeigt, in welchen Wahlkreisen das besonders viele Menschen trifft.
An diesem Sonntag, 23. Februar, werden die Menschen wieder in Schulgebäude, Rathäuser und Kindergärten strömen, um mit ihrer Stimme darüber zu entscheiden, wer im nächsten Bundestag sitzt. Doch bestimmte Bevölkerungsgruppen dürfen nicht wählen gehen. Etwa Kinder und Jugendliche. Oder Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft.
Daten zur Bevölkerungsstruktur
Im vergangenen Jahr ist mit dem Zensus 2022 die umfangreichste und genaueste Befragung zur Lebenssituation der Menschen der vergangenen zehn Jahre in Deutschland veröffentlicht worden. Die Daten auf Wahlkreis-Ebene zeigen: In einigen Gebieten der großen Ruhrgebietsstädte gibt es die geringste Teilhabe an der Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen geben - unabhängig von der Wahlbeteiligung.
Die Wahlkreise Duisburg II, Essen II, Gelsenkirchen und Dortmund II stechen mit besonders vielen Nicht-Wahlberechtigten hervor.
Fast jeder vierte Einwohner besaß hier zuletzt keine deutsche, sondern eine ausländische Staatsbürgerschaft. Das gilt auch für einige andere Wahlkreise in Wuppertal, Düsseldorf und Köln.
Ruhrgebiet: Viele Minderjährige und strukturelle Probleme
Im Ruhrgebiet kommt dazu, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung minderjährig ist. Kinder und Jugendliche machten bei der Zensus-Erhebung fast 20 Prozent aller Menschen in den Wahlkreisen Duisburg II, Essen II, Gelsenkirchen und Dortmund II aus. Die drei erstgenannten Wahlkreise kommen auf hier sogar auf den zweit-, fünft-, und sechsthöchsten Wert in Deutschland.
Es sind auch diese Regionen, in denen die sozialen und strukturellen Probleme in Nordrhein-Westfalen besonders ausgeprägt sind.
Nirgendwo gibt es schlechtere Betreuungsquoten in den Kitas, nirgendwo verließen 2023 mehr Jugendliche die Schule ohne Abschluss und nirgendwo hatten die Menschen zuletzt durchschnittlich weniger Geld zur Verfügung als in Gelsenkirchen und Duisburg. In Gelsenkirchen bezieht zudem fast jeder Fünfte Bürgergeld, 13 Prozent Jugendarbeitslosigkeit (15 bis 24 Jahre) ist die höchste in NRW, es folgen Essen, Duisburg und Dortmund (neun bis elf Prozent).
Auch der Wohnungsleerstand erreicht in Gelsenkirchen und dem Wahlkreis Duisburg II, der den Norden der Stadt umfasst, Spitzenwerte, die sonst nur in den Weiten des Sauerlands zu finden sind. 2,5 Prozent der Wohnungen standen dem Zensus zufolge mehr als zwölf Monate leer.
Große Unterschiede innerhalb Dortmund und Essen
Dortmund und Essen weisen womöglich auch deshalb eine bessere Kita-Betreuung und ein besseres Durchschnittseinkommen auf, weil diese Zahlen nur für das gesamte Stadtgebiet ausgegeben werden und es hier auch wohlhabendere Viertel gibt.
In Essen etwa zeigen sich beim Wohnen große Unterschiede zwischen den Wahlkreisen. Sie geben Aufschluss über die Lebensverhältnisse. Essen II – der Wahlkreis im Norden und Osten der Stadt, der einen hohen Anteil an Menschen ohne deutschen Pass und Minderjährige hat - weist mit zwei Prozent auch den niedrigsten Wert an Wohnungen und Wohnhäusern über 160 Quadratmeter in ganz NRW auf. Im südlichen Wahlkreis Essen III gibt es dagegen dreimal so viele große Wohnungen.
In diesem Teil von Essen dürfen die meisten Menschen wählen. Der Zahl derjenigen ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist im Wahlkreis Essen III mit 13 Prozent nur halb so hoch wie in den anderen beiden Essener Wahlkreisen. Knapp jeder vierte Einwohner war zuletzt über 65 Jahre alt, jeder siebte über 75 Jahre. Auf ähnliche hohe Seniorenquoten kommen nur die ländlichen Wahlkreise Wesel I, Ennepe-Ruhr-Kreis II sowie Mettmann I und II.
Die meisten jungen Wahlberechtigten lebten in den vergangenen Jahren in typischen Studentenstädten. Jeder vierte Einwohner von Aachen war bei Zensus-Erhebung zwischen 18 und 29 Jahre alt, in Münster war es jeder fünfte.
WDR-Aktion "Deutschland, wo brennt's?"
Was bewegt die Menschen in den vier Wahlkreisen, in denen viele Bewohner nicht wählen dürfen – was wünschen sie sich von der nächsten Bundesregierung? Das zeigen zum Beispiel Eindrücke aus der WDR-Publikumsbefragung "Deutschland, wo brennt's?". Die prägenden Themen sind soziale Gerechtigkeit, Migration, Sicherheit und Inflation.
Anna, 39, aus Gelsenkirchen fordert: "Die Energiekosten massiv senken! Ich verdiene schon gut und bin als Alleinstehende trotzdem arm." Dmitri, 35, aus Essen sieht eine gewisse "Wehrlosigkeit vor Gefahren von außen, machtlose Polizei und Sicherheitsbehörden". Marcel, 41, ebenfalls aus Essen, findet, man müsse "viel mehr in die Zukunft investieren", das Bildungssystem reformieren.
Ferhat, 32, aus Duisburg möchte "gerechte Löhne" und wünscht sich von der Politik: "Mehr auf den kleinen Mann/Frau hören anstatt auf Lobbyisten und Unternehmen." Für Maik, 57, aus Dortmund, sind "der angespannte Wohnungsmarkt, der Fachkräftemangel sowie die schlechte Integration" die drängendsten Probleme. Katrin, 30, aus Dortmund, fehlt eine "Generationengerechtigkeit", die sich politisch niederschlägt.
Die Befragung "Deutschland, wo brennt's?" liefert keine repräsentativen Ergebnisse, aber ein Stimmungsbild von mehr als 7.000 Menschen, die mitgemacht haben. Was die Teilnehmenden zu den Themen Migration und Flucht, Krieg und Frieden und Wirtschaft und Wohlstand sagen, haben wir hier ausführlicher aufgeschrieben.
Unsere Quellen:
- Zensus 2022, Statistisches Bundesamt
- Die Bundeswahlleiterin
- Bundesagentur für Arbeit
- Deutschlandatlas
- WDR-Publikumsaktion "Deutschland, wo brennt's?"