
Schleswig-Holstein Neue Grundsicherung: Kann sie "Totalverweigerer" in Arbeit bringen?
Wer künftig zumutbare Arbeit ablehnt, soll nach dem Willen der Bundesregierung künftig stärker sanktioniert werden. Die neue Grundsicherung soll das Bürgergeld ersetzen.
Wenn Cornelia Lang bei der Tafel in Bad Segeberg (Kreis Segeberg) ihre Ration abholt, freut sie sich, wenn - wie an diesem Tag - eine Tüte Chips dabei ist. Die isst sie gerne. Und als Bürgergeldempfängerin muss sie sehr darauf gucken, wie viel sie wofür ausgibt.
Vom regulären Job in den Burn Out ins Bürgergeld
32 Jahre lang verdiente sie ihr eigenes Geld - als Krankenschwester. "Ich habe immer gern gearbeitet", betont sie. Gleichzeitig zog die Bad Segebergerin ihre Kinder groß. Dann geschahen mehrere Unglücksfälle in ihrer Familie - Cornelia Lang bekam ein Burnout, pflegte parallel ihre Eltern, konnte aber in ihrem gelernten Job nicht weiter arbeiten. Sie bekam erst Arbeitslosen- und dann Bürgergeld, fand schließlich einen neuen Job: In Teilzeit arbeitete die 62-Jährige bis vor kurzem in einer Wäscherei. Der Lohn reichte aber nicht zum Leben. Cornelia Lang musste ihn mit Bürgergeld aufstocken.

Der Lohn, den Cornelia Lang in der Wäscherei verdiente, reichte nicht zum Leben. Sie musste ihn mit Bürgergeld aufstocken.
Mehr als 60 Prozent Langzeitbeziehende
Damit ist sie eine von 31.000 Menschen in Schleswig-Holstein. Laut der Agentur für Arbeit ist jeder fünfte Leistungsempfänger Aufstocker. Die Kosten rund um das Bürgergeld lagen 2023 bei rund 1,8 Milliarden Euro in Schleswig-Holstein. Und: Mehr als 60 Prozent der Bürgergeldempfänger sind Langzeitbeziehende.
Neue Grundsicherung soll 2026 kommen
Die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD will diese Zahl nun runterschrauben - mithilfe der neuen Grundsicherung. Die soll ab 2026 das Bürgergeld ersetzen. Zwei zentrale Punkte: Leistungsempfängern, die wiederholt zumutbare Arbeit ablehnen, könnte künftig jegliche Unterstützung gestrichen werden. Die bisherige Schonfrist von einem Jahr, in der Vermögen und Wohnkosten nicht überprüft wurden, soll entfallen. Das würde bedeuten: Leistungsbezieher müssten unter Umständen sofort in günstigere Wohnungen umziehen.
Ausgaben durch Bürgergeld gestiegen
Denn ein Problem des Bürgergelds, das seit 2023 Hartz IV ersetzt, ist: Es ist für den Staat relativ teuer. "Die größte Auswirkung ist, dass die Ausgaben sehr stark angestiegen sind, nämlich bundesweit um fast 20 Prozent auf jetzt 37,6 Milliarden Euro. Wobei natürlich die Inflationsrate auch eine Rolle spielt", sagt Ulrich Schmidt, Ökonom am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.
Madsen: Konsequenzen für die, die nicht kooperieren
"Wenn der Staat jemanden Geld gibt fürs nicht arbeiten, dann ist das natürlich deutlich teurer, als wenn jemand arbeiten geht und Steuern zahlt", sagt Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU). "Wenn jemand überhaupt nicht kooperiert und keine Anzeichen setzt, in Arbeit zu kommen, dann muss es vielleicht auch bis zu 100 Prozent Kürzung geben", so der Minister.
SoVD: Viele erleben Armut als gesellschaftlichen Makel
Totalverweigerer? - Ja, die gebe es, sagt Alfred Bornhalm, Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). "Aber das ist eine wirklich überschaubare Gruppe." Tatsächlich ermittelte die Arbeitsagentur für 2023, dass bundesweit von 1,6 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeld-Empfängern nur 0,86 Prozent Arbeit oder Ausbildungen total verweigerten. Der viel größere Teil der Bürgergeldempfänger wolle arbeiten, sei zum Teil verzweifelt über den rauen Ton in der öffentlichen Debatte zum Bürgergeld, so Bornhalm. "Ich kenne viele, die mit ganz wenigen finanziellen Mitteln zurechtkommen müssen, die auf Urlaub und Auto verzichten, die auf kulturelles und gesellschaftliches Leben verzichten. Weil viele Armut auch als Makel erleben, ist die Tendenz da, dass diese Menschen sich zurückziehen und deshalb auch keine gesellschaftlichen und sozialen Kontakte haben", so Bornhalm.

Viele Bürgergeldempfänger sind verzweifelt über den rauen Ton in der öffentlichen Debatte zum Thema Bürgergeld, sagt Alfred Bornhalm, Präsident des SoVD.
Nicht jeder Job funktioniert
Das erlebt auch Bürgergeldempfängerin Cornelia Lang so. Viele sähen Bürgergeldempfänger per se als Schmarotzer. In diese Schublade wolle sie nicht gesteckt werden, auch deshalb wolle sie unbedingt arbeiten. "Jeden Job kann ich aber nicht machen. Mit Arthrose in den Fingern, könnte ich jetzt nicht ständig irgendwo an der Spüle stehen und und Geschirr spülen. Das ist Akkordarbeit und geht in die Muskeln", erklärt die 62-Jährige.
IfW verweist auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
Man müsse also sehr aufpassen, dass die geplanten Sanktionen der neuen Grundsicherung nicht die Falschen träfen, betont auch Ökonom Ulrich Schmidt vom IfW. "Es gibt natürlich auch viele Leute, die zum Beispiel aufgrund psychischer Erkrankungen gar nicht arbeiten können. Wenn man auf diese Menschen noch mehr Druck ausübt, führt das nicht dazu, dass man diese Person für den Arbeitsmarkt aktiviert." Viel Handlungsspielraum habe die neue Bundesregierung auch gar nicht - aufgrund der strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das stellte 2019 klar, dass eine komplette Streichung der Leistungen verfassungswidrig ist. "Die Koalition will das jetzt so rechtfertigen, dass sie sagt: Jemand, der ein Jobangebot hat, ist nicht mehr bedürftig", so Schmidt. Ob das rechtlich haltbar ist, sei fraglich.

Die Anzahl der Totalverweigerer ist laut Ulrich Schmidt, Ökonom am IfW in Kiel, gering.
Die Anzahl der Totalverweigerer ist sehr gering, das heißt, man erreicht da nur eine sehr geringe Personengruppe."
— Ulrich Schmidt, Ökonom am IfW
Wieder auf Jobsuche
Wie es jetzt für Cornelia Lang weitergeht ist unklar. Die Wäscherei, in der sie bis vor kurzem arbeitete, hat Kurzarbeit angemeldet. Cornelia Lang hat ihren Job dort verloren. Sie sucht also wieder. Ihre größte Angst ist, wieder in ihren alten Beruf als Krankenschwester zurück zu müssen. Den Arbeitsalltag dort würde sie nach ihrem Burnout nicht mehr durchhalten, sagt sie.
Das Leben am Existenzminimum ist für Cornelia Lang Alltag. Für bestimmte Dinge, will sie aber immer Geld haben. "Bisher konnte ich meinem Enkelkind immer noch ein kleines Wassereis kaufen", erzählt sie. Sie hofft, dass sie sich das auch in Zukunft leisten kann - mit der neuen Grundsicherung - oder einem neuen Job.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 09.06.2025 | 19:30 Uhr