
Schleswig-Holstein Hass und Hetze: Queere Menschen fordern mehr rechtlichen Schutz
Sachbeschädigung, Beleidigung, Körperverletzung: Die Zahl der angezeigten Straftaten gegen sexuelle Minderheiten steigt - auch in Schleswig-Holstein. Betroffene wünschen sich stärkeren rechtlichen Schutz.
Wenn Thorsten Brandt durch Kiel läuft, fühlt er sich sicher. Auch wenn er seinen regenbogenfarbenen Schirm aufspannt oder seinem Partner auf der Straße einen Kuss gibt. Brandt, 56, lebt offen schwul, seit er 21 Jahre alt ist. Bedrohungen oder Anfeindungen im Alltag erlebt er nicht, erzählt er. Aber: Er habe schon das Gefühl, dass sich das gesellschaftliche Klima gegenüber sexuellen Minderheiten zuletzt gewandelt habe, dass die Stimmung in Teilen angespannter werde. "Das macht mich nachdenklich."
An seinem Auto etwa würde er keinen Regenbogenaufkleber anbringen, sagt Brandt. "Da hätte ich schon Angst vor blinder Zerstörungswut." Er meint: "Früher waren es nur einzelne Leute, die gegen Schwule gewettert haben. Mittlerweile ist es eine Art Volkssport geworden." Gerade durch das Internet und die sozialen Medien sei es viel einfacher geworden, anonym gegen sexuelle Minderheiten zu hetzen.

Thorsten Brandt würde sich wünschen, dass queere Menschen in der Landesverfassung explizit geschützt werden.
Für Brandt steht deshalb fest: Queere Menschen sollten vom Gesetzgeber besser geschützt werden. Konkret hieße das: Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung müsse explizit in der Landesverfassung verankert werden. Er sagt, er würde sich wünschen, "dass die Rechte, die wir heute haben, besser festgeschrieben sind." Tatsächlich ist dies in den Verfassungen anderer Bundesländer, etwa Bremen, Brandenburg und Berlin, bereits der Fall - anders als in Schleswig-Holstein.
Gespräche über Verfassungsänderung sind "weit fortgeschritten"
Es ist eine Forderung, die Interessenverbände in Schleswig-Holstein wie der "LSVD+ - Verband Queere Vielfalt" schon lange erheben. Und die in der kommenden Zeit Realität werden könnte. Im Kieler Landtag haben die Fraktionen von FDP, SPD und SSW im Februar einen Antrag eingebracht, die Landesverfassung entsprechend zu erweitern. Man habe sich "darauf verständigt, dass der Antrag in einer gemeinsamen Sitzung von Innen- und Rechtsausschuss und Sozialausschuss beraten werden soll“, erklärt eine Sprecherin der FDP-Fraktion. Der Termin dafür stehe noch nicht fest.
Parallel dazu würden Verhandlungen zwischen den Fraktionen laufen; es gebe bereits einen Formulierungsvorschlag. "Die Gespräche sind schon weit fortgeschritten", heißt es. Bedeutet: Es könnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis queere Menschen auch in der schleswig-holsteinischen Landesverfassung ausdrücklich vor Benachteiligung geschützt werden.
Polizei registriert mehr Hasskriminalität
Dass sexuelle Minderheiten immer wieder zur Zielscheibe werden, zeigt ein Blick in eine Statistik der Landespolizei. Demnach hat die Zahl der angezeigten Delikte, "die aus Hass auf die sexuelle Orientierung und/oder die geschlechtliche Identität verübt wurden", in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. 2023 registrierte die Polizei 68 solcher Fälle. Zum Vergleich: 2022 waren es 44 angezeigte Delikte, 2021 lag die Zahl bei 26. Aktuellere Daten liegen noch nicht vor.
"Wir reden von einem hohen Dunkelfeld", betont Tim Jänke. Er leitet bei der Landespolizei eine Ansprechstelle für queere Menschen. "Die Betroffenen bringen das häufig nicht zur Anzeige." Heißt: Die Zahl der tatsächlichen Straftaten gegen sexuelle Minderheiten dürfte deutlich höher sein als in der offiziellen Statistik. Jänke erklärt: Dass die Fallzahlen zuletzt gestiegen sind, könne damit zu tun haben, dass das Vertrauen von queeren Menschen gegenüber den Behörden gestiegen sei und diese sich öfter an die Polizei wendeten. Er gehe aber davon aus, dass die Hasskriminalität de facto zugenommen habe.
"Queerfeindlichkeit ist gesellschaftsfähig geworden"
Dabei seien die Täter oft keiner bestimmten politischen oder religiösen Ideologie zuzuordnen. "Es zeichnet sich ab, dass Queerfeindlichkeit gesellschaftsfähig geworden ist. Das ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung und spiegelt sich in unseren Fallzahlen wider." Als Beispiele nennt Jänke Straftatbestände wie Beleidigungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Immer wieder würden Menschen auf offener Straße angegangen und Regenbogenbanner zerstört. Den Schutz sexueller Minderheiten in der Landesverfassung zu verankern, hält er persönlich daher für einen wichtigen Schritt.

Tim Jänke von der Landespolizei ist beunruhigt, dass die Hasskriminalität gegen sexuelle Minderheiten zunimmt.
Für die Juristin Anne Dombrowski, die sich beim "LSVD+ - Verband Queere Vielfalt" für eine solche Verfassungsänderung einsetzt, steht fest: Ein solcher Schritt hätte spürbare rechtliche Konsequenzen, würde also über eine reine Symbolpolitik hinausgehen. "Es würde ein Schutzwall geschaffen werden", sagt Dombrowski.
Juristin: Brauchen Zwei-Drittel-Mehrheit
Behörden wie die Polizei, die an die Landesverfassung gebunden seien, könnten dann "konkretere Maßnahmen" treffen, etwa bei der Absicherung von Demonstrationen. "Dann wäre der Ermessensspielraum viel größer. Das wäre eine deutliche Erweiterung des Schutzgegenstands. Und das wäre für das Sicherheitsgefühl der Menschen förderlich", sagt die Juristin.
Sie sei "guter Dinge", meint Dombrowski, dass die Parteien im Landtag schlussendlich einer Verfassungsänderung zustimmen würden; sie könne jedoch nicht abschätzen, wie lange der politische Prozess noch dauere. "Eine Landesverfassung zu ändern, bedarf guter Vorbereitung. Man muss eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen. Das ist deutlich mehr Argumentationsaufwand, als nur ein normales Gesetz zu schaffen."

Die Juristin Anne Dombrowski setzt sich für die Verfassungsänderung ein.
Wunsch nach Akzeptanz statt Toleranz
Letztlich, so formuliert es der Kieler Thorsten Brandt, gehe es bei der Debatte um etwas Grundsätzliches: Dass die Gesellschaft queere Menschen nicht nur toleriere, sondern sie vollends akzeptiere, so wie sie sind. "Ich bin ein schwuler Mann. Ich will mich auch als solcher hinstellen können und sagen: Ja, ich bin schwul." Brandt sagt, er werde auch in Zukunft offen mit seiner sexuellen Orientierung umgehen. Egal was andere denken.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 01.06.2025 | 19:30 Uhr