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Schleswig-Holstein Fünf Jahre Corona: Was Schulen aus der Pandemie gelernt haben
Anfang 2020 kam das Coronavirus nach Deutschland, im März wurden die Schulen geschlossen. Die Pandemie brachte einen großen Digitalisierungsschub und die Erkenntnis: Schulen sind weit mehr als nur Lernorte.
Cordula Braun hat von ihrem Schreibtisch aus den Schulhof im Blick. Mit dem Pausengong strömen Schülerinnen und Schüler nach draußen, das Stimmengewirr dringt bis in ihr Büro. Ganz anders: Die surreale Stille auf dem Gelände beim ersten Lockdown im März 2020. "Ich stehe in der Schule, wo sonst rund 550 Schülerinnen und Schüler und 45 Lehrkräfte sind - und es ist keiner da, außer der Sekretärin und mir. Das war nicht schön."
Das Ostsee-Gymnasium in Timmendorfer Strand (Kreis Ostholstein) fand sich schon zu Beginn der Pandemie im Ausnahmezustand wieder, erzählt die Schulleiterin. Eine Schüler-Austauschgruppe war auf dem Weg nach Italien, als das Coronavirus im Norden des Landes ausbrach. "Wir mussten uns binnen 24 Stunden mit allem, was diese Pandemie bedeutete, auseinandersetzen. Da war von jetzt auf gleich zu sehen: Was bedeutet das eigentlich für so ein großes Gemeinschaftssystem."

Cordula Braun, Schulleiterin des Ostsee-Gymnasiums in Timmendorfer Strand, sieht sich und die Schule gut vorbereitet, sollte es zu einer neuen Pandemie kommen.
Schülersprecher: Tablets für alle ab Klasse fünf
Um im Lockdown die Schülerinnen und Schüler mit Unterrichtsstoff zu versorgen, hätten die Lehrkräfte viel Zeit und Energie in die Lernplattform "itslearning" gesteckt, so Braun. Bis heute werde die Onlineplattform intensiv genutzt: bearbeitete Themen, Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitungen. Alles sei online leicht zu finden. Cordula Braun, die auch Deutsch und Französisch unterrichtet, arbeitet gerne mit dem Programm. "Man kann so viel gestalten."
Auch Sachin Sachin Amet, Schülerinnen- und Schülersprecher am Ostsee-Gymnasium, ist mit der Lernplattform zufrieden. Er fordert allerdings, dass die Schülerinnen und Schüler noch besser ausgestattet werden: Tablets für alle - schon ab Klasse fünf, nicht erst ab Klasse zehn. "Denn immer noch haben nicht alle einen PC oder Laptop zuhause."
Bildungsforscher Köller: Analoger Unterricht ist in vielen Schulen zurück
Was die die digitale Entwicklung an Schulen angeht, sei man ein großes Stück weiter, sagt Bildungsforscher Olaf Köller vom Leibniz-Institut der Pädagogik der Wissenschaften (IPN) in Kiel. Dennoch hat er den Eindruck, dass vom coronabedingten Digitalisierungsschub nicht mehr viel zu spüren ist. Im Gegenteil: "Drei Jahre nach der Pandemie ist man an vielen Schulen wieder zum analogen Unterricht zurückgekehrt."
Auch im Hinblick auf die Online-Lernplattform "itslearning" sieht er Verbesserungsbedarf. "Was wir eigentlich mehr noch in den Schulen bräuchten, sind gute digitale Tools, die einen Mehrwert erzeugen gegenüber analogem Material, die Schülerinnen und Schülern automatisch Rückmeldungen und Lernhilfen geben, vor allem dort, wo Lehrerinnen und Lehrer keine Zeit dazu haben."

Fehlende Digitalkompetenz und mangelhafte Lernplattformen: Bildungsforscher Olaf Köller sieht Schulen sowie Schülerinnen und Schüler nicht gut auf eine mögliche neue Pandemie vorbereitet.
Digitalkompetenz in achten Klassen ist laut Studie zurückgegangen
Trotz Maul- und Klauenseuche und der Vogelgrippe, die schon auf andere Tiere übergesprungen ist: Eine neue Pandemie stehe nicht im Fokus der Politik, sagt Bildungsforscher Köller. Der Grund: die Dauerkrisen von Ukrainekrieg bis zum Klimawandel. "Wir stehen heute besser da als 2020. Aber wenn die nächste Pandemie kommt, werden wir in Schulen wieder Schwierigkeiten haben, weil die digitalen Lernumgebungen nicht hinreichend entwickelt sind."
Dazu zeigt die aktuelle "ICILS-Studie" (International Computer and Information Literacy Study), dass die digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schüler in den achten Klassen durch die Pandemie nicht zugenommen, sondern im Schnitt sogar leicht abgenommen haben. Besonders bei Jugendlichen, die nicht aufs Gymnasium gehen, in deren Familien kein Deutsch gesprochen wird und die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Das Fazit des Bildungsforschers: Auf Schulschließungen seien auch Schülerinnen und Schüler eigentlich nicht vorbereitet.
Gewerkschaft GEW kritisiert Mangel an Schulpsychologen
Was vielen nach der Corona-Zeit sehr bewusst wurde: Wie wichtig die Schule für soziale Kontakte ist. Nach der Pandemie hat Schulleiterin Cordula Braun an ihrer Schule mehr Depressionen und soziale Auffälligkeiten gesehen. "Gerade bei den Jüngeren, die zu uns kamen und einfach wenig Grundschule hatten." Sollte es wieder zu Schulschließungen kommen, sieht sie zumindest bessere digitale Möglichkeiten als vor fünf Jahren: "Mit unserer Plattform können die Schüler in Gruppen arbeiten und miteinander in Kontakt sein. Und wir würden mehr Nachmittagsangebote und auch soziale Angebote machen."
Das Land hatte 2022 beschlossen, zehn Millionen Euro für mehr Schulpersonal in die Hand zu nehmen - unter anderem für landesweit zusätzlich 15 Schulpsychologinnen und mehr Fachleute in der Schulsozialarbeit. Für Kerstin Quellmann, Co-Vorsitzende der Gewerkschaft Bildung und Entwicklung (GEW) in Schleswig-Holstein, reicht das nicht: "Wir bräuchten deutlich mehr Schulsozialarbeiterinnen und Schulpsychologinnen, um gute Antworten auf die Probleme der Kinder und Jugendlichen zu finden."
Gemeinsames Lernen und Schulfeste sind wichtiger geworden
Gina Marie Habeck aus der Schülerinnen- und Schülervertretung am Ostsee-Gymnasium Timmendorfer Strand weiß das gemeinsame Lernen heute mehr zu schätzen, sagt sie: "Zusammen Hausaufgaben zu machen, fand ich vorher nicht so toll." Das sei jetzt anders. "Ich freue mich auch mehr auf Schulprojekte." Schulleiterin Braun ergänzt: "Wir hatten Traditionen wie den jährlichen Weihnachtsbasar, wir hatten alle zwei Jahre ein Sommerfest, das muss jetzt jedes Jahr sein."
Übernommene Corona-Routinen: Es wird öfter gelüftet
Noch eine Lehre aus der Pandemie: Vielen Schülerinnen und Schülern sei es schwergefallen, sich zuhause allein vorm Rechner zu organisieren. Deswegen werde am Ostsee-Gymnasium das selbständige Arbeiten besonders trainiert, sagt die Schulleiterin. Nicht zuletzt sind auch gewisse Corona-Routinen nach der Pandemie einfach geblieben: "Dass wir immer noch viel regelmäßiger lüften als vorher. Manche Dinge übernimmt man, und Sauerstoff im Lehrraum schadet ja nicht."
Die Forschung arbeite dazu bereits an Möglichkeiten, um bei künftigen Pandemien den Präsenzunterricht in Klassenräumen sicherer zu machen, sagt Bildungsforscher Köller vom IPN. So werde an Lampen mit kurzwelligem Licht geforscht, das infektiöse Aerosole zerstören und damit unschädlich machen kann.
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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 28.01.2025 | 08:00 Uhr