
Kunststoffproduktion Plastikindustrie verfehlt Recyclingziel deutlich
Die europäische Plastikindustrie hatte angekündigt, das Recycling von Plastik bis 2025 deutlich zu steigern. Nach NDR-Recherchen wird dieses Ziel aber weit verfehlt. Damit gerät auch das Klimaziel der Branche in Gefahr.
Bis 2050 will die Plastikindustrie klimaneutral werden. Das haben Branchenvertreter in den vergangenen Jahren immer wieder verkündet, etwa auf dem Weltwirtschaftsforum 2022. Die Herausforderung ist riesig. Die Produktion und Entsorgung von Plastik verursacht viel Treibhausgas - pro Tonne Kunststoff etwa fünf Tonnen CO2. Denn Plastik wird hauptsächlich aus Erdöl hergestellt. Dazu ist viel Energie nötig, die zum großen Teil aus Erdgas stammt. Und am Ende wird Plastik meist verbrannt oder landet in der Umwelt.
Insgesamt verursachen Kunststoffe rund fünf Prozent der weltweiten Treibhausgase - etwa doppelt so viel wie der globale Flugverkehr, Tendenz steigend. Bis 2060 - so eine OECD-Prognose - soll sich der Plastikverbrauch verdreifachen. Wie also will die Industrie es schaffen, klimaneutral zu werden?
Plastik lässt sich schwer recyceln
Ein wichtiger Plastikhersteller ist der größte Chemiekonzern der Welt: BASF. An seinem Standort in Ludwigshafen legen ständig neue Tankschiffe an. Sie bringen Öl, das dort zu Chemikalien verarbeitet wird, die zentral sind für die Plastikherstellung.
Auch BASF will bis 2050 klimaneutral werden. Auf der Hauptversammlung 2023 erklärte der damalige Konzernchef Martin Brudermüller, wie es gehen soll: "Indem wir Strom aus Erdgas durch Grünstrom ersetzen. Statt fossile Rohstoffe nehmen wir nachwachsende, abfallbasierte oder recycelte Rohstoffe."
Klingt einfach, doch allein der Ersatz von Gas durch grünen Strom ist eine gigantische Aufgabe. Noch schwieriger ist es, das Erdöl als Rohstoff zu ersetzen. Eine Möglichkeit ist, Kunststoffe aus Pflanzen herzustellen, etwa aus Mais. Doch die stehen nur begrenzt zur Verfügung, weil sie mit dem Anbau von Nahrungsmitteln konkurrieren. Bisher wird weniger als ein Prozent des Plastiks so hergestellt.
Eine weitere Möglichkeit ist, Plastik zu recyceln. Doch längst nicht alle Kunststoffe lassen sich einfach schreddern, einschmelzen und neu verwenden - also mechanisch recyceln. Denn oft bestehen sie aus unterschiedlichen Plastiksorten und enthalten verschiedenste Chemikalien. Bislang werden weltweit weniger als zehn Prozent des Plastiks aus alten Kunststoffen hergestellt, auch in Europa sind es nur etwa 15 Prozent.
"Chemisches Recycling" als Lösung?
Seit einigen Jahren wirbt und lobbyiert nun die Plastikindustrie für eine angeblich weitere Lösung, das "chemische Recycling". Damit werden unterschiedliche Verfahren bezeichnet, bei denen etwa durch große Hitze das Plastik wieder zu Öl umgewandelt wird. Sie seien "ein Schlüsselelement für die Erreichung der Treibhausgasneutralität", heißt es in einem gemeinsamen Papier des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und dem Branchenverband Plastics Europe aus dem Jahr 2022.
Plastics Europe hatte kurz zuvor angekündigt, dass seine Mitgliedsunternehmen - darunter BASF - Milliarden in solche Verfahren investieren würden. Im Jahr 2025 sollten 1,2 Millionen Tonnen neue Kunststoffe mit chemischem Recycling produziert werden. 2023 reduzierte der Verband die Prognose auf 900.000 Tonnen. Doch auch dieses Ziel wird nach NDR-Recherchen weit verfehlt. 2024 waren es demnach deutlich weniger als 100.000 Tonnen. Dieses Jahr kann es nicht viel mehr werden. Wie groß die Menge genau ist, kann niemand sagen. Alle Angaben beruhen auf Schätzungen.
Hohe Kosten, technologische Rückschritte
Der NDR hat Marktstudien und wissenschaftliche Veröffentlichungen analysiert, viele Gespräche mit Industrievertretern, Wissenschaftlern und Analysten geführt sowie Medienberichte, Pressemitteilungen und Geschäftsberichte zu rund 100 geplanten Projekten für chemisches Recycling in Europa ausgewertet. Nur wenige davon wurden wirklich gebaut. Bei manchen angekündigten Anlagen scheint sich seit Jahren nichts getan zu haben. Andere wurden verschoben, einige offiziell gestoppt - wie etwa eine geplante Großanlage in Sachsen. Und die vorhandenen laufen offenbar längst nicht auf vollen Touren.
"Aktuell wird noch sehr wenig Kunststoff aus chemischem Recycling hergestellt", räumt die Geschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland, Christine Bunte, im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama ein. Das liege an den Kosten und der mangelnden Nachfrage sowie an technologischen Rückschritten, so Bunte.
BASF nutzt wenig Recycling-Material
Auch BASF nutzt viel weniger Recycling-Material als angekündigt. Ab 2025 wollte der Konzern jährlich 250.000 Tonnen Rohstoffe verarbeiten, die aus Kunststoffabfällen oder Altreifen stammen. Im Jahr 2024 waren es laut Jahresbericht aber nur 11.300 Tonnen. Auf Anfrage des NDR zeigt sich das Unternehmen dennoch optimistisch: "BASF bleibt trotz einiger Herausforderungen entschlossen, fossile Rohstoffe durch recycelte Ressourcen zu ersetzen."
Das wird nicht einfach. Denn große Anlagen für chemisches Recycling "sind sehr, sehr schwierig zu realisieren - tatsächlich so schwierig, dass wir es noch nicht hinbekommen haben", sagt die Ingenieurin für technischen Umweltschutz, Kerstin Kuchta, von der Technischen Universität Hamburg. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit diesen Verfahren.
Ein großes Problem ist, dass die Zusammensetzung des Abfalls nie gleich ist. Oft ist das Plastik feucht oder verdreckt und enthält verschiedenste Stoffe. Und die chemischen Reaktionen seien bei Veränderungen sehr sensibel, sagt Kuchta. "Technisch ist das nicht beherrschbar im Moment, und ich würde auch sagen, nicht in den nächsten 20 Jahren."
Experte: Klassisches Recycling ausbauen
Außerdem ist beim chemischen Recycling das gewonnene Öl oft zu dreckig, um es für die Herstellung von neuem Plastik zu verwenden. Es wird deshalb teils als Brennstoff genutzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass unter optimalen Bedingungen höchstens die Hälfte des Ursprungsmaterials wieder zu neuem Kunststoff verarbeitet werden kann. Kerstin Kuchta schätzt, dass die Quote noch niedriger ist, vielleicht bei zehn Prozent. "Zehn Plastiktüten gehen rein, eine kommt raus. Das reicht nicht, um zu sagen, wir haben einen wirklichen Kreislauf."
Auch der Ökonom Henning Wilts vom Wuppertal-Institut ist skeptisch. "Jeder, der verspricht, dass chemisches Recycling unser Plastikproblem löst, der verkennt für welch kleine Mengen das eigentlich sinnvoll ist und welche Investitionen dafür notwendig wären." Es sei zwar ein kleiner, wichtiger Baustein, "aber es löst nicht unser Plastikproblem." Wichtiger sei, das klassische Recycling auszubauen und vor allem eines: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menge an Plastik, die wir produzieren, noch weiter ansteigt", sagt Wilts.
Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Die globale Produktion stieg zuletzt laut Plastics Europe im Schnitt um mehr als zehn Millionen Tonnen pro Jahr. So wird der Bedarf an Erdöl eher noch wachsen.
Industrie verfehlt wohl Recyclingziele
Auch der Ausbau des klassischen, mechanischen Recyclings kommt nicht so schnell voran wie geplant. 2018 hatte die EU-Kommission eine "Circular Plastics Alliance" gestartet mit dem Ziel, im Jahr 2025 insgesamt zehn Millionen Tonnen recyceltes Plastik in der EU zu nutzen. Viele Unternehmen sagten zu, das zu unterstützen. Doch nach NDR-Recherchen ist sehr unsicher, ob das Ziel noch zu erreichen ist. 2022 lag die Marke bei weniger als sieben Millionen Tonnen. Und seit 2023 ist die Nachfrage nach recyceltem Plastik und damit auch dessen Produktion ins Stocken geraten, weil neues Plastik aus Erdöl billiger ist.
Der Jurist Helmut Maurer, der bis 2022 in der EU-Kommission gearbeitet hat und dort unter anderem für die Plastikpolitik zuständig war, sieht deshalb die Werbung für das chemische Recycling als reine "Imagekampagne". "Es geht darum, den Menschen weiszumachen, dass chemisches Recycling ein Problem lösen kann, das mechanisches Recycling noch nie lösen konnte, auch in Zukunft nicht lösen wird. Und dass die Überproduktion von Plastik kein Problem darstellt." Es gebe nur einen Weg zur Klimaneutralität, sagt Maurer. "Wir müssen reduzieren."