
Schleswig-Holstein THW Kiel siegt bei Abschiedsvorstellung von Clubikone Patrick Wiencek
Der THW Kiel hat sich mit einem 36:35 (20:15)-Erfolg gegen Eisenach und auf Platz vier aus der Saison der Handball-Bundesliga verabschiedet. Im Fokus stand jedoch das letzte Spiel von Kreisläufer-Legende Patrick Wiencek. Wobei sich seine Rente durch eine Verletzung von Mitspieler Hendrik Pekeler doch noch mal verschieben könnte.
Der 36-jährige Wiencek wurde nach seinem 492. Erstliga-Spiel mit Standing Ovations von den Fans gefeiert. 17 Jahre nach seinem Debüt in Deutschlands höchster Spielklasse für den TuSEM Essen bestritt der gebürtige Duisburger seinen letzten Einsatz als Profi.
Sein Kontrakt beim THW, für den er seit 2012 auf der Platte stand, wurde nicht verlängert. Zum Abschluss einer titelreichen und bewegten Karriere ging der Publikumsliebling mit seinen Nebenleuten noch einmal durch ein Wellenbad der Gefühle - Happy End inklusiv. "Es hat mir immer unheimlich viel Spaß gemacht, hier zu spielen. Es waren immer Gänsehaut-Momente. Und die werde ich nie in meinem Leben vergessen", sagte Wiencek via Hallenmikrofon.
Pekeler schwer verletzt - bleibt Wiencek doch?
Überschattet wurde die Abschiedsvorstellung des langjährigen Nationalspielers allerdings von der möglicherweise schweren Verletzung seines Kreis-Kollegen Hendrik Pekeler. Wienceks Nebenmann im Mittelblock musste verletzt ausgewechselt werden. Nach ersten Erkenntnissen handelt es sich bei der Verletzung um einen Achillessehnenriss.
Geschäftsführer Viktor Szilagyi sprach am NDR Mikrofon von einem "Schock für uns alle". Es wäre naheliegend, wenn "Rentner" Wiencek doch noch ein paar Monate an seine Karriere dranhängt, sollte Pekeler nun monatelang ausfallen. Ob es aber wirklich so kommt, wollten weder Wiencek noch Szilagyi so kurz nach dem Spiel sagen. "Wir müssen uns erst mal sammeln, das ist ja kein Schnellschuss", sagte Szilagyi.
Wiencek führt Team anstelle von Duvnjak aufs Parkett
Mit seinen Kindern Lotta und Paul an der Hand lief Wiencek im Konfettiregen in die Ostseehalle ein. Kapitän Domagoj Duvnjak hatte dem Kreisläufer diese Ehre generös überlassen. Und natürlich waren, als die Lichter angingen, zunächst alle Augen auf den 2,01 Meter großen und 110 Kilogramm schweren Koloss gerichtet. Die Gesichtszüge des Blondschopfes verrieten in diesen Augenblicken wenig über seinen Seelenzustand.
Der 36-Jährige lächelte mit den Deckenstrahlern um die Wette. Dann streichelte er seinen Kindern sanft über den Kopf und wirkte dabei schon nachdenklicher. Dass ihm in diesen Momenten viele Gedanken durch den Kopf gingen, ist anzunehmen. Denn Kiels "weißer Riese" hatte nach der Ankündigung seines Rücktritts vom Profisport kein Geheimnis daraus gemacht, dass ihm das nahende Ende seiner Profilaufbahn emotional sehr zu schaffen macht.
"Bam-Bam" wird für jedes Tor frenetisch gefeiert
Und nun, da die letzten 60 Minuten als Berufshandballer unmittelbar bevorstanden, zwang sich Wiencek ein letztes Mal zu der eisernen Selbstdisziplin, mit der er es überhaupt erst zu einem der besten deutschen Kreisläufer aller Zeiten geschafft hatte. Auch dieses letzte fürs Tableau bedeutungslose Spiel wollte der gebürtige Duisburger mit der Malocher-Mentalität noch gewinnen. Unbedingt sogar, wie sich sofort nach dem Anwurf zeigte.
THW Kiel - ThSV Eisenach 36:35 (20:15)
Tore THW Kiel: Madsen 8, Johansson 6, Wiencek 6, Duvnjak 4, E. Ellefsen a Skipagotu 3, Imre 3/1, M. Landin 3, Dahmke 1, Pekeler 1, Överby 1
ThSV Eisenach: Grgic 9/2, S. Mengon 7, Attenhofer 6, Donker 4, Reichmuth 3, Vistorop 3, Hangstein 1, Snajder 1, Walz 1
Zuschauer: 10285 (ausverkauft)
Deutschlands "Handballer des Jahres 2018" ging von Beginn an mit der ihm eigenen Dynamik und Wucht auf der Platte zu Werke. Nach knapp zweieinhalb Minuten erzielte "Bam-Bam", wie Wiencek in Anlehnung an den Sohn von Barney Geröllheimer aus der TV-Serie "Familie Feuerstein" gerufen wird, seinen insgesamt 995. Bundesliga-Treffer zum 2:2-Ausgleich.
Bald darauf folgte ein weiteres Tor zum 5:3. Als die THW-Legende später auf 16:9 erhöhte (23.), deutete vieles darauf hin, dass die Kieler beim letzten Tanz von "Piet" in der Ostseehalle einen Sieg feiern würden. Und der nach jedem Tor von den "Zebras"-Fans gefeierte Wiencek? Er ballte nach seinen "Buden" die Fäuste und blickte dabei so konzentriert drein, als würde es für sein Team noch um den Champions-League-Sieg gehen.
"Eine der größten Kiel-Legenden aller Zeiten"
Zweimal hat der Abwehrspezialist mit den Norddeutschen die "Königsklassen"-Trophäe an die Waterkant geholt. Sechsmal wurde der 36-Jährige Meister, fünfmal Pokalsieger und einmal EHF-Pokal-Gewinner. Hinzu kommt Olympia-Bronze 2016 in Rio mit der DHB-Auswahl, für die er 159 Mal auflief. Wenn Für THW-Manager Viktor Szilagyi und Coach Filip Jicha von "einer der größten Kiel-Legenden aller Zeiten" sprechen, ist das also nicht übertrieben, sondern eine sachliche Feststellung.
Pekeler verletzt raus - Verschiebt sich Karriere-Ende?
Dennoch hat der Rekordchampion den auslaufenden Vertrag mit Wiencek nicht verlängert. Stattdessen erhielt Pekeler ein neues Arbeitspapier. Der Mann aus Itzehoe verletzte sich Mitte des ersten Abschnitts allerdings am Fuß, musste gestützt in die Kabine gebracht werden (19.) und könnte länger ausfallen. Sollte der Routinier monatelang fehlen, könnte sich das Karriere-Ende von Wiencek möglicherweise doch noch herauszögern.

THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler verletzte sich am Fuß und musste gestützt in die Kabine gebracht werden.
Eigentlich soll sein Arbeitsplatz künftig aber die Geschäftsstelle des THW sein. Zudem wird er als Repräsentant des Clubs gewiss viele Punkte für sein Miles-and-More-Konto sammeln. Bevor sich der sanftmütige Riese aber ganz seiner Karriere nach der Handball-Laufbahn widmen wird, steht am 25. Juli noch sein Abschiedsspiel unter dem Motto "Ahoi Patrick" an. Natürlich in seinem "Wohnzimmer", der Ostseehalle. So ist der Plan. So ist bereits alles organisiert. Nun aber könnte wegen der Pekeler-Verletzung alles anders kommen.
Eisenach wird zwischenzeitlich zum Partycrasher
Die Verletzung des Abwehrchefs schlug den Kielern aufs Gemüt. Nach dem Seitenwechsel war von der Leichtigkeit des ersten Abschnitts bei ihnen zunächst nicht mehr viel zu spüren. Eisenach holte Tor um Tor auf und konnte durch Simone Mengon zum 23:23 ausgleichen (38.). Kurz darauf sorgte Marko Grgic sogar für die Führung der Thüringer (26:25/39.).
Was von THW-Seite als rauschender Wiencek-Abschied geplant war, avancierte nun zu einer Art Fete mit ungebetenen Gästen. Der ThSV war nun genau der Partycrasher, vor dem sich Rekordmeister bei der Abschiedsvorstellung seines Kult-Kreisläufers gefürchtet hatte.
Wiencek gibt im wahrsten Sinne des Wortes letztes Hemd
Doch dank Keeper Andreas Wolff, der Tomas Mrkva (wechselt nach Leipzig) im Tor abgelöst hatte, sowie einer Leistungssteigerung wendeten die Schleswig-Holsteiner eine Pleite ab. Wiencek gab dafür wie immer sein letztes Hemd. Und in diesem Fall sogar im wahrsten Sinne des Wortes. In der 49. Minute zog der 36-Jährige sein Trikot aus. Nicht, um wie auf so manch anderer Abschiedsfete durchaus gängig nackt für seine Gäste zu tanzen, sondern weil ein paar Blutspritzer auf dem Jersey waren.
Mit neuem Oberteil warf sich der Koloss sofort wieder ins Geschehen. Und eineinhalb Minuten vor Ultimo ließ "Bam-Bam" dann mit seinem 1.000. Bundesliga-Tor zum 35:33 die Halle beben.
Eisenach-Coach Kaufmann mit großer Geste
Sekunden später nahm Misha Kaufmann eine Auszeit, damit das Publikum Wiencek nach seinem Jubiläums-Tor gebührend feiern konnte. Eine tolle Geste des Gäste-Coaches. Alle Zuschauer erhoben sich von ihren Sitzen und spendeten dem Kreisläufer donnernden Applaus. Der 36-Jährige verneigte sich mehrfach vor den Anhängern und wirkte in diesen Momenten sehr ergriffen.
Kurz darauf ertönte die Schlusssirene. Wiencek wurde nun von seinen Teamkameraden geknuddelt und nahm die Glückwünsche mit einem breiten Lächeln im Gesicht entgegen. Das, was an diesem Nachmittag geschehen ist, wird er bald verarbeitet haben. Das, was in seinen 17 Profi-Jahren alles passiert ist, wird "Bam-Bam" gewiss noch sehr lange beschäftigen. Und es bleibt im deutschen Handball unvergessen.
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Schleswig-Holstein Magazin | 08.06.2025 | 19:30 Uhr