Michel Friedman, Publizist, spricht bei einer Podiumsdiskussion zum Antisemitismus.

Rheinland-Pfalz Interview: "Demokratie ist ein Kampf um jede einzelne Stimme"

Stand: 13.02.2025 11:39 Uhr

Am 23. Februar ist Bundestagswahl. Vierzig Prozent der Wahlberechtigten sind noch unentschlossen, um die 20 Prozent werden wohl überhaupt nicht wählen gehen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage von wahlkreisprognose.de. Michel Friedman, Moderator des SWR Demokratieforums, findet: Das ist eine Chance für die Demokratie!  

Für ordentlich Wind hat Ex-CDU-Mitglied Michel Friedman gesorgt, als der die Union unter Protest verlassen hat. Hunderttausende sind auf der Straße - es ist Dynamik im Wahlkampf.

In den Umfragen bewegt sich allerdings fast nichts in diesem Winterwahlkampf. Ob Friedrich Merz gemeinsam mit der AfD abstimmt und Demos durch die Straßen ziehen - geändert hat das wenig an den Umfragewerten für die Parteien. Das heißt: Wer weiß, was er will, ist offenbar unerschütterlich. Und diejenigen, die es nicht wissen, sind auch nicht entschlossener als zuvor.

Viele unentschlossene Wähler bringen Dynamik in den Wahlkampf

Der Publizist Michel Friedman sagt: Der Wahlkampf habe eine maximale Emotionalisierung und Polarisierung erreicht - und eine gewaltige Dynamik, denn "alle Parteien wissen, bei einer so hohen Anzahl von Unentschiedenen müssen sie bis zum letzten Augenblick, also kurz bevor die Wahl zu Ende ist, um Stimmen werben. Ich halte das so gesehen als einen sehr dynamischen und positiven Prozess, der deutlich macht, Demokratie ist der Kampf um jede einzelne Stimme. Und 40 Prozent Unentschiedene sind ja schon sehr viele Stimmen", so Friedman.

Friedman: Menschen auf der Straße sind Demokratie

Im Wahlkampf stehen sonst unter bunten Schirmen mit Luftballons und Broschüren Wahlhelfende und lächeln. Diesen Wahlkampf prägt ein anderes Bild: Menschenmassen auf der Straße. Die Demonstrationen sind in den Augen von Friedman vergleichbar mit denen gegen den Nato-Doppelbeschluss Anfang der 80er Jahre. "So, und jetzt passiert ein Tabubruch, durch die CDU hervorgerufen", sagt Friedman, "und wir sehen das jetzt wieder. Dass Millionen Menschen auf die Straße gehen und die Frage beantworten, wollen wir das oder wollen wir das nicht?"

Es ist ein Moment von Politisierung, und Politisierung ist eigentlich Demokratie der Wähler. Michel Friedmann, Publizist und Ex-CDU-Mitglied

Die Menschen gingen auf die Straße und machten sich stark für ihre Sache. Ob das Ganze die Union Stimmen kosten werde, sei dahingestellt, meint Friedman. "Das wissen wir nach der Wahl", sagt Friedman. Er gibt zu bedenken: "Es ist ein Moment von Politisierung, und Politisierung ist eigentlich Demokratie der Wähler, und die Wählerinnen sind der Souverän. Die gehen auf die Straße und sie äußern sich auch in den sozialen Medien, was leider oft oberflächlich und destruktiv ist, trotzdem: Es gibt eine Politisierung und wir hatten zu wenig davon, das muss man auch sehr deutlich sagen."

SWR-Moderator und ehemaliges CDU-Mitglied Michel Friedmann bei einer Demo in Berlin für die Brandmauer.

SWR-Moderator und ehemaliges CDU-Mitglied Michel Friedmann am 2. Februar bei einer Demo in Berlin für die Brandmauer.

Nichts als Migrationsdebatte im Wahlkampf?

Ein Thema dominiert den Wahlkampf seit Wochen: die Migrationsdebatte. Über Umwelt, Bildung, Infrastruktur, Wirtschaft wird kaum noch geredet. Dazu sagt Friedman: "Mit der Entscheidung von Friedrich Merz, billigend in Kauf zu nehmen, dass die AfD Mehrheitsbeschafferin wird, wurde das Thema Migration zum einzigen Thema, über das diskutiert wird - als das hoch emotionalisierende Thema, das alles andere zu überdecken scheint. Man merkt allerdings, dass das Thema Wirtschaft, und darum geht es als ein Schwerpunkt der nächsten Jahre, mehr und mehr auch in den Mittelpunkt kommt, aber das Thema Migration nicht verdrängt. Man könnte - konstruktiv gedacht - beide Themen zusammen zu einem Wahlkampfgesamtprogramm aufbauen."

Michel Friedman - Moderator des SWR Demokratieforums
Beim SWR Demokratieforum streitet Michel Friedman fünfmal im Jahr mit seinen Gästen über Demokratie. Der Jurist, Philosoph und Publizist wurde 1956 in Paris geboren und lebt in Frankfurt. Drei Tage nach der Bundestagswahl lautet das Thema des Demokratieforums: "Letzte Chance für die Demokratie? Was jetzt getan werden muss". Die Veranstaltung auf dem Hambacher Schloss ist ausgebucht. Zu sehen ist das Demokratieforum am Freitag 28.2 und am 9.3. im SWR, außerdem in der ARD Mediathek.

Kritik an Medien in Migrationsdebatte

Die Taten von Magdeburg und Aschaffenburg sind ein Punkt, der Schärfe in die Migrationsdebatte bringt. Michel Friedman nimmt an dieser Stelle aber auch die Medien in die Pflicht und fragt: "Wie viel Raum haben in der Berichterstattung diejenigen bekommen, die migrationsskeptisch sind? Und wie viel Raum bekommen die, die eine irreguläre Migration mit all den Nachteilen aber auch befürworten?" Friedman führt aus: "Auch das muss man sehr differenziert diskutieren. Dass die Tendenz sichtbar ist, dass die Medien es nicht immer geschafft haben, neutral und objektiv wiederzugeben, was in dieser Gesellschaft stattfindet, ist eine Kritik, die sich die Medien immer antun müssen."  

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