Eine Außenansicht des Obersten Gerichtshofs Russlands in Moskau.

Russlands hybrider Krieg Wenn Wissenschaftler zu "Extremisten" gemacht werden

Stand: 17.04.2025 05:44 Uhr

Russlands hybrider Krieg trifft auch die Wissenschaft. Zwei deutsche Forschungsorganisationen sind in Moskau als "unerwünscht" und "extremistisch" eingestuft worden. Das hat massive Folgen.

Von Torsten Mandalka, RBB

Hacker-Angriffe auf die IT-Systeme einer wissenschaftlichen Einrichtung und eine Morddrohung gegen einen Osteuropa-Historiker beschäftigen derzeit die deutschen Sicherheitsbehörden. Reise- und Forschungsbeschränkungen bis hin zu Kontaktverboten für russische Kooperationspartner prägen mehr und mehr die wissenschaftliche Arbeit zu Russland und Osteuropa. In all dem sehen Experten Auswirkungen des hybriden Krieges, den Russland inzwischen auch gegen die Wissenschaft führt.

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes handelt es sich dabei um "ein systematisches Vorgehen Russlands gegen deutsche Institutionen mit Osteuropa-Expertise". Dazu gehört auch, dass im Juli vergangenen Jahres die traditionsreiche Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) vom Obersten Gerichtshof in Moskau als "extremistisch" gelistet wurde. Die DGO ist ein Netzwerk von rund 1.000 Wissenschaftlern, die sich mit Osteuropa beschäftigen. Ihre Geschichte reicht mehr als 100 Jahre zurück. Sie hat eng mit russischen Wissenschaftlern zusammengearbeitet. Gabriele Freitag, die Geschäftsführerin der DGO, hat bis heute keine offizielle Mitteilung seitens der russischen Behörden bekommen. Sie erfuhr von der Listung aus dem Netz.

Drohung mit Haftstrafen bis zu zwölf Jahren

Die Einstufung "extremistisch" hat massive Folgen für alle, die mit der DGO zusammenarbeiten. Russland bedroht sie mit Haftstrafen von bis zu zwölf Jahren. Deutsche Sicherheitskreise haben zudem Erkenntnisse darüber, dass jede Person, die der Zusammenarbeit mit der DGO bezichtigt wird, finanziell belangt werden kann: Ihr Vermögen kann eingefroren werden, sie darf dann keinerlei finanzielle Transaktionen mehr tätigen. Selbst die Nutzung einer Bankkarte kann verboten werden. Und: auch die Konten von Verwandten solcher Personen können gesperrt werden.

Die Bedrohung trifft nicht nur russische Staatsbürger, sondern auch deutsche Forscher. Susan Worschech ist die Koordinatorin des Kompetenz-Netzwerks Ukraine an der Viadrina in Frankfurt/Oder und Mitglied im Vorstand der DGO. Im Interview mit rbb24 Recherche sagt sie: "Ich würde auf keinen Fall jetzt in Richtung Russland, Belarus, Kasachstan, Georgien oder in andere Länder reisen, bei denen ich damit rechnen muss, dass beispielsweise Auslieferungsabkommen oder eben eine geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Russland stattfindet. Das ist wirklich gefährlich." Das Auswärtige Amt bestätigt eine solche Gefährdung: "Es wird bewusst eine Atmosphäre der Angst und der Isolation geschaffen", heißt es auf Anfrage.

Eine Situation wie "unter Stalin"

Konkrete Fälle gibt es bereits: Jan Claas Behrends, ein auf Russland spezialisierter Historiker an der Viadrina, bekam im Dezember eine Morddrohung per Brief. Die Urheber sind bis heute nicht ermittelt. Auch Behrends ist Mitglied der DGO und weiß um die Gefahr von Reisen in bestimmte Gebiete: "Das ist natürlich schon eine Einschränkung, die auch bis weit in den persönlichen Bereich hineingeht, ob man Freunde in Belgrad besucht oder ob man da an Konferenzen teilnimmt." Für den Historiker haben die aktuellen Maßnahmen der russischen Regierung ein Vorbild: "Das ist im Prinzip eine Situation wie in den 1930er-Jahren unter Stalin. Wir haben so etwas 50, 60 Jahre nicht mehr gehabt."

Sollten jetzt deutsche Wissenschaftler auf Reisen oder russische Kooperationspartner in Schwierigkeiten geraten, gibt es außerhalb der oft wenig aussichtsreichen konsularischen Bemühungen kaum Möglichkeiten zu helfen. "Wir haben es mit einer bestimmten Form skrupelloser hybrider Kriegsführung zu tun", sagt Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-Politiker und jetzt Präsident der DGO, "wonach der Einzelne, der da in die Mühlen gerät, ja erst mal wirklich in diesen Mühlen ist."

Einschüchterung nach innen und außen

Zwischen die Mühlsteine der russischen Wissenschafts-Kriminalisierung ist inzwischen auch die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) geraten. Der außenpolitische Thinktank mit 70-jähriger Geschichte wurde Mitte März als "unerwünscht" eingestuft. "Damit wird die DGAP Teil einer wachsenden Liste von jetzt 207 Organisationen, die in Russland 'unerwünscht' sind", heißt es in einer Pressemitteilung der DGAP. Insgesamt seien aktuell 27 deutsche Einrichtungen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft betroffen.

Auch der DGAP-Direktor Thomas Kleine-Brockhoff, ein ehemaliger Politikberater und Journalist wurde bis heute nicht offiziell über die Maßnahme informiert: "Es ist nicht so, dass man da einen Brief kriegt von der Moskauer Staatsanwaltschaft. Die setzen das einfach in die Welle. Das ist dann so." Für Kleine-Brockhoff ist die Einstufung vor allem ein Repressionsinstrument nach innen: "Es richtet sich nicht so sehr gegen uns, denn sie haben ja nicht den Zugriff auf uns in der Bundesrepublik, sondern gegen unsere Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Die sollen eingeschüchtert werden. Die müssen nun Repressalien fürchten, wenn sie mit uns zu tun haben."

Hacker-Angriffe und Spionage

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schätzt, dass die kriminalisierten Organisationen inzwischen konkrete Ziele russischer Agenten sind: "Grundsätzlich stehen solche Organisationen auch im Fokus russischer Nachrichtendienste. Dabei ist z.B. mit Phishing Angriffen, Spionage mit menschlichen Quellen oder Desinformation zu rechnen." Das BfV betont aber auch, dass es nicht nur gelistete Institutionen treffen kann, sondern alle deutschen Stellen, "die zu Fragen tätig sind, die z.B. Machtabsicherung oder Expansionsabsichten des Kremls tangieren."

Die DGO jedenfalls hat in den vergangenen Monaten bereits mit zwei Hacker-Angriffen zu tun gehabt, die nach Aussagen von Experten aus dem "Umfeld russischer Dienste" kamen. "Das sind direkte Versuche, Forschung zu verhindern, die in Russland als missliebig betrachtet wird, weil sie kritisch, weil sie offen, weil sie ehrlich ist, weil sie hinterfragt und auch, weil sie deutlich ist", sagt DGO-Vorstandsmitglied Susann Worschech.

Angriff auf die deutsche Regierung

Zur Einstufung der DGO äußert sich die russische Botschaft in Berlin auf Anfrage von rbb24 Recherche nicht, zur Listung der DGAP als "unerwünscht" verweist sie auf eine Erklärung der russischen Generalstaatsanwaltschaft. "Seit Beginn der militärischen Sonderoperation fordert die Organisation eine Erhöhung des Sanktionsdrucks auf unser Land", heißt es dort, "und versucht, die innenpolitische Situation in Russland zu untergraben." Dass die DGAP die politische Führung in Deutschland berät, findet in der Erklärung explizit Erwähnung.

Die DGAP wird zu 27 Prozent durch Bundeszuschüsse gefördert. Für die DGO ist das Auswärtige Amt der wichtigste Geldgeber. "Nach russischer Gesetzgebung macht sich damit auch das Auswärtige Amt strafbar", erläutert Susann Worschech, "indem es uns mitfinanziert. Ich glaube, da braucht es sowohl beim Auswärtigen Amt als auch in der Politik ein Bewusstsein dafür, dass es sich hier nicht nur um Angriffe auf einzelne Organisationen handelt, sondern in letzter Konsequenz um Angriffe gegen die Regierung."

Doch in Zeiten des Krieges und der belasteten diplomatischen Beziehungen sind auch dort die Mittel begrenzt. "Das Auswärtige Amt fordert von der russischen Seite die Aufhebung der Einstufung und die Kriminalisierung und Verfolgung wissenschaftlicher Arbeit einzustellen", teilt das Ministerium auf Anfrage von rbb24 Recherche mit. "Dies erfolgt beispielsweise in bilateralen Gesprächen auf Botschafterebene, mittels offizieller Verbalnoten an das russische Außenministerium oder in sonstiger Weise." Der russische Botschafter sei zuletzt am 27. März zu einem "dringenden Gespräch" ins Auswärtige Amt gebeten worden, "um gegen Russlands systematisches Vorgehen gegen deutsche Institutionen mit Osteuropaexpertise zu protestieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 17. April 2025 um 06:43 Uhr.