Alexander Dobrindt unterhält sich bei seinem Besuch an einer Grenzkontrollstelle mit Polizeibeamten.
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Rechtswidrige Zurückweisungen Ein gruseliges Rechtsverständnis

Stand: 03.06.2025 11:29 Uhr

Das Berliner Verwaltungsgericht hat im Eilverfahren festgestellt: Die Zurückweisung von Asylbewerbern an den Grenzen ist rechtswidrig. Wie Innenminister Dobrindt nun damit umgeht, ist besorgniserregend.

Ein Kommentar von Bianca Schwarz, ARD-Hauptstadtstudio

Zurückweisungen von Asylbewerbern an deutschen Grenzen kann man gut, falsch, effektiv oder unsinnig finden. Aber hier geht es um den Stil, um das Wie. Ein Bundesinnenminister, der mit Ansage geltendes Recht bricht und der dann, als ein Gericht sein Vorgehen erwartungsgemäß stoppt, sagt: egal, weiter so - so ein Innenminister bereitet Sorgen. Weil er das Recht, die Ordnung schleift.

Alexander Dobrindt hat - wie im Wahlkampf versprochen - an seinem ersten Tag im neuen Amt angewiesen, Asylbewerber an den Grenzen zurückzuweisen. Was er nicht getan hat: Er hat nicht auf die Expertise seiner neuen Mitarbeitenden im Innenministerium gehört - denn die Vorgängerregierung hat die Zurückweisungen ausführlich juristisch prüfen lassen und sich dann, offenbar aus guten Gründen, dagegen entschieden.

Dobrindt, der selbst kein Jurist ist, hat sich darüber einfach hinweggesetzt. Der Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts war für viele Juristen nun wirklich keine Überraschung. Auch Dobrindt muss damit gerechnet haben - und was macht er? Er tritt vor die Presse und sagt wörtlich: "Es gibt keinen Grund, aufgrund einer Gerichtsentscheidung, die heute hier erfolgt ist in diesem Einzelfall, unsere Praxis zu verändern."

Aber in einem Rechtsstaat sollte nicht das persönliche Rechtsverständnis eines Ministers oder seiner Partei entscheidend sein, sondern das geschriebene Gesetz und die Auslegung durch die unabhängige Justiz. Und wenn ein Innenminister - also der Mann, der auch die Polizei verantwortet - öffentlich erklärt, sich von Gerichtsentscheidungen nicht beeindrucken zu lassen, dann signalisiert er: Recht gilt nur, wie es mir passt.

So was sieht man in ganz Europa, in Ungarn, Polen, Italien, und es ist eklatant. Vieles, gerade in der Migrationspolitik, widerspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, aber wird trotzdem gemacht. Der Kern eines Rechtsstaats ist aber: Man darf fast alles wollen, auch Änderungen am Europarecht, aber der Weg muss in der richtigen Reihenfolge gegangen werden. Wenn Dobrindt unbedingt Asylbewerber an den Grenzen zurückweisen will, dann muss er erst Wege finden, um am Europarecht zu schrauben. Und danach kann er zurückweisen.

Eine Bundesregierung, ein Innenminister, von dem nach einer Gerichtsentscheidung kein selbstkritisches Wort zu hören ist - das ist besorgniserregend. Und gruselig. Und bei einem Seitenblick in Richtung USA stellt sich die Frage: Wollen wir dahin?

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