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Kaum noch Bands Warum Solo-Stars die Charts dominieren
Früher dominierten Bands die deutschen Single-Charts, heute sind es Solo-Künstler. Die Gründe sind vielfältig und zeigen: Das Musikbusiness hat sich grundlegend verändert. Ist das das Ende einer Pop-Ära?
Bis in die 1990er-Jahre waren sie das Rückgrat der Musikindustrie: Bands belegten rund 50 Prozent der deutschen Charts-Platzierungen, das zeigt eine Datenanalyse des Onlinemagazins Skoove. 1996, im goldenen Zeitalter der Popbands, liefen die Kelly Family oder Tic Tac Toe nonstop im Radio. Auch Grunge- und Hip-Hop-Bands wie Nirvana oder die Fugees hatten ihren Platz im Mainstream.
Seitdem verlieren Bands konstant an Bedeutung: 2010 lag ihr Anteil in den deutschen Charts bei 32 Prozent, ein Jahr später bei 22 Prozent. 2024 schaffte es in Deutschland keine einzige Musikgruppe in die Top 20 der Jahres-Singlecharts. Selbst die erfolgreichsten Vertreter konnten sich nur im Mittelfeld platzieren - unter ihnen die mit neuer Sängerin reformierte US-Band Linkin Park oder die Pop-Rock-Formation One Republic.
In den USA ist der Abwärtstrend noch deutlicher: Hier schaffte es 2024 keine einzige Band in die Top 100 der Billboard-Single-Jahrescharts.
Radikale Veränderungen
In Deutschland sind die Spitzenpositionen seit Jahren fest in der Hand von jungen Solokünstlern und -künstlerinnen wie Shirin David, Nina Chuba oder Apache 207. Die wenigen Bands, denen in den letzten Jahren noch eine Top-Platzierung gelang, gehören fast durchweg zum alten Eisen: Rammstein, Metallica, Die Ärzte. Was ist passiert?
Das Musikmachen hat sich in den letzten Jahren radikal verändert, erklärt Derek von Krogh, Musikproduzent und Künstlerischer Direktor der Popakademie in Mannheim: "Musikalische Visionen starten heute häufig im denkbar kleinsten Set-Up, sprichwörtlich im Schlafzimmer-Studio."
Produzieren kann man ohne Band
Wer Musik produzieren will, braucht keine Band mehr. Teure Instrumente, Bandraum und Studiotechnik kann man sich sparen. Heute reichen ein Laptop und die richtige Software - eine regelrechte Homerecording-Revolution.
Das Programm Garageband zum Beispiel ist seit 2004 auf jedem Apple-Computer vorinstalliert. Es liefert zu jeder Idee passende Beats und unzählige Instrumentierungsmöglichkeiten: Ob im Stil von Metallica oder einer Orchesterproduktion von Hans Zimmer - die Möglichkeiten sind endlos.
Wer allein produziert, arbeitet kosteneffizient
Für Solo-Künstler liegt der Vorteil auf der Hand: Niemand redet ihnen ins Handwerk und sie sparen sich einen Haufen Geld. "Alles sehr praktisch und sehr kosteneffizient", sagt Derek von Krogh.
Schließlich verdiene man mit dem Musikmachen kaum noch Geld. Mit dem Siegeszug von Streamingplattformen wie Spotify und Apple Music ist für Musikschaffende das entscheidende Geschäftsmodell weggebrochen: der Verkauf von Tonträgern. Solo-Artists haben geringere Produktionskosten. Und wer einen Hit landet, muss hinterher nicht teilen.
"Bands passen einfach nicht ins Hochformat"
Generell gilt: Was ein Hit wird, bestimmen nicht mehr die großen Plattenfirmen, sondern TikTok-Trends und Algorithmen. Newcomer sind in der Regel Social-Media-Profis.
Sie sind nicht mehr darauf angewiesen, von Major Labels entdeckt und gefördert zu werden. Eine Selfie-Kamera, Authentizität und Sendungsbewusstsein genügen, um eine Fanbasis aufzubauen.
Das spiele Einzelkämpfern in die Karten, sagt Musikproduzent von Krogh. Für Kollektive sei es schwer, aus der Masse herauszustechen - allein schon technisch: "Bands passen einfach nicht ins Hochformat."
Nicht die Anzahl nimmt ab, sondern die Sichtbarkeit
Ist in dieser hyper-individualisierten Social-Media-Öffentlichkeit das Ende der Bands also besiegelt? Sicher nicht, sagt Derek von Krogh: Fans sehnten sich mehr denn je nach "echten" Bühnenerlebnissen. Für junge Bands gebe es dadurch einen Marktvorteil: Sie können auf der Bühne mehr bieten als Einzelkünstler.
"Mit den Ticketpreisen steigt auch die Erwartungshaltung. Die Leute akzeptieren heute keine Minimalshow mit Vollplayback mehr", sagt von Krogh. Auf der Bühne wollen sie "echte" Musiker.
Heute gibt es nicht unbedingt weniger Bands, sie sind nur weniger sichtbar. Hinter jedem erfolgreichen Solo-Artist steht auf der Bühne eine Band, die die Show schmeißt. Dies seien keine Marionettenbands, betont von Krogh, der jahrelang als Keyboarder mit Nena auf Tour war, sondern kreative Teams, oft über Jahre zusammengewachsen: "Der Gitarrist ist vielleicht auch Musical Director und für den Solokünstler ein hochkompetenter musikalischer Berater."
Bei Konzerten stehen Bands hoch in Kurs
So düster steht es um die Zukunft der Bands also nicht. Die Pop-Landschaft ist diverser, als Streamingzahlen vermuten lassen. Wer die Charts beiseitelässt und stattdessen auf die Line-Ups von Festivals und Liveclubs blickt, entdeckt dort nach wie vor jede Menge Bands.
"Streamingzahlen kann man kaufen, Ticketverkäufe nicht", sagt Derek von Krogh. Für ihn ist klar: Der direkte menschliche Austausch lässt sich nicht durch Laptop-Kriegertum ersetzen.