
Schleswig-Holstein Mölln: Wie die Sanierung der Altstadt Bürger auf die Palme bringt
Die Altstadt von Mölln wird fit gemacht für die Zukunft: klimafreundlich, barrierefrei, modern. Doch der Weg dorthin führt durch eine Großbaustelle. Vielen anderen Kleinstädten in Schleswig-Holstein steht das noch bevor.
Mölln (Kreis Herzogtum Lauenburg) gleicht seit zwei Jahren einer durchgehenden Baustelle. Die Hauptstraße der historischen Altstadt wurde 2023 aufgerissen - und offenbarte einen größeren Sanierungsfall als vermutet: Rotte Rohre, kaputte Kabelage, historische Reste einer alten Stadtmauer. Um das in die moderne Zeit zu überführen, braucht es Geld und Zeit.
Viele Städte in SH verzeichnen Sanierungsstau
Mehr als 13 Millionen Euro kostet die Sanierung im "Projekt Mölln", finanziert von der Stadt, dem Land SH und dem Bund zu je einem Drittel. Und damit wird Mölln zu einem Modell für viele andere Städte in Schleswig-Holstein, die den Sanierungsstau seit Jahren vor sich her schieben.
Mölln soll barrierefrei und klimafreundlich werden
Das Ziel des Möllner Stadtentwicklungsprogramms: Barrierefrei und klimafreundlich zu gestalten, schwärmt Bürgermeister Ingo Schäper (parteilos). Aber seit dem ersten Rammschlag sind viele Bürger von der Baustelle genervt - obwohl sie schon früh einbezogen wurden.
Schäper hat jetzt schon Anfragen von anderen Bürgermeistern, wie so ein Sanierungsfall bestmöglich durchgezogen werden kann und was beachtet werden muss: "Wir können aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz berichten", sagt er, "auch über unsere negativen Erfahrungen. Das ist eine Blaupause. Wir schaffen eine komplett neue Infrastruktur. Das steht anderen Städten noch bevor."
Ärger und Frust bei Bürgerinnen und Bürgern
Ärger und Frust sind bei vielen Bürgern und Bürgerinnen groß, vor allem bei jenen, die in den Nebenstraßen der Altstadt an engen Kopfsteinpflasterstraßen leben. Hier verursachen jetzt die Autokolonnen Lärm und Vibration in den Häusern.
Wenn wir im Bett liegen und morgens um 6.30 Uhr die Lkw kommen, dann wackeln wir im Bett. Es hat vorher keinerlei Probleme gegeben."
— Anwohner T. Polier (möchte Vornamen nicht nennen)
Andere Anwohner erzählen von klapperndem Geschirr und von Rissen in den Wänden ihres Hauses. Polier hat vor drei Jahren saniert und ist sich sicher, dass die Risse verursacht sind durch den Verkehr, vor allem schwerer Geräte. Und die meisten Fahrzeuge seien weder Anwohner noch Zulieferer oder hätten sonstige Berechtigungen in diesen 20er-Zonen zu fahren.
Lars Niederstein spricht für die Initiative betroffener Anwohner, die das Problem nach eigener Aussage immer wieder thematisieren, zum Beispiel beim Bürgermeister oder beim Ordnungsamt: "Der Ärger ist groß, es tritt eine gewisse Desillusionierung ein," konstatiert Niedernstein.
Wir fühlen uns als Anwohner allein gelassen: Die Stadt sagt, Verkehrsberuhigung ist nicht unsere Baustelle, die Polizei sagt, wir haben kein Personal."
— Lars Niederstein, Initiative betroffener Anwohner
Es gebe eine Geschwindigkeitsmessung, aber nachts würden die Autos Gas geben, sagt Lars Niedernstein. "Wenn ein Kamerateam hier steht, halten sich alle an die Geschwindigkeitsbegrenzung."
Verkehr von 305 Fahrzeuge auf über 1.800 gesteigert
Fakt ist: Der Verkehr durch die Nebenstraßen, beispielsweise die Seestraße, hat sich von etwa 305 Fahrzeugen je Tag (2022) auf über 1.800 Fahrzeuge täglich (Ende 2023) vervielfacht. Bürgermeister Schäper sagt dazu: "Mich ärgert, dass die wissen, dass sie hier nicht durchfahren dürfen." Er könne aber nichts machen. Ihn nervt nach eigenen Angaben, dass viele Autos offensichtlich unberechtigt die Seitenstraßen zur Durchfahrt nutzen.
Sanierung in Mölln: Ein Haus rutscht ab
Noch stärker benachteiligt von der Baustelle aber ist der Geschäftsmann Jürgen Landau, dessen Haus nach einer Buddelei in einer Regennacht im Mai 2024 einfach wegrutschte: Die Frontfassade ist seitdem einsturzgefährdet. Er darf das Gebäude nur von hinten und nur bis zu einem Flatterband betreten. Dahinter, in der Einsturzgefahrenzone, stehen Porzellan und Geschenkartikel in den Regalen, fast surreal. Das Geschäft Landau hätte hier in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiern wollen.

In Mölln wird ein Geschäftshaus nach einem Starkregen gestützt, da es droht einzustürzen.
"Ich habe das Geschäft mit 19 Jahren übernommen, bin jetzt über 65 Jahre, hier ist mein Zuhause. Das ist jetzt vorbei. Das tut schon weh." Wenn Landau so spricht, bekommt er feuchte Augen. Sein Laden ist mittlerweile an einem anderen Ort in der Hauptstraße, mit der Stadt habe er sich über den Schaden geeinigt. Aber das Haus ist inzwischen zum Symbol der Baustelle Mölln geworden. Da die Stützen und Ständer bis in die Straße reichen, kommt die Baustelle nur bis dorthin und vorerst nicht weiter. Auch Bürgermeister Schäper fragt sich, wie das passieren konnte.

Das ehemalige Geschäft Landau ist heute eine einzige Baustelle.
Händler in Mölln geben auf
Händler in der Hauptstraße haben aufgrund zurückgehender Kundenzahlen aufgegeben. Die Stimmung ist auch bei den verbliebenen Geschäftsleuten schlecht, die Geduld nahezu aufgebraucht, weil Kunden nicht mehr über die sandigen, vor allem holprigen Fußwege stolpern wollen. Bürgermeister Schäper verbreitet dennoch Optimismus: "Wir können keine Garantie abgeben, dass Händler die Baustelle überstehen und sagen immer: versucht, durchzuhalten. Die Baustelle ist eine Investition auch in eure Zukunft."
Bürgerbeteiligung von Anfang an: Trotzdem herrscht Unzufriedenheit
Die Stadt Mölln hat schon Jahre vor der Baumaßnahme die Bürger einbezogen, zu Info-Abenden eingeladen und den Dialog gesucht. Trotzdem muss Schäper einiges aushalten: "Die größten Kritiker sind im Verborgenen, im Netz. Mir wurde nachgesagt, dass ich durch mein Handeln die AfD fördern würde. Dies und anderes überschreitet Grenzen." Andere Bürgermeister in Schleswig-Holstein werden sich auch auf Probleme vorbereiten müssen, denn der Sanierungsstau im Land ist überall präsent.