
Hilfe bei psychischen Erkrankungen Kunst auf Rezept
Kulturangebote können Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen. Darauf deuten immer mehr Studien hin. Auch in Deutschland wird erforscht, ob das Museum auf Rezept sinnvoll ist.
Für die meisten Menschen ist der Besuch im Museum eine Freizeitaktivität, für Burkhard Dirksen ist er ein wichtiger Bestandteil seines Alltags; viel mehr als nur ein Kunsterlebnis. Es sei für ihn ein wichtiger Anker, der ihm Stabilität gebe. "Ich kann in dem Moment abschalten", sagt er dem rbb. "Das tut einfach gut." Der 65-Jährige ist ein leidenschaftlicher Museumsgänger geworden. Besonders gut gefallen ihm große bunte Gemälde, etwa der Malerin Frida Kahlo.
Vor mehr als 15 Jahren wurde der Ingenieur durch eine Depression aus der Bahn geworfen. Die Belastung im Beruf, die Sanierung des Hauses - alles sei zu viel geworden. Es folgten einige dunkle Jahre. "Das war eine sehr schwere Zeit, auch für meine Familie. Die kannten mich ja so nicht - ich war immer aktiv, immer tätig. Und dann bin ich da so aufgeklatscht." Mittlerweile geht es ihm durch Therapie und Medikamente wieder besser. Er ist sich sicher: Auch die regelmäßigen Museumsbesuche, die er seitdem aktiv einplant, haben sich positiv auf seine Gesundheit ausgewirkt.
WHO: Kunst kann die Gesundheit fördern
Was Burkhard Dirksen für sich festgestellt hat, zeigt die Wissenschaft immer deutlicher. Eine wachsende Zahl an Studien deutet darauf hin, dass Kunst- und Kulturangebote psychisch kranken Menschen helfen können. Auch in Deutschland wächst die Forschung dazu.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Zusammenhang von Gesundheit mit Kunst und Kultur. Im Jahr 2019 veröffentlichte sie eine Metastudie, die mehr als 3.000 Studien zum Themenkomplex analysierte. Die WHO kam zu dem Ergebnis, dass Kunst- und Kulturangebote sowohl die psychische als auch physische Gesundheit positiv beeinflussen können.
Sie sollen unter anderem helfen, Gefühle zu bewältigen, das eigene Leid besser auszudrücken, aber auch schwere Krankheiten zu verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern. Die WHO weist allerdings darauf hin, dass die einbezogenen Studien in Methodik und wissenschaftlichem Herangehen stark variieren.
Museumsbesuch mit erstaunlichen Effekten
Um die Forschungslücke zu füllen, beschäftigen sich auch in Deutschland einige Forscherteams mit der heilenden Wirkung von Kulturangeboten bei psychischen Erkrankungen. An der TU Dresden fanden Forscher jüngst heraus, dass Ausstellungsbesuche dementen Menschen mit einer Depression stark bei ihrem Leiden helfen können. Lebensqualität, Gesundheitszustand und die körperliche Verfassung haben sich durch die Besuche verbessert.
"Die Menschen sind nach dem Museumsbesuch heiterer als davor und wir konnten depressive Symptome senken", sagt Dr. Michael Wächter. Er hat die Studie an der TU Dresden geleitet, die im März dieses Jahres erschienen ist. Vor allem der soziale Aspekt der Museumsbesuche hätte eine starke Wirkung erzielt, aber auch die Auseinandersetzung mit der Kunst sei nicht irrelevant.
Die Ergebnisse sind selbst für die Forschenden überraschend positiv: 34 Prozent der Testpersonen seien wieder häufiger nach draußen gegangen. 37 Prozent sagen sogar, dass sie mehr in der Öffentlichkeit unternehmen. "Das ist ein großer Fortschritt, den wir erreichen konnten", sagt Wächter. "Depressionen sind bei Menschen mit Demenz kaum pharmakologisch therapierbar."
Wächter sieht starke Anzeichen dafür, dass die Ergebnisse sich auch auf nicht-demente Menschen mit Depressionen übertragen lassen. Für ihn ist deshalb klar, dass solche Angebote ins ärztliche Repertoire aufgenommen und von der Krankenkasse übernommen werden sollten.
Kunst auf Rezept international auf dem Vormarsch
In einigen anderen Ländern ist das bereits der Fall. In Großbritannien wird das "Social Prescribing" bereits praktiziert. Dort können Ärzte Patienten an soziale und kulturelle Angebote - wie das Museum - vermitteln. In Kanada, der Schweiz und mehreren skandinavischen Ländern gibt es ähnliche Projekte. Auch in Bremen gibt es ein Pilotprojekt, bei dem sich Patienten in ausgewählten Arztpraxen und psychotherapeutischen Praxen ein Kunstrezept ausstellen lassen konnten.
An der Berliner Charité widmet man sich derzeit der Frage, ob solche Rezepte auch in der Breite eine sinnvolle Ergänzung zu klassischen Therapien sein könnten. Professor Wolfram Herrmann erforscht in zwei Forschungsprojekten die Effektivität und Umsetzbarkeit des sogenannten Sozialen Rezepts. "Die Idee ist es, mit dem 'Sozialen Rezept' die hausärztliche Versorgung zu stärken", sagt er. Häufig kämen Patienten mit Problemen zum Arzt, die sich zwar auf die Gesundheit auswirkten, aber nicht mit klassischen medizinischen Therapien behandeln ließen.
Einsamkeit sei ein anschauliches Beispiel, so Herrmann, denn sie geht häufig mit Depressionen einher. In solchen Fällen könne ein Museumsbesuch auf Rezept eine gute Möglichkeit sein, dem Patienten - zusätzlich zu klassischen Therapien - zu helfen. "Zusammen mit anderen ins Museum zu gehen, sich darüber auszutauschen, damit eine Struktur im Alltag zu haben, ist eine tolle Möglichkeit die Einsamkeit bei depressiven Menschen zu anzugehen", sagt Herrmann.
Im Forschungsprojekt der Charité werden solche Menschen vom Arzt an einen "Linkworker" vermittelt, der gemeinsam mit dem Patienten nach den richtigen sozialen Angeboten sucht. "Wir erhoffen uns, dass wir so einen Weg finden, die Versorgung der Patienten zu verbessern", sagt Herrmann. Das wird sich aber noch im Laufe des Projekts bestätigen müssen.
Burkhard Dirksen hat auch ohne Vermittlung herausgefunden, dass ihm Museumsbesuche guttun. Er kann allen Betroffenen nur empfehlen ins Museum zu gehen. "Es ist eine wichtige Sache, was gegen seine Depression zu machen, sich etwas anderes anzuschauen und rauszukommen", sagt er. Um auf andere Gedanken zu kommen, seien Kunst und Kultur ein tolles Mittel.