Gedruckte Exemplare des Verfassungsschutzberichts 2024 für Schleswig-Holstein liegen auf einem Tisch.

Schleswig-Holstein Verfassungsschutz: Höchststand bei politisch motivierten Straftaten

Stand: 05.06.2025 16:17 Uhr

Fast 200 Seiten lang ist der Verfassungsschutzbericht 2024 - und er zeigt: Auch in Schleswig-Holstein gibt es einen deutlichen Anstieg bei den politisch motivierten Straftaten. Die meisten Gewalttaten haben Rechtsextreme verübt.

Von Constantin Gill

Die politische Lage ist angespannt. Weltweit, aber auch in Schleswig-Holstein: 2.677 Straftaten mit politisch motivierter Kriminalität (PKM) hat der Verfassungsschutz gezählt. Fast 1.000 mehr als im Vorjahr sind es dem Verfassungsschutzbericht zufolge. Und damit so viele wie noch nie.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) spricht von einer "besorgniserregenden Entwicklung", der man mit Entschlossenheit und konsequentem Handeln begegnen müsse.

Es ist unerlässlich, dass wir allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen und jeglicher Form von Gewalt entschlossen entgegentreten."
— Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU)

Betroffen sind etwa...

  • Amts- und Mandatsträger: Hier geht es vor allem um Beleidigungen. 229 Taten zählte der Verfassungsschutz - mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
  • Jüdinnen und Juden: 126 antisemitische Straftaten gab es im vergangenen Jahr, vor allem im Bereich der Volksverhetzung - das sind 11 Taten mehr als im Vorjahr.
  • Die politischen Gegner: Angehörige des rechten und linken Spektrums greifen sich gegenseitig an.
  • Der Staat und die Demokratie: Laut Verfassungsschutzbericht wächst die Bedrohung durch Spionage und Cyberangriffe. Die Gefahr durch Islamisten bleibt abstrakt hoch.

Die Gewalt kommt von...

... rechts: 65 Gewalttataten wurden laut Bericht von Rechtsextremen verübt. Das sind zwar weniger als im Vorjahr, laut Verfassungsschutz liegt das aber vor allem daran, dass es 2023 ein Rechtsrockkonzert in Neumünster gab, bei dem allein 23 Gewaltdelikte registriert wurden. Die Zahl der rechten Straftaten insgesamt stieg um mehr als die Hälfte auf gut 1.500.

... links:

27 Gewalttaten gab es aus dem linksextremistischen Spektrum. Bei 265 Straftaten insgesamt - auch hier eine Steigerung gegenüber 137 im Vorjahr.

Was gilt überhaupt als politisch motivierte Gewalt?
  • Das BKA definiert sie als die Taten, "die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt" und zählt dazu nicht nur Körperverletzungen oder Tötungsdelikte, sondern auch etwa Brandstiftungen, Landfriedensbruch oder gefährliche Eingriffe in den Verkehr.
  • Im Verfassungsschutzbericht 2024 für Schleswig-Holstein werden unter rechtsextremer Gewalt vor allem Körperverletzungen genannt (61 von 65 Fällen), unter den 23 Fällen linksextremer Gewalt sind 6 gefährliche Körperverletzungen, 5 einfache Körperverletzungen, 11 tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, 3 Brandstiftungen und 2 gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. 11 von 13 Straften in der Stadt Kiel stehen laut Verfassungsschutz in Zusammenhang mit dem Protestcamp "Rheinmetall entwaffnen."

Die Gewalttaten sind regional unterschiedlich verteilt

Vor allem in Kiel gab es einen starken Anstieg der Gewalttaten. Laut Verfassungsschutz lag das vor allem an Straftaten, die rund um die Demos der linken Gruppe "Rheinmetall entwaffnen" begangen wurden. In Neumünster ging die Zahl wegen des schon erwähnten Rechtsrockkonzerts im Vorjahr zurück. Der Anstieg in Segeberg, Ostholstein und Dithmarschen ist auf alle Bereiche bezogen.

Gewaltpotential auch bei Islamisten und Reichsbürgern

Bei sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern sieht der Verfassungsschutz einen Zulauf und eine "latente Gewaltbereitschaft" und damit eine ernsthafte Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Eine abstrakte Gefährdung geht demnach vom islamistischen Terrorismus aus. Von 30 Straftaten im Bereich der religiös motivierten Straftaten zählt der Verfassungsschutz vier Gewalttaten. Weil junge Menschen häufig online rekrutiert werden, will das Land auch islamistische Influencer stärker in den Blick nehmen.

Und was ist mit der AfD?

Weil die juristische Auseinandersetzung um die Einstufung der Partei als rechtsextremistisch auf Bundesebene noch nicht abgeschlossen ist, will die Innenministerin über den Landesverband in Schleswig-Holstein noch nichts sagen. Die AfD taucht aber im Verfassungsschutzbericht in Zusammenhang mit dem "Tag des Vorfelds" auf - einer Veranstaltung "unter Beteiligung zahlreicher Personen, Medien und Organisationen aus dem rechtsextremistischen Spektrum" in Neumünster im Juli 2024. "Ein Treffen von Akteuren der Neuen Rechten in dieser Besetzung und Größe gab es so bislang noch nicht in Schleswig-Holstein", heißt es weiter im Bericht.

Eben diese "Neue Rechte" macht der Innenministerin im Bereich Rechtsextremismus die größten Sorgen.

Anstieg der Straftaten: Was ist das richtige "Gegengift"?

Die Zahlen sind für den SSW im schleswig-holsteinischen Landtag Beleg dafür, dass das "Gift" wirkt: Die "Neue Rechte" organisiere keine Straßenschlachten, sondern Sprachverschiebung. Deshalb fordert der SSW:

  • mehr Aufklärung an Schulen und im Internet, sowie eine härtere strafrechtliche Verfolgung von Hetze.

Auch der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook sagt: "Taten folgen Worten." Deshalb brauche es:

  • Entschlossenheit, auch wenn es nur um ausländerfeindliche Gesänge geht - und Rückendeckung für die Sicherheitsbehörden, auch in Zeiten klammer Kassen.

Die CDU-Abgeordnete Marion Schiefer betont, dass man den Verfassungsschutz personell gestärkt habe. Sie nennt als Rezept gegen die steigenden Zahlen bei der politischen Kriminalität:

  • "eine starke Sicherheitsarchitektur, entschlossenes Behördenhandeln und eine Gesellschaft, die wachsam bleibt."

Und Jan Kürschner von den Grünen nennt:

  • "eine klare Haltung, mehr Aufklärung, bessere Prävention und eine konsequente Strafverfolgung."

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Bernd Buchholz sieht nicht nur den Verfassungsschutz in der Pflicht:

  • "Es ist auch Aufgabe der Politik und der Gesamtgesellschaft, die entsprechenden Vorfälle anzuzeigen, aufzuarbeiten und sich klar dagegen zu positionieren."

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betont, wie wichtig Prävention sei. Laut dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Sven Neumann muss der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein aber personell und technisch aufgebaut werden, auch um einer Radikalisierung im Netz entgegenzutreten:

  • "sonst verpuffen die bisherigen guten, wenn auch zaghaften Ansätze."

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 05.06.2025 | 14:00 Uhr