Rheinland-Pfalz Geflüchtete auf gefährlicher Reise in die Westpfalz
Ein Boot. Eine Chance. Ein Ziel. Am Weltflüchtlingstag erinnern wir uns an jene, die ihre Heimat verlassen mussten, um ein neues Leben anzufangen. Alaa Bayazeed und Elimian J. sind zwei von ihnen.
Alaa Bayazeed erinnert sich noch gut an seine Flucht: Damals war es so dunkel, dass er kaum seine eigenen Hände sehen konnte. Er spürte, dass andere Menschen neben ihm saßen. Sie hielten sich aneinander fest. Sie krallten sich sogar an seine Kleidung. Alle hatten Angst. "Wir saßen eng nebeneinander. 60 Menschen - viel zu viele - auf einem einzigen Boot. Mitten im Meer", erzählt Bayazeed. 2016 flüchtete er von Syrien nach Deutschland.

Der damals 25-jährige Alaa Bayazeed aus Kaiserslautern flüchtete mit seiner heutigen Ehefrau in den Westen der Pfalz.
Kein Weg zurück auf dem Meer: Sterben oder ankommen?
Die Boote wurden von bewaffneten Schleppern organisiert, die mit Gewalt reagierten, wenn jemand doch nicht mehr auf das Boot wollte. Die Schlepper steuerten das Boot ins Meer und sprangen zurück ans Ufer. Bayazeed und sein Bruder mussten das Boot nun selbst lenken, obwohl sie das noch nie zuvor gemacht haben: "Den Schleppern war egal, was mit uns passiert. Die hatten ja ihr Geld." Bayazeed floh aus Syrien, um nicht als Soldat Menschen töten zu müssen.
Baby an Bord und kein Essen
Gemeinsam mit seinem Bruder, seiner heutigen Ehefrau und deren Geschwistern war Bayazeed auf dem Boot. Mit dabei: Ein zehn Monate alter Junge - ohne seine Eltern. Der damals 25-jährige Bayazeed sollte das Baby zu seiner Mutter nach Griechenland bringen. "Wir haben von 5 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags nichts gegessen. Auch das Baby nicht." Kinder, Männer, Frauen und Schwangere waren an Bord.
Das Boot ging mehrmals wegen des Motors kaputt, doch Bayazeed und sein Bruder, ein Mechatroniker, reparierten es. Bei meterhohen Wellen steuerten sie das Boot seitlich, damit es nicht brach - die Reise dauerte mehrere Stunden.
Angekommen in Griechenland: Tränen vor Erleichterung
Bayazeed dachte, sie schaffen es nicht - bis die Griechen sie retteten. Erst wurden Frauen und Kinder abgeholt. Bayazeed konnte endlich weinen vor Erleichterung. "Ich habe so laut geschrien und geweint, weil ich es nicht glauben konnte. Die Last fiel ab. Wir haben es geschafft."
Von Nigeria bis nach Kirchheimbolanden
Auch Elimian J. (Name geändert) aus Nigeria floh 2016. Zunächst landete er in Libyen, um von dort über das Meer nach Italien zu gelangen. Er konnte sich einen Platz unter mehr als 120 Menschen auf einem Schlauchboot sichern. Elimian J. und andere Geflüchtete waren über zehn Stunden orientierungslos im Meer. Kein Essen. Kein Trinken. "Wir waren so schwach. Es war so heiß", erinnert er sich. Zwölf Menschen starben - darunter zwei Kinder. "Alle Menschen haben geschrien. Die Leichen haben wir nicht ins Meer geworfen. Es war schrecklich", sagt er.
Das Schlauchboot ging kaputt - Wasser gelang ins Innere. Zwei Stunden später retteten die Italiener die Geflüchteten. "Die Freude war in meinem ganzen Körper zu spüren", sagt Elimian J.
Wegrennen vor dem Tod in Nigeria
Elimian J. erzählt, dass Menschen in Nigeria versucht haben, ihn umzubringen. Sein Vater, sagt er, hatte ihnen Geld geliehen - zurückgezahlt wurde nie etwas, trotz Aufforderungen. Irgendwann, so Elimian, hätten sie seinen Vater vergiftet. Er starb. Für die Familie ein riesiger Schock.
Erst vor einigen Tagen tötete die Mafia ein ganzes Dorf. Elimian J.
Elimian J. erbte Haus und Land. Er ist sich sicher: Die Mörder seines Vaters wollten ihm alles nehmen. Er musste sich verstecken, weil sie ihn auch töten wollten. "Das Leben in Nigeria ist schlimm. Kriminalität. Gewalt. Organisierte Banden. Erst vor einigen Tagen tötete die Mafia ein ganzes Dorf", sagt er. Auch in Libyen sei er nicht sicher gewesen: "Die dort wollen uns farbige Menschen nicht haben. Sie wollten uns töten."
Neuanfang in der Pfalz
Alaa Bayazeed macht gerade seinen Doktor in Quantenphysik und arbeitet an der Hochschule in Kaiserslautern. Seine Leidenschaft - sein Studium für Physik - zog ihn nach Kaiserslautern. Heute - zehn Jahre später - hat er das erste Mal über seine Flucht gesprochen. "Ich erinnere mich noch so gut an mein erstes deutsches Essen: Linsensuppe mit Wurst. Wir dachten erst, was ist das? Heute lieb' ich das", lacht er. Er ist sehr dankbar, hier sein zu dürfen: "Meine kleine Tochter spricht sogar pfälzisch."
Elimian geht es ähnlich. Er ist dankbar für die Chancen, die er hier bekommen hat - auch wenn sein früheres Leben Spuren hinterlassen hat. Inzwischen hat er seine Ausbildung als Pflegekraft abgeschlossen und arbeitet in einem Altenheim. Doch er weiß, dass viele Menschen aus Afrika, die nach Deutschland kamen, wieder abgeschoben wurden. "Ich kenne welche, die sich deshalb das Leben genommen haben, weil es in Nigeria keine Perspektiven gibt." Noch fehlt ihm die Kraft, aber sein größter Wunsch ist, eines Tages mit seiner Familie vereint zu sein. "Ich habe so ein Glück, dass ich hier sein darf", sagt er.
Sendung am Fr., 20.6.2025 6:00 Uhr, SWR4 RP am Morgen, SWR4 Rheinland-Pfalz